Das Q-Wort

7. April 2015 • Qualität & Ethik • von

Qualitätsjournalismus ist höchst wichtig, ganz im Gegensatz zu Qualitätsmusik und Qualitätsmalerei.

Wenn es ein Wort gibt, das ich nicht mehr hören kann, dann ist es das Q-Wort: Qualitätsjournalismus.

Wenn der Tages-Anzeiger mit anderen Blättern Texte tauscht, dann, um den „Qualitätsjournalismus zu fördern“. Wenn die NZZ einen neuen Chefredakteur wählt, dann wegen „der Bedeutung von Qualitätsjournalismus“. Wenn der Verlegerverband einen Kongress abhält, dann über „die Krise des Qualitätsjournalismus“.

Das Wort Journalismus gibt es im Sprachgebrauch der Medien nicht mehr. Es gibt es nur noch mit der Q-Vorsilbe.

Interessant ist dies schon aus linguistischer Sicht. In verwandten Berufen kennt man diese Unterscheidung zwischen gehobener und minderwertiger Güteklasse nicht. Den Ausdruck Qualitätsliteratur gibt es nicht. Es gibt auch keine Qualitätsmalerei, keinen Qualitätsgesang und keine Qualitätspoesie.

Wer dauernd von Qualität redet, der verrät darum nur eines. Er hat ein Problem mit sich selbst.

Genau das ist das Problem der Medienbranche. Ich habe noch nie einen Industriezweig gesehen, der sich selber dermaßen ins Verderben geredet hat. Man praktiziert den verbalen Suizid.

Stellen wir uns vor, die Fahrzeugindustrie würde nicht mehr von Autos, sondern nur noch von Qualitätsautos reden und die Kosmetikindustrie nur noch von Qualitätslippenstiften. Die Krise der Autos und der Lippenstifte wäre besiegelt.

Die permanenten Schüsse ins eigene Knie zeigen darum Wirkung. Die Lügenpresse ist wieder salonfähig. Korrupte Medienvertreter stehen als „Gekaufte Journalisten“ seit Monaten ganz oben auf der Bücher-Bestsellerliste. Als der Thurgauer Große Rat kürzlich über Regionalzeitungen debattierte, beklagte er „den Untergang des Qualitätsjournalismus“.

„Die These von der Krise des Qualitätsjournalismus ist längst too big to fail“, schrieb treffend die Frankfurter Allgemeine.

Bemerkenswert am Niedergang des Qualitätsjournalismus ist vor allem, dass es diesen Niedergang nicht gibt. Ich würde nur zu gerne wissen, wann genau diese goldene Epoche des Journalismus stattgefunden hat, die Professoren, Politiker und Publizisten heute so nostalgisch beschwören.

Die goldene Epoche bestand darin, dass es auf Redaktionen nur großkalibrige Geistesathleten gab, die messerscharfe Analysen des Zeitgeschehens lieferten. Sie waren glänzend ausgebildet und gut bezahlt. Sie arbeiteten ohne den heutigen Zeit- und Verwertungsdruck, dafür mit Alkohol im Büro. Die unvermeidliche Folge war Qualität.

Das muss lange her sein. Ich stieg 1975 in den Journalismus ein. Zeitungen druckten damals massenhaft dieselben Agenturmeldungen ab. Communiqués von Parteien und Verbänden kamen ungefiltert ins Blatt. Recherche und investigativer Journalismus waren eine überflüssige Luxusdisziplin. Die Journalisten kuschten vor den großen Tieren. Parteinähe war wichtiger als Objektivität.

Vor 1975, so erzählten mir die damaligen Kollegen, sei es noch schlimmer gewesen.

