Rechenschaftspflicht: Medien am Pranger

15. Mai 2013 • Qualität & Ethik • von

Verlagsmanager und Journalisten tun sich schwer mit Kritik. So hartnäckig Medienleute von anderen Rechenschaft und Transparenz einfordern, so wenig scheren sie sich selbst darum.

Unterstellen wir, dass Medien mächtig sind, dass Macht in der Demokratie der Kontrolle bedarf, aber auch, dass Pressefreiheit eine elementare Voraussetzung ist, um Demokratie zu ermöglichen und Bürgerinnen und Bürger angemessen zu informieren. Vor dem Hintergrund des Skandals um Telefonabhörungen, in den Journalisten von Rupert Murdochs Medienunternehmen verwickelt waren, aber auch vor dem Hintergrund der Vertuschungsmanöver, mit denen BBC-Chefs einen pädophilen Fernsehmoderator gedeckt haben, gewinnt etwas an Bedeutung, wofür es auf Deutsch nicht einmal ein griffiges Wort gibt: „media accountability“. „Bereitschaft der Medien zur Rechenschaftslegung“ trifft es vielleicht am ehesten – und eigentlich wissen wir seit Jahren, dass es darum eher schlecht bestellt ist.

Im Kern sind drei Bereiche redaktioneller Rechenschaftspflicht zu nennen: der Umgang mit Fehlern in der Berichterstattung, der Umgang mit Beschwerden sowie die Berichterstattung der Medien über Medien und Journalismus. Im Angelsächsischen ist das dank der Alliteration einprägsamer: Es geht um die „drei C“, um „corrections policies“, „complaints management“ und um „coverage of journalism“.

Die unbeachteten drei C

Im Rahmen eines von der EU finanzierten Forschungsvorhabens haben wir über mehr als drei Jahre hinweg als Schweizer Projektpartner zusammen mit Forschern aus elf europäischen Staaten und einem arabischen Land untersucht, wie es im internationalen Vergleich um Media Accountability bestellt ist. Weitere empirische Befunde sowie die Ergebnisse einer Befragung von Journalisten werden zurzeit ausgewertet. Im Vorgriff darauf lässt sich bereits festhalten, dass Eigentümer, Medienmanager und Chefredaktionen den „drei C“ wenig Aufmerksamkeit schenken – so wenig, dass es sich lohnt, der Frage nachzuspüren, warum das so ist.

Nüchtern und rein betriebswirtschaftlich betrachtet, hätten Medienverantwortliche auf den ersten Blick allen Grund, sich verstärkt zu engagieren. Zum einen kostet MediaAccountability wenig Geld: Die freiwillige Berichtigung von Fehlern ist nicht teuer – sie benötigt allenfalls Aufmerksamkeit seitens der Redaktionen. Die Kosten wiederum für den Presserat werden unter den Beteiligten gesplittet und lassen sich aus der Portokasse bezahlen. Und Jobs für Medien-Ombudsleute sind Teilzeitstellen und sind auch ehrenamtlich denkbar. Einzig und allein Medienjournalisten sind teuer. Bei entsprechendem Willen lassen aber auch sie sich finanzieren.

Obendrein rechnen sich absehbar derlei bescheidene Investments: Es gibt keine besseren „Versicherungspolicen“, um Risiken der Berichterstattung zu mindern und teure Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, als Ombudsleute und Presseräte. Wenn sie außerdem erfolgreich kommunizieren, sollte das die Leserbindung stärken und zugleich die Medienkompetenz von Journalisten wie der Publika steigern helfen. Redaktionelle Glaubwürdigkeit sowie mehr Qualitätsbewusstsein bei den Mediennutzern dürften sich zudem positiv auf die Zahlungsbereitschaft für journalistische Angebote auswirken.

