Wenn Nachrichten nicht für alle da sind

24. Februar 2015 • Qualität & Ethik • von

Drei Viertel der europäischen Nachrichten haben weiße Männer über 40 als Protagonisten; Frauen machen nur 25 Prozent der Nachrichten aus. Migranten, Menschen mit Behinderung und andere Minderheiten spielen meist eine Nebenrolle oder sind Statisten. Daher sei es dringend notwendig, in Nachrichten auf verschiedenartigere Informationsquellen und Experten zurückzugreifen und gleichzeitig die Ausbildung und Auswahl von Journalisten zu ändern, fordert das Projekt “Mediane”.

Frauen machen die Hälfte der europäischen Bevölkerung aus, dennoch erscheinen sie lediglich in einem Viertel der veröffentlichten Nachrichten – in ökonomischen und wissenschaftlichen sogar in weniger als fünf Prozent. Diese Daten stammen von der World Association for Christian Communication (WACC), der zufolge Migranten zehn Prozent der europäischen Bevölkerung ausmachen, aber in weniger als fünf Prozent der Nachrichten die Hauptrolle spielen. Eine Studie des belgischen Conseil Supérieur de l’Audiovisuel kommt zu dem Schluss, dass Menschen mit Behinderung in Nachrichten hauptsächlich Nebenrollen einnehmen und fast ausschließlich zu Themen mit explizitem Behinderungsbezug vorkommen.

Der Europarat und die Europäische Kommission wollen gegen diese nachrichtliche Unterrepräsentation angehen – nicht nur mithilfe von Journalisten, Studenten und Journalistenausbildern, sondern auch mit dem mittleren und höheren Management von Medienunternehmen. Sie unterstützen das Programm Mediane (Media in Europe for Diversity Inclusiveness), das 2013 und 2014 erstmals durchgeführt wurde und am 14. November 2014 rund 150 Experten zu einer Konferenz in Brüssel zusammenbrachte.

Die Erkenntnisse aus Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen dieser Veranstaltung verdeutlichen, dass Journalisten ihre Informationsquellen und die in Medien präsentierten Experten diversifizieren müssen. Die France Télévisions, die französische öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt, hat ein Barometer zur Erfassung der Quellen und Experten in Nachrichten entwickelt, das die Analyseergebnisse Medienmanagern und Journalisten rückmeldet. „Die Auswirkungen waren eine größere Vielfalt in der Selektion und eine bessere Repräsentation der Gesellschaft im Fernsehen“, bestätigt der stellvertretende Direktor für Informationsvielfalt Stéphane Bijoux, ohne die konkreten Ergebnisse preiszugeben.

Der gleiche Ansatz wird vom belgischen französisch-sprachigen öffentlich-rechtlichen Sender RTBF verfolgt, dessen Intendant Jean-Paul Philippot seit 2012 ein Team auf die Beobachtung der Nachrichten angesetzt hat. Man müsse Innovationen und Diversität schaffen, was Philippot in dem Ausdruck „Innoversität“ zusammenfasst.

Stéphane Bijoux rät Journalistenschulen dazu, Studenten mit unterschiedlichen biografischen Hintergründen auszuwählen – einschließlich der am stärksten benachteiligten: „Wir sind ein öffentlicher Dienst und wichtiger, als nur für Vielfalt in den Inhalten zu sorgen, sei es, die Gesellschaft in der Unternehmensstruktur zu repräsentieren.“

In Frankreich wird diese Praxis am Institut du Journalisme Bordeaux Aquitaine bereits verfolgt, wo jährlich aus 800 Kandidaten 35 ausgewählt werden, die ein Gespür für Vielfalt haben. „Sie übernehmen die Haltung eines Journalisten und obwohl sie aus einem benachteiligten Umfeld stammen, sind sie nicht empfänglicher für soziale Probleme. Jeder bevorzugt es, über Sport oder Kultur zu berichten. Es sind wir, die ihnen beibringen müssen, die Nachrichtenthemen vielfältig zu gestalten. Es gibt eine Tendenz zur Selbstnormalisierung, die mit unseren Bemühungen bei der Auswahl in Konflikt gerät. Aber die Tatsache, dass sie unterschiedliche Hintergründe haben, bereichert alle und verändert die Herangehensweisen der Berichterstattung“, sagt Brigitte Besse, die Verantwortliche für die Rekrutierung von Studenten.

Eigentlich müssten Redaktionen mehr Profis mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen einstellen. In Zeiten des Stellenabbaus im Journalismus sind Festanstellungen jedoch rar. Verantwortliche von europäischen Medienunternehmen berichten, dass es manchmal immerhin Volontäre mit befristeten Verträgen gebe. Angesichts solcher Statements fragt sich der Engländer Michael Smith von der National Union of Journalists (NUI): „Wie können junge Menschen, die Regeln professionellen Verhaltens und der Unabhängigkeit befolgen, wenn sie ums Überleben und für einen Platz in der Redaktion kämpfen?“

Bei der Konferenz wurde auch die „Mediane Box“ vorgestellt, eine Online-Applikation für Journalisten, Journalistenausbilder und die Medienindustrie. Diese Box enthält unter anderem einen Fragebogen zur Selbstkontrolle der alltäglichen redaktionellen Praktiken hinsichtlich Vielfalt und Inklusion. Die Nutzer haben außerdem Zugriff auf multimediale Mittel, die sie in der Veränderung der Praktiken unterstützen können. Die „Mediane Box“ wurde von ungefähr 500 Experten, darunter 80 Prozent Journalisten, aber auch Lehrer, Führungskräfte aus Unternehmen sowie Vertreter von Vereinen, über zwei Jahre lang entwickelt.

Der Beitrag ist eine leicht modifizierte Übersetzung des portugiesischen Originals auf EJO vom 1. Dezember 2014.

Übersetzung: Kathrin Gatzen

 

Bildquelle: Screenshot “Mediane Box

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