Doch seitdem wurde es besser. Viel zum Positiven trug ab 1995 das Internet bei, das die Medien beschleunigte und sie zugleich zur Vertiefung zwang. Der Journalismus dynamisierte sich. Exklusivität und Eigenleistung wurden wichtig. Es entstand der kritische Journalismus, der durch harte Recherchen gestützt war. Journalisten spielten respektloser auf den Mann. Ideologische und parteiliche Scheuklappen wurden zunehmend demontiert.

Manchmal braucht es ältere Herren, um den jungen Nostalgikern die Wahrheit zu sagen.

Die Wahrheit ist simpel: Die Krise des Qualitätsjournalismus ist ein Phantom. Die Schmerzen der Medienbranche sind Phantomschmerzen.

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 26. März 2015, S. 25

 

Bildquelle: Thomas Hawk/flickr.com

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13 Responses to Das Q-Wort

  1. Klaus sagt:

    “Den Ausdruck Qualitätsliteratur gibt es nicht. Es gibt auch keine
    Qualitätsmalerei, keinen Qualitätsgesang und keine Qualitätspoesie.”

    …die Wörter nicht, aber die Sachen gibt’s. Leider nicht zu Hauf. Wie bei der Journaille. Gute Qualität war schon immer rarer als der schludrige Rest und sie wird auch heute nur manchmal geliefert. Jeder kennt zum Beispiel DEN EINEN GUTEN Bäcker (und zig miese) in der Stadt, jeder kennt all die Schlagersänger oder die Verwandschaft/Kollegen, die bei Jubiläen “dichten”, jeder kennt Kaufhausbilder oder “moderne Kunst” in Galerien oder gar Museen (dies zu Gesang & Poesie & Malerei) …und jeder kennt die NZZ oder den Guardian (zumindest die Namen), aber wenn man vor dem Angebot bedruckter Periodika z.B. auf einem Flughafen (Bahnhof, Zigarettenhändler…) steht, sieht man den großen, ja, den riesigen Rest: Alles schön bunt aber verzichtbar, verdummend, schädlich. Qualität ist rar, bei der Presse wie bei den anderen genannten Dingen, vielleicht so rar, dass “Qualität” plötzlich (“Ukraine”) auffällt, ein Thema und sehr geehrt wird.

    Hören Sie sich mal eine kreischende, zu Recht unbekannte Sopranistin bei einem intimen Wochenend-Konzert in der Provinz an und dann die Callas. Schauen Sie mal auf ein Bild von Vermeer und dann auf das, was heute so gepinselt wird. Schauen Sie auf hundertjährigen Villen um die Berliner “Rehwiese” und auf heutige viereckige Häuser, usw, usf. etc. pp. Es gibt nämlich auch Qualitätsarchitektur. (besser: es gab).

  2. Ospero sagt:

    “Den Ausdruck Qualitätsliteratur gibt es nicht. Es gibt auch keine
    Qualitätsmalerei, keinen Qualitätsgesang und keine Qualitätspoesie.”

    Wie bitte? Nur weil diese genauen Wörter nicht verwendet werden, heißt das doch nicht, dass diese Unterscheidung nicht getroffen würde. Hochliteratur gegen Schundliteratur, E- gegen U-Musik, Kunst gegen Kunsthandwerk, die Liste ließe sich fortsetzen. Ich stimme ja den meisten Aussagen des Artikels zu, aber die oben zitierten Sätze sind so allgemein schlicht Unfug.

  3. Unabhängig davon dass es (wie Klaus und Ospero schon richtig schrieben) auch außerhalb des Journalismus Qualitätsuntschiede gibt, ist merkwürdigerweise gerade die Zeitungslandschaft ein Musterbeispiel dafür, wie sich auch Minderwertiges gut verkaufen lässt.

    Um bei Ihren Beispielen zu bleiben: Minderwertige Autos oder Lippenstifte bleiben Nischenprodukte und verschwinden vom Markt. Minderwertiger Journalismus feiert Erfolge, wenn man sich mal die BILD, die Sun oder die Krone ansieht. Alternativ FOCUS oder SpON im Netz, die mittlerweile zu Linkschleudern, Klickserienverbreitern und Livetickeranbietern verkommen sind.

