Leser binden durch Qualität?

8. Juli 2013 • Qualität & Ethik • von

Mediennutzer erkennen die Qualität von Nachrichten nur begrenzt. Sie können problemlos beurteilen, ob Informationen relevant, aktuell und unparteilich sind. Ob die Berichterstattung vielfältig, richtig, genau und verständlich ist, können sie hingegen wesentlich schlechter einschätzen. Das sind die Ergebnisse eines aktuellen Forschungsprojekts von Juliane Urban und Wolfgang Schweiger vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der TU Ilmenau. Die beiden Forscher präsentieren im Folgenden ihre Einsichten.

Journalistische Medien stehen derzeit bekanntlich vor gewichtigen Problemen: Kosten- und Zeitdruck in Redaktionen erschwert die Nachrichtenbeschaffung und ‑produktion und gefährdet langfristig die Attraktivität journalistischer Berufe. Viele Medien setzen im Kampf um Publikumsinteresse und -erlöse auf Boulevardisierung und Emotionalisierung. Die Konkurrenz zwischen traditionellen Nachrichtenangeboten und journalistischen Angebotsformen im Internet (z.B. Weblogs, Communities) erhöht den Wettbewerbsdruck zusätzlich. Die Einsparungen im Journalismus führen ab einem gewissen Punkt zu einem Verlust journalistischer Qualität.

Ob und wie sich dieser Qualitätsrückgang bei Nachrichtenanbietern rächt, hängt auch vom Qualitätsbewusstsein des Publikums ab. Wenden sich Rezipienten von weniger qualitätsvollen Angeboten ab, drohen diesen abnehmende Reichweiten und sinkende Erlöse, die in letzter Konsequenz vielleicht sogar die wirtschaftliche Existenz eines Mediums gefährden.

Die Frage, ob Mediennutzer die Qualität von Nachrichten angemessen beurteilen können, ist deshalb nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Medienpraxis relevant. Dort stellt sie sich naturgemäß am stärksten den Qualitätsmedien, da deren Erfolg bei einem meist höher gebildeten Publikum stark von der gelieferten Qualität abhängt – so zumindest die allgemeine Annahme.

Verschiedene Studien haben sich mit Qualitätserwartungen und -beurteilungen von Rezipienten auseinandergesetzt. Dabei wurde fast immer die allgemeine Qualitätswahrnehmung von Medienmarken (z.B. Süddeutsche Zeitung oder Tagessschau) thematisiert. Damit bleibt die Frage offen, ob Mediennutzer tatsächlich journalistische Qualität beurteilen oder ob sie sich in ihrer Wahrnehmung von diffusen und langfristigen Images der Medienmarken leiten lassen, nach dem Motto: Was in der New York Times steht, muss allein schon deshalb guter Journalismus sein. Um einzuschätzen, ob Mediennutzer tatsächlich die journalistische Qualität von Nachrichten beurteilen können, muss man sich also ihre Qualitätsurteile zu einzelnen Nachrichten(-beiträgen) genauer ansehen.

Genau dies haben wir an der TU Ilmenau im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekts getan. Mit Hilfe einer Online-Experimentalreihe überprüften wir, ob Mediennutzer Unterschiede zwischen Nachrichten mit hoher und niedriger Qualität erkennen. Insgesamt 3.167 repräsentativ ausgewählte Teilnehmer lasen und beurteilten jeweils eine Nachricht, deren journalistische Qualität in einer Dimension sowie der präsentierten Medienmarke (Süddeutsche Zeitung als Qualitätszeitung vs. Bild-Zeitung als Boulevardtitel) variiert wurde.

Die fünf Qualitätsdimensionen sind

  • Vielfalt (Meinungs- und Quellenvielfalt)
  • Relevanz (Aktualität, Beantwortung der W-Fragen Analytische Tiefe)
  • Unparteilichkeit (Ausgewogenheit, Neutralität)
  • Sachgerechtigkeit (Richtigkeit, Genauigkeit, Transparenz)
  • Verständlichkeit (Einfachheit, Ordnung, Prägnanz des Textes)

Eines der überraschendsten Ergebnisse gleich vorweg: Entgegen weitläufiger Annahmen ist die Fähigkeit zur Qualitätsbeurteilung bei allen Mediennutzern in etwa gleich ausgeprägt. Egal ob Männer oder Frauen, alt oder jung, Hauptschul- oder Hochschulabsolvent, Leser der Bild– oder der Süddeutschen Zeitung – alle Gruppen erkannten die Qualität einer Nachricht gleich gut oder schlecht.