Um zu verstehen, weshalb Medienverantwortliche dennoch leichtfertig all dies verspielen, müssen wir wohl ein zweites Mal hinschauen. Es gilt auf Medienmärkten, zwischen unterem und oberem Qualitätssegment zu unterscheiden: Adressaten im unteren Segment sind die weniger Gebildeten mit geringerer Medienkompetenz. Ihre Zahlungsbereitschaft ist gering, derlei Medienangebote sind meist werbefinanziert. Im oberen Segment wird dagegen angesichts schrumpfender Werbeerlöse eine steigende Zahlungsbereitschaft der Publika mehr und mehr zur Erfolgsbedingung. Hochwertiger Journalismus wird sich nur am Markt halten können, wenn ein wachsender Anteil der Rezipienten qualitätsbewusst ist und wenn man journalistische Glaubwürdigkeit für wichtig hält.

Entsprechend gilt es, die Ausgangsthese zu modifizieren: Medienverantwortliche im oberen Qualitätssegment handelten rational und im Eigeninteresse ihrer Firmen, wenn sie mehr in Media Accountability investierten. Bleibt die Frage, warum das so selten der Fall ist. Das Rätsel lässt sich lösen.

Erstens gibt es einen Interessenkonflikt zwischen institutionellen und persönlichen Interessen der Medienverantwortlichen. So wichtig für das Medienunternehmen mehr Rechenschaft und Transparenz wären, so sehr haben die Chefs Angst, von Presseräten, Ombudsleuten oder Medienjournalisten an den Pranger gestellt zu werden. Weil alle Medienverantwortlichen wissen, was sie Politikern, Wirtschaftsführern und anderen Prominenten antun, wenn sie diese medial skandalisieren, möchten sie selbst auf keinen Fall Skandalisierungsopfer werden.

Im Gefangenendilemma

Chefredakteure und Verlagsmanager befinden sich außerdem im Gefangenendilemma: Nur wenn die Wettbewerber im oberen Qualitätssegment ebenfalls in Media Accountability investieren, rechnet sich das eigene Engagement. Es könnte dann gelingen, flächendeckend Qualitätsbewusstsein und Zahlungsmoral zu heben. Medienjournalismus hat eben ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn er sich mit dem eigenen Haus oder der unmittelbaren Konkurrenz beschäftigt – insofern wäre es wichtig, dass viele, ja möglichst alle Medien mit Qualitätsanspruch möglichst fair über Medien und Journalismus berichteten.

Auch die freiwillige Fehlerkorrektur scheitert am Gefangenendilemma. Kein Journalist lässt sich gerne öffentlich vorführen – schon gar nicht, wenn die Gefahr besteht, dass Kollegen sich um die Berichtigung ihrer Fehler drücken. Deshalb müssen Chefredakteure nach innen viel Überzeugungsarbeit leisten, wenn sie um der Glaubwürdigkeit willen verlässliche Korrekturspalten haben möchten. Und sie scheuen meistens den Aufwand, der damit verbunden ist.

Ganz besonders stehen große Medienkonzerne mehr Accountability im Weg. Schon deren schiere Macht verführt dazu, sich um Rechenschaftspflichten wenig zu kümmern. Die übergreifenden Konzerninteressen haben dann Vorrang vor dem Partialinteresse, das Anbieter im oberen Marktsegment zu mehr Anstrengungen in puncto Glaubwürdigkeit veranlassen könnte.

Irrationales Verhalten

All diese Argumente erklären allenfalls teilweise das Verhalten der Medienverantwortlichen. Vertraut man auf Einsichten der Verhaltensökonomie, so unterlaufen ihnen auch Denkfehler, die im Sinn von Dan Ariely zu „vorhersagbar irrationalem Verhalten“ führen und die der Autor Rolf Dobelli auf unterhaltsame Weise – allerdings generell auf Manager bezogen – beschrieben hat.

