Populistische Schweizer Medien

11. Februar 2014 • Qualität & Ethik • von

Auch in der Schweiz ist die Aufregung über das „unbotmäßige“ Abstimmungsverhalten der Schweizer zur „Masseneinwanderungs“- Initiative groß.

Bevor man allerdings, wie das SPD-Vorstandsmitglied Stegner („Die spinnen, die Schweizer“) über das Stimmvolk herfällt, gilt es, zwei Fakten zur Kenntnis zu nehmen, die in der bisherigen Diskussion eher unterbelichtet geblieben sind.

Erstens ist die Schweiz ein Land mit einem außerordentlich hohen Ausländer-Anteil: Fast ein Viertel der Wohnbevölkerung der Alpenrepublik sind Ausländer, 23,2 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil bei etwa zehn Prozent. Trotzdem würde eine Volksabstimmung hier vermutlich kaum anders ausgehen als diejenige vorgestern in der Schweiz. Gar nicht auszumalen, wie es an Deutschlands Stammtischen wohl zuginge, wenn der Ausländeranteil mehr als doppelt so hoch wäre.

Zweitens haben zwei Medienforschungs-Institute bereits vor der Abstimmung unabhängig voneinander einen Mitschuldigen am Abstimmungsergebnis ausfindig gemacht: die Schweizer Medien. Nein, natürlich haben sich die Medien nicht mehrheitlich explizit für die Initiative der rechtspopulistischen SVP zum Stop der „Masseneinwanderung“ eingesetzt. Im Gegenteil, ein Großteil der „Journaille“ rechnet sich selbstredend der „weltoffenen“ Schweiz zu – und damit den Eliten, die wissen, dass das Land seinen Wohlstand in einer globalisierten Wirtschaft nicht zuletzt den Ausländern mitverdankt.

Trotzdem habe, so berichtet das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, die rechtspopulististische Initiative beispielsweise von der mit Abstand größten Zeitung, dem Gratisblatt 20 Minuten, aber auch vom sonst eher linksliberalen und auf Seriosität bedachten Tages-Anzeiger Zuspruch erhalten. Der „,horse race‘-Journalismus, bei dem Kampagnenstrategien statt der Austausch von Argumenten im Zentrum stehen“, habe ebenfalls mit dazu beigetragen, dass zu guter Letzt die schweigende Mehrheit einen knappen Abstimmungssieg erringen konnte.

Ergänzend verweist das Forschungsinstitut Media Tenor darauf, dass in der Berichterstattung der Schweizer Medien, insbesondere in den Hauptnachrichten-Sendungen des Fernsehens, die Ausländer „in erster Linie als Problem präsentiert“ würden, und somit „jeder Entscheid zugunsten der Ausländer eine Überraschung“ gewesen wäre. Media Tenor International analysiert Präsenz und Bewertungen der Ausländer in den Schweizer Fernseh-Nachrichten und der SRG seit 2006.

„Mehr als 80 Prozent aller Berichte, in denen Ausländer überhaupt von den Nachrichten thematisiert wurden, bezogen sich allein auf das Asylrecht oder Einwanderungsfragen.“ Damit habe der Stimmbürger keine Chance gehabt, „die reale Veränderung im Alltag der Schweiz über die Medien zu erfahren“: Kaum ein Krankenhaus komme „ohne Nicht-Schweizer aus“ und „Forschung und Lehre wären zwischen St. Gallen und Genf undenkbar, würden Wissenschaftler aus Europa, Amerika, Afrika und Asien nicht ihren Beitrag leisten.“

Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel vom 11. Februar 2014

Bildquelle: Lupo / pixelio.de

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