Kommerz und Kultur

5. Oktober 2015 • Qualität & Ethik, Redaktion & Ökonomie • von

Eine Frage zu den alten Medien: Braucht es noch Journalisten, und wenn nein, wozu?

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Journalisten der alten Medien sind systemrelevant: Sie können immer noch am besten filtern und ordnen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Redaktor des Tages-Anzeigers. Es ist zwanzig Jahre her. Er sagte zu mir: „Weißt du, ohne uns läuft gar nichts. Ohne uns läuft das Geschäft nicht.“

Er hatte Recht. In den alten Medien galt eine einfache Regel. Journalisten waren ein Kostenfaktor, aber sie spielten diese Kosten mehrfach wieder ein. Nur weil die Redaktionen das Publikum hereinschaufelten, funktionierte die Werbung in den Blättern. Das galt besonders für die Rubrikenanzeigen. Die Verlage machten höllische Gewinne mit Stellen-, Immobilien- und Autoinseraten.

Die Journalisten sorgten für das Publikum. Nur darum konnte man mit dem Publikum Geschäfte machen. Heute ist das anders. Heute braucht es Journalisten nicht mehr, um mit dem Publikum Geschäfte zu machen. Das ist eine Premiere in der Zeitungsgeschichte. Erstmals braucht es Journalisten nicht mehr, um als großes Verlagshaus Geld zu verdienen.

Das finanzielle Rückgrat der großen Verlage sind auch heute wieder die Rubrikenanzeigen. Sie sind heute digital, sie heißen Homegate.ch, Search.ch, Autoscout.ch, Jobs.ch und Ricardo.ch. Für Homegate.ch, Search.ch, Autoscout.ch, Jobs.ch und Ricardo.ch jedoch braucht es keine Journalisten mehr. Es braucht keine redaktionellen Inhalte mehr, damit man das Publikum anzieht und Geld verdient.

Bei Axel Springer in Deutschland oder bei Schibsted in Norwegen würde heute der Gewinn nur um 25 Prozent sinken, wenn sie ihre Zeitungen einstellen würden. Auch bei Ringier bringt das digitale Geschäft inzwischen rund 50 Prozent des Gewinns. Bei Tamedia sind es um die 40 Prozent. Bald werden in diesen beiden Unternehmen zwei Drittel des Gewinns erzielt, ohne dass es dazu Journalisten braucht.

Die Journalisten wissen das. Sie haben darum ihre Argumentation von der wirtschaftlichen auf die gesellschaftliche Ebene verlagert. Vor zwanzig Jahren sagte ein Redaktor des Tages-Anzeigers zu mir: „Weißt du, ohne uns läuft gar nichts. Ohne uns läuft das Geschäft nicht.“ Vor ein paar Monaten sagte ein Redaktor des Tages-Anzeigers zu mir: „Weißt du, ohne uns läuft gar nichts. Ohne uns läuft die Demokratie nicht.“

Weil Journalisten als kommerzieller Faktor unwichtig geworden sind, betonen sie nun ihre politische Rolle. Das ist in der Wirtschaftslehre ein bekannter Prozess. Wer seine ökonomische Bedeutung verliert, braucht eine moralische Bedeutung. Interessant daran ist, dass die moralische Bedeutung gerechtfertigt ist. Die alten Medien sind in eine neue gesellschaftspolitische Rolle hineingeraten. Sie sind hineingeraten durch diesen Internet-Irrsinn der Information. Im Netz entstand ein heilloser Mix von Fakten, Fiktionen, Wahrheiten und Lügen.

Es entstand darum der Ruf nach einer ordnenden Hand. Am besten ordnen diese babylonische Informationsverwirrung die alten Medien aus dem Zeitungsgewerbe. Sie sind eine Instanz der Entwirrung geworden. Eine Instanz ist das Gegenteil einer Massenbewegung. Eine Instanz ist ein Ordnungsprinzip.

Es braucht keine Journalisten mehr für den geschäftlichen Erfolg. Es braucht sie aber immer mehr als gesellschaftliche Verpflichtung, als Beitrag zur Zivilgesellschaft. Die Journalisten der alten Medien können Informationen immer noch am besten filtern, am besten systematisieren und am besten ordnen. Journalisten sind systemrelevant.

Brauchen wir also noch Journalisten? Kommerziell ist ihre Bedeutung gesunken, kulturell jedoch ist ihre Bedeutung gestiegen. Wir brauchen die Journalisten nicht mehr, aber wir sollten sie uns leisten.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 17. September

Bildquelle: Mark Smiciklas / Flickr

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