So sind selektive Wahrnehmung und kognitive Dissonanzen im Spiel, wenn Chefredakteure und Verlagschefs Medienjournalismus unterbinden oder die Arbeit von Presseräten und Ombudsleuten behindern. Ihre Angst vor Skandalisierung hat viel mit der Vernachlässigung von Wahrscheinlichkeiten zu tun. Die wenigsten Hierarchen sind so mächtig wie Murdoch oder Berlusconi; sie überschätzen somit drastisch das Risiko, bei funktionierendem Medienjournalismus selbst zur Zielscheibe von Skandalisierungen zu werden.

Ferner erliegen Medienverantwortliche – wie wir alle – der Faszination scheinbarer Gratisofferten: Wenn etwas nichts kostet, verhalten wir uns irrational, weshalb uns nicht nur Marketingexperten mit Gratisangeboten und Verleger mit Gratiszeitungen immer wieder verführen, sondern auch Medienverantwortliche, die Null-Investition in Media Accountability bevorzugen. Die versteckten Kosten von „zero cost“ werden ja erst später sichtbar – sei es als teure Rechtsstreitigkeiten, sei es in Form von wenig messbaren, langfristigen Glaubwürdigkeitsverlusten, die auch eine geringere Zahlungsbereitschaft der Publika zur Folge haben dürften.

Chefredakteure, die sich weder von Presseräten noch von Ombudsleuten reinreden lassen wollen, überschätzen ferner ihre Möglichkeiten, mit Fehlern, Beschwerden und Konflikten angemessen umzugehen – und sie unterschätzen, wie viel Zeit sie dafür brauchten. Im Jargon der Verhaltensökonomen werden sie zu Opfern überdimensionierten Selbstvertrauens und von Kontrollillusion: Führungskräfte vereinsamen gelegentlich an der Spitze und unterliegen dann dem Wahn, alle Zügel fest in der Hand zu haben.

Nicht zuletzt werden Medienverantwortliche zu Opfern des Herdentriebs – was am ehesten die kulturellen Unterschiede im Umgang mit Media Accountability in der westlichen Welt erklären kann. So dürften sich die weitverbreiteten Korrekturspalten und stark institutionalisierten Ombudsleute in den USA auf die „New York Times“ zurückführen lassen, die hier in der angelsächsischen Welt wegweisend voranschritt.

In Italien sowie in ost- und südosteuropäischen Ländern ist das dort besonders geringe Interesse an Media Accountability ebenfalls im größeren Kontext zu sehen: Wo das Justizwesen verrottet, wo sich Mafia-Praktiken im Staat und in der Wirtschaft durchsetzen, wo es weder für öffentliches Interesse noch für öffentlichen Raum ein Gespür gibt, ist nicht zu erwarten, dass Medienverantwortliche den Nutzen medialer Rechenschaftslegung entdecken.

Die deutschsprachigen Länder bewegen sich im Mittelfeld: Es gibt keinen starken Cheerleader, was die Wirkungschancen von Ombudsleuten oder von Presseräten oder das Durchsetzen von Korrekturspalten anlangt. Aber es gibt immerhin Restbestände sichtbarer Media Accountability bei den großen, konzernunabhängigen Tageszeitungen, in der Schweiz auch bei SRF – anders als bei ARD und ZDF.

Kontrollverlust

Dank Blogs und sozialen Netzwerken, infolge von Interaktivität und Verlinkungs-Optionen, verlieren die Massenmedien allerdings die Verfahrenshoheit im Blick auf ihre Rechenschaftspflicht. Susanne Fengler, Leiterin des eingangs genannten Forschungsprojekts, hat den Begriff der „crowd-sourced media accountability“ ins Spiel gebracht.

Sie hält es für möglich, dass im Internet, über Blogs und soziale Netzwerke jene Transparenz über Medien und Journalismus hergestellt wird, die uns ein Großteil der etablierten Medien bis jetzt – ebenso beharrlich wie irrational – verweigert. Medienverantwortliche wären darum gut beraten, sich um Media Accountability zu kümmern, bevor sie ihnen endgültig entgleitet.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 7.5.2013

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