Missbrauchte Verlagsmacht

2. September 2004 • Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche 30/04

Eine konzertierte Verlagsaktion stilisierte die unsägliche Rechtschreibreform zum noch unsäglicheren Sommerlochfüller.

Mit solchen Kampagnen in eigener Sache diskreditiert sich die Journaille.

In der nachrichtenarmen Sommerzeit «entdecken» die Medien Jahr für Jahr irgendein Thema und blasen es zur Sensation auf – sei es das Ungeheuer von Loch Ness, sei es die Gefahr, die von Kampfhunden ausgeht, sei es jene ostdeutsche Flutkatastrophe, die im Wahljahr 2002 alle anderen Themen verdrängte und erheblich zum Ausgang der Bundestagswahl beigetragen hat. Spannend, weil nicht vorhersagbar, ist eigentlich nur, was von Journalisten oder ihren Einflüsterern, den PR-Strategen und Medienberatern, auf die Agenda gesetzt und dann wochenlang ausgelutscht wird.

Heuer war es erst in Deutschland, dann auch in der Schweiz die Rechtschreibreform. Im Frühling schien es noch undenkbar, dass sie neuerlich so die Gemüter erhitzt – vor allem angesichts all der anderen Probleme, mit denen man sich dies- wie jenseits des Rheins herumschlagen muss. Doch dann erklärten einflussreiche Verlagshäuser wie Springer, «Spiegel» und «Süddeutsche Zeitung» ihre Rückkehr zur alten Rechtschreibung und inszenierten – gemeinsam mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die sich von Anfang an der Reform verweigert hatte – als Begleitmusik eine bislang beispiellose Medienkampagne.

Die «Bild-Zeitung» etwa titelte «Weg mit der Schlechtschreibreform» und behauptete, die Mehrheit der Deutschen wolle zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Als Beleg wurde allerdings nicht eine repräsentative Umfrage angeführt. Es genügten Statements von Fussballstars und anderen Promis, bei denen man durchaus zweifeln darf, ob sie je die alten oder die neuen Schreibweisen beherrscht haben. Die «FAZ» füllte über Wochen hinweg ihre Seiten mit Meldungen und Meinungsbeiträgen zum Thema. Eine ganze Feuilleton- Seite wurde einem Beitrag frei geräumt, der am Beispiel Chinas (!) zeigen sollte, wie man eine missglückte Schreibreform zurücknehmen kann, ohne das Gesicht zu verlieren.

Gewiss, die Rechtschreibreform war und ist das Werk regelungswütiger Bürokraten und Politiker. Andererseits hat die Neugestaltung nur einen Erosionsprozess beschleunigt, der in modernen Gesellschaften ohnehin kaum aufhaltbar erscheint: dass die Verbindlichkeit von Schreibregeln ab- und die Unsicherheit über Schreibweisen zunimmt. Irgendwie mutet der so erbitterte wie verspätete Widerstand grotesk an. Er ähnelt, so der Publizist Ansgar Fürst, «der Beherztheit eines Mannes, der sich entschlossen hinter den fahrenden Zug wirft».

Zudem hat der Protest einen überaus fragwürdigen Aspekt. Ärgerlich ist, mit welcher Hemmungslosigkeit Verlage und ihre Journalisten von der geballten Macht der veröffentlichten Meinung Gebrauch machen, sobald ihre Eigeninteressen berührt sind. Das lässt erahnen, wie skrupellos Fernsehsender und Verlage ihre Positionen vertreten, wenn es mal nicht bloss um orthografische Besitzstandwahrung geht. Beängstigend ist also weniger diese überflüssige Reform als die Dreistigkeit, mit der (Chef-)Redaktionen – statt sich auf ihre Rolle als «Merker» zu konzentrieren – an Parlamenten vorbei in eigener Sache Politik machen.

Die wahre populistische Gefahr der Zukunft gehe nicht von den Le Pens, Finis, Schills oder Möllemanns dieser Welt aus, sondern von den Medien, warnte vor geraumer Zeit schon der Publizist Roger de Weck. Das Tamtam um die Rechtschreibreform im Sommerloch 2004 war nicht zuletzt eine Niederlage des seriösen, distanzierten, auf Trennung von Nachricht und Meinung bedachten Journalismus. Höchste Zeit also, an ein geflügeltes Wort des verstorbenen «Tagesthemen»-Moderators Hajo Friedrichs zu erinnern: «Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.»

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