    Vielleicht gibt es ja auch keine Qualitätskunden mehr?

  4. Heini sagt:

    Das Aufhängen an der “Qualität” ist deshalb sinnlos, weil praktisch jeder etwas anderes darunter versteht. Der eine Leser legt Wert auf Hintergründe; der andere möchte schnell informiert werden; ein dritter schätzt meinungsstarke Autoren; der vierte legt allerhöchsten Wert auf Sachlichkeit – alle fühlen sich besonders wohl, wenn ihre Meinung in dem “Qualitätsmedium” stark gespiegelt wird.

    Medien definieren die Qualität dann teilweise über die Auflage oder über die Wirkungsmächtigkeit der Leitartikel. Welche Kennzahlen auch immer herangezogen werden, ein Qualitätsbeweis lässt sich leicht für fast jedes Medium konstruieren.

    Lässt man den Qualitätsbegriff einmal beiseite, finde ich die Argumentation des Autors sehr treffend. Das Selbstverständnis des E-Musik gegenüber der U-Musik ist recht klar definiert (wenn auch nicht immer gerechtfertigt). Was dagegen die FAZ meint, wenn sie von Qualitätsmedium schreibt im Vergleich zur BILD bleibt in der Interpretation dem Leser allein Überlassen.

    Hat die FAZ es dabei überhaupt nötig, sich gegenüber ihrer Leserschaft von der BILD abzugrenzen? Ich bin der Überzeugung, dass die Leser das bereits wissen. Insofern ist die Qualitätsdiskussion der Printmedien ein Zeichen tiefer Verunsicherung. Insgesamt aber wird sehr viel genauer geschaut, ob eine Berichterstattung angemessen passiert.

    Es fallen Themen unter dem Raster hindurch; es gibt einen gewissen Herdentrieb. Insgesamt gibt es aber auch Hintergrundberichte und – zumindest nachgelagert – Diskussionen über den Umgang der Madien mit der Nachrichtenlage.

    Deshalb unterschreibe ich die These des Autors, dass die
    Berichterstattung in vielen Punkten besser geworden ist – auch wenn ich
    naturgemäss nicht mit 1975 argumentieren kann.

  5. Iannis sagt:

    Danke Herr Zimmermann, gäbe es das Internet mit seinen vielfältigen Informationsmöglichkeiten nicht, würde die Deutungshoheit noch immer bei den Joffes und Konsorten liegen. Gott sei Dank kann man heutzutage nicht nur die abonnierte Zeitung lesen um sich seine Meinung zu bilden, sondern Dutzende zu Rate ziehen und vergleichen, auch ausländische und sogar Blogs.

    Um die Berichte auf ihren Gehalt zu prüfen genügen heutzutage schon wenige Klicks, deshalb müssen sich die Leitmedien auch das Qualitätsmäntelchen umhängen, um wenigstens zu verschleiern, dass sie fast alle auf gründliche Recherche zu Gunsten der Aktualität mehr oder weniger komplett verzichten.

  6. Tim sagt:

    Wieder mal ein Beispiel für mangelnde journalistische Sorgfalt.

    Natürlich wird in wirklich jedem Produkt-, Kultur- oder sonstigem Bereich zwischen Angeboten niederer und höherer Qualität unterschieden. Nur wird dafür nicht immer das Q-Wort benutzt.

  7. Philippe Zimmerman sagt:

    Meine Aufgabe als Journalist sehe ich momentan verstärkt darin, die Schäden zu beheben, die meine Kollegen an meiner Leserschaft angerichtet haben.

  8. Uke sagt:

    Wer unterscheidet denn heute noch U- von E-Musik? Das sind doch ziemlich muffige Schubladen. Und Kunst und Kunsthandwerk sind eigentlich zwei komplett unterschiedlichen Kategorien oder? Ach und Hochliteratur klingt auch etwas angestaubt. So nach Göthe oder wie der Typ hieß. Also bisher finde ich diese “Liste” nicht überzeugend.