Qualitätsbewertungskompetenz erwerben Mediennutzer folglich nicht automatisch im Rahmen der allgemeinen Ausbildung oder durch intensive Mediennutzung. Hier ist es vielmehr Aufgabe der Medienpädagogik – vielleicht auch der Massenmedien selbst – entsprechende Kompetenzen zu vermitteln. Für Journalisten heißt dies aber auch, dass sie weder das Publikum von Qualitätsmedien über- noch das Publikum von Boulevardmedien unterschätzen sollten, wenn es um die Bewertung journalistischer Leistung geht.

Wie ist es um die Qualitätsbewertungskompetenz der Mediennutzer nun aber genau bestellt? Unseren Daten zufolge erkennen Mediennutzer die Qualität von Nachrichten nur begrenzt. In Anbetracht der starken Qualitätsvariationen im Experiment, die über gängige Qualitätsunterschiede in der Berichterstattung hinausgingen, fallen die Bewertungsunterschiede der Rezipienten gering aus.

Zwischen den einzelnen Qualitätsdimensionen zeigen sich aber deutliche Unterschiede. Vergleichsweise gut gelingt es Mediennutzern, die Relevanz eines Beitrags zu beurteilen. Diese wurde hier nicht über die subjektive Bedeutsamkeit der Nachricht für einen Rezipienten, sondern über das Vorhandensein wichtiger Nachrichtenbestandteile gemessen. Ob eine Nachricht aktuell ist, grundsätzlich zum Verständnis eines Ereignisses notwendige Fakten (Beantwortung W-Fragen) enthält und Informationen zu Ursachen, Folgen und zur Einordnung einer Nachricht gibt, erkennen die Rezipienten relativ gut.

Ähnlich kompetent zeigen sie sich bei der Beurteilung der Unparteilichkeit – also der Frage, ob eine Nachricht neutral formuliert ist und unterschiedliche Standpunkte/Akteure ausgewogen berücksichtigt werden. Große Probleme haben Mediennutzer hingegen damit zu beurteilen, ob die berichteten Informationen richtig, genau, vielfältig und verständlich sind.

Erklärbar werden diese Differenzen, wenn man sich vor Augen führt, welche Aspekte der Berichterstattung in den verschiedenen Dimensionen stecken. Relevanz (zumindest wie hier gemessen über das Vorkommen bestimmter Nachrichtenbestandteile) und Unparteilichkeit lassen sich eher formal beurteilen. Schließlich geht es hier vornehmlich darum abzuwägen, ob und in welchem Umfang bestimmte Informationen in einem Beitrag vorkommen.

Um zu beurteilen, ob eine Nachricht richtige, genaue und vielfältige Informationen enthält, benötigt ein Rezipient hingegen ausgeprägtes Hintergrundwissen zum berichteten Sachverhalt. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Mediennutzer über dieses Wissen häufig nur in begrenztem Umfang verfügt. Schließlich würde er sich sonst nicht  in den Medien über das entsprechende Thema informieren.

Wie vermutet, lassen sich Rezipienten in ihrer Bewertung neben der tatsächlichen Qualität einer Nachricht stark durch das Medium beeinflussen, in welchem die Nachricht erschienen ist. Halten sie die Medienmarke für glaubwürdig, kompetent und qualitativ hochwertig, beurteilen sie auch die Qualität dortiger Nachrichten sehr positiv – und zwar in Bezug auf alle der untersuchten Qualitätsdimensionen.

Trotz mangelnder Beurteilungskompetenz spielen Qualitätsfragen für das Publikum somit eine Rolle. Denn Rezipienten orientieren sich in bei ihrer Qualitätsbewertung stark am Image, das sie persönlich einem Medium zuschreiben. Das Image basiert zum einen auf eigenen Nutzungserfahrungen mit einem Medium. Zum anderen wird das persönliche Image stark vom öffentlichen Image einer Medienmarke beeinflusst.

Wird ein Medium häufig von anderen Medien, Institutionen der journalistischen Selbstkontrolle oder anderen Akteuren kritisiert – z.B. weil es journalistische Qualitätsstandards verletzt – wirkt sich das langfristig auch auf das persönliche Medienimage eines Rezipienten aus. Ein auffälliger Imageschaden untergräbt natürlich die Bindung an ein Medium, die Bereitschaft, es zu nutzen und – im Fall von Printmedien – zu kaufen.

Fazit der Studie: Mediennutzer sprechen zwar gelegentlich über Medienqualität, sie können sie aber nur ansatzweise selbst erkennen – unabhängig von ihrer Bildung oder Medienkompetenz: Trotzdem sollten Nachrichtenanbieter, die im Zuge redaktioneller Einsparungen die Senkung journalistischer Qualität in Kauf nehmen, eines beachten: Wer durch sinkende Qualität das Image einer Medienmarke dauerhaft schädigt, untergräbt damit mittelfristig die Bindung, Nutzungs- und Zahlungsbereitschaft seiner Rezipienten.

Bildquelle: Markus Hein  / pixelio.de

 

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