  9. Pandora sagt:

    “Wer unterscheidet denn heute noch U- von E-Musik?”
    Leute, die E-Musik hören? u. Blogs in denen z.B. Hans Zimmer ganz klar lediglich Gedudel für den Pöbel produziert.

    “Und Kunst und Kunsthandwerk sind eigentlich zwei komplett unterschiedlichen Kategorien oder?”
    Dann halt Kunst/Kitsch.

    Auch zwischen Hochliteratur und Unterhaltungsliteratur wird weiterhin unterschieden; im Englischen spricht man dann aber lieber von literary und popular fiction. Fifty Shades of Grey und Goethe werden allerhöchstens im postmodernen Cultural Studies-Seminar als gleichwertig behandelt (s.a. Buffy Studies).

  10. Ospero sagt:

    U- und E-Musik: Ähm…zum Beispiel so ziemlich jedes Feuilleton und jeder Radiosender? Wo wird denn tatsächlich beides gespielt? (Wobei Jazz heutzutage im Übergang zwischen beiden Schubladen begriffen scheint.) Die Begriffe werden vielleicht nicht mehr verwendet, aber das heißt nicht, dass die Schubladen in den Köpfen nicht mehr da sind.

    Kunst und Kunsthandwerk: Ja. Genau das ist ja der Punkt. Das eine ist “l’art pour l’art”, das andere Massenproduktion für den schnellen Euro/Dollar/whatever. Aber wo genau ist die Grenze? Wenn ein Damien Hirst 100 Millionen Pfund (oder wie viel auch immer) ausgibt, um Diamanten an einen Schädel zu tackern, ist das Kunst oder Kunsthandwerk? Arts oder Crafts?

    Hoch- und Schundliteratur: Seufz. Gleicher Punkt wie bei U- und E-Musik: die Begriffe mögen angestaubt klingen, aber damit ist die Unterscheidung an sich noch längst nicht aus der Welt. Ob das nun zu Beginn des 19. Jahrhunderts Goethe gegen Kotzebue war, im 20. Jahrhundert Agatha Christie gegen James Joyce, oder heutzutage J.K.Rowling (oder gar, Himmel bewahre, Stephenie Meyer) gegen Cormac McCarthy – wobei die Grenzen da heutzutage ein wenig verschwimmen, weil das alles miteinander auf der Bestsellerliste konkurriert. Aber trotzdem käme kein Mensch auf die Idee, “Twilight” oder “50 Shades of Gray” auf Augenhöhe mit wie auch immer definierter “richtiger Literatur” zu sehen.

  11. Ospero sagt:

    Die Antwort wurde offenbar gleichzeitig mit meiner eigenen geschrieben. Zufälle gibts… 😉

  12. Pandora sagt:

    Grundsätzlich fehlen mir bei derartigen Zeitdiagnosen meistens die Zahlen. Aber gut, bleiben wir halt beim Kampf um die persönliche Deutungshoheit.

    Die Durchsetzung des Begriffs “Qualitätsjournalismus”, schiebe ich jetzt böserweise, zumindest in Deutschland darauf, dass der Deutsche nicht nur gerne auf Andere hinabsieht, sondern das am Liebsten mit scheinbarer Objektivität unterfüttert. Journalismus vs. Clickbait ist (mir zumindest) wesentlich sympathischer. Aber zugegeben – der Qualitätswein ist auch nicht gerade ein Qualitätsgarant. Vielleicht gibt es schon bald den Prädikatsjournalismus?

  13. Pandora sagt:

    Verdammt, damit beraubst du mich gerade meiner Einzigartigkeitsillusion! Aber zugegebenermaßen bei dir insg. überzeugender geschrieben – touché 😀

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