Von der Qualitätssicherung zur Qualitätskultur

11. Januar 2011 • Qualität & Ethik • von

Journalistische Qualität im öffentlich-rechtlichen Radio – ein Näherungsversuch

Was ist journalistische Qualität? Und was – bitteschön – ist journalistische Qualität im Radio? Solche Fragen sind aus vielerlei Gründen nicht einfach zu beantworten. So wenig wie es den Journalismus und den Hörfunk schlechthin gibt, so wenig kann es die journalistische Qualität im Radio geben.

Ehrlicherweise müssen wir uns wohl zunächst eingestehen, dass der Journalismus bei vielen Hörfunksendern mehr und mehr zu einer Restgröße geworden ist: Nachrichtensendungen sind aufs Dreiminuten-Format zusammengeschnurrt, ausführlichere Hintergrund-Information ist von Musik und Unterhaltung verdrängt worden. Selbst dort, wo der Wortanteil in Programmen noch nennenswert ist, dominiert meist die Plauderei. Nur wenig von dem, was über den Äther geht, lässt sich noch genuin als Journalismus bezeichnen. Die meisten Hörfunk-Moderatoren sind eher Entertainer, und viele von ihnen wissen auch längst keine Trennlinie mehr zwischen Public Relations und Journalismus zu ziehen.

Lohnt es also womöglich schon gar nicht mehr, sich über journalistische Qualität im Radio den Kopf zu zerbrechen? Ganz im Gegenteil: Gerade weil es Qualitätsprobleme gibt, sollten wir uns mit Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement im Hörfunk beschäftigen.

Resistenz – trotz Fehlentwicklungen

Der Journalismus zeigt sich allerdings bisher- auch hier ist die SRG eine Ausnahme von der Regel – gegenüber Qualitäts-Initiativen ziemlich resistent. Praktiker, die man danach befragt, sehen entweder argwöhnisch journalistische Unabhängigkeit bedroht. Oder sie verweisen auf den hohen Produktionsdruck, die Deadlines und die Personalengpässe – sowie immerhin auf den Gegencheck bei der Abnahme, der zumindest in halbwegs professionell geführten Redaktionen üblich ist, bevor ein Beitrag gesendet wird.

Ansonsten, so mokiert sich der amerikanische Chefredakteur Frank Denton über seinen Berufsstand, nutzten sie und ihre Kollegen als Erfolgsmaß noch immer „die Zahl der Köpfe, die wir an unsere Wand pinnen können, weil sie aus dem Amt gejagt oder gar ins Gefängnis geworfen wurden.“ Der Journalismus verharrt hier eben ganz offensichtlich auf dem Entwicklungsstand steinzeitlicher Sammler- und Jäger-Kulturen – möchte man hier am liebsten sarkastisch hinzufügen. Jedenfalls hat er fraglos Qualitätsprobleme.

Beweiskräftiger für Fehlentwicklungen als Einzelbeispiele sind Statistiken, die nachhaltig Qualitätssicherungs-Bedarf signalisieren. So hat auch in der Schweiz die Bereitschaft, sich  bei der UBI zu beschweren oder gar Medienunternehmen und Redaktionen vor Gericht zu verklagen, stark zugenommen.

Außerdem haben die Medien an Glaubwürdigkeit verloren. Für Fernsehen und Radio sind die entsprechenden Werte in den Keller gesackt.

In den USA wurden schon vor Jahren erste Forschungsergebnisse präsentiert, die im wesentlichen belegen, dass Publika oftmals realistischer als die Journalisten selbst einschätzen, wie fehleranfällig Redaktionsarbeit ist und wie leicht sie sich fremdsteuern lässt.

Gründe für die Vernachlässigung des publizistischen Qualitätsmanagements

Empirisch gesicherte Daten gibt es also genug, die es nahelegen, sich vermehrt mit Qualitätssicherung im Journalismus zu befassen. Machen wir uns indes nichts vor: Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement werden sich nicht als „Selbstläufer“ in der gesamten Medienbranche durchsetzen, auch wenn es stets Marktsegmente gegeben hat, wo der Qualitätswettbewerb funktioniert.

Wachsendes Interesse an Qualitätssicherung?

Immerhin gibt es erste Anzeichen, dass sich manches ändern könnte. Noch ist es sicher zu früh, von einer „Konjunktur“ zu sprechen. Aber zumindest Aufgeschlossenheit für Qualitätssicherungs-Initiativen ist inzwischen vielerorts zu konstatieren. Vielleicht stehen wir ja sogar am Beginn eines Aufmerksamkeitszyklus, der dem Qualitätsmanagement mit einigen Jahren Verspätung im Mediensektor zum Durchbruch verhelfen könnte. Ganz so aussichtslos, wie das Zynikern scheinen mag, ist es jedenfalls nicht, die Medienbranche mit Qualitätsansprüchen zu konfrontieren. Die Bewegung ist im Vormarsch und gewinnt an Momentum – und dafür gibt es Gründe und Indizien.

Qualitätsverfall ruft Gegenbewegungen hervor. „Anything goes if it sells“ – die allzu simple These, dass alles Qualität sei, was sich verkaufen lässt, mag rein betriebswirtschaftlich betrachtet, sich da und dort bestätigen. Mit Qualitätsvorstellungen, die sich an Normen journalistischer Professionalität orientieren, sind sie so wenig vereinbar wie Frischzellenkuren mit seriöser Medizin.

Nicht nur in der Bevölkerung, auch in der Politik wächst im übrigen das Unbehagen über die Medien – und zwar nicht nur in der bereits abgetretenen Politiker-Generation, in der sich ja Helmut Kohl und Oskar Lafontaine kaum irgendwo sonst so einig waren wie bei der Verschärfung des Presserechts.

Die Medien thematisieren sich außerdem in rapide zunehmendem Maße selber – und damit wächst womöglich ebenfalls das Qualitätsbewusstsein der Kunden. Aber nicht nur das: Journalisten und Medienmanager werden damit auch immer häufiger selbst Gegenstand und damit „Opfer“ von Medienberichterstattung. Bekanntermaßen sind Journalisten äußerst empfindsam, wenn an ihnen herumkritisiert wird – und die schiere Erfahrung, einmal auf der anderen Seite zu erleben, wie pack journalism funktioniert und wie wehrlos man ihm ausgeliefert sein kann, zeitigt in den USA bereits sehr heilsame Effekte.

Medienbetriebliches Qualitätsmanagement, infrastrukturelle Qualitätssicherung

Immerhin scheint somit inzwischen für publizistische Qualitätssicherung die „Sensibilisierungsphase“ erreicht. Im redaktionellen Bereich steht dabei das produktionsbegleitende Qualitätsmanagement im Vordergrund, das sich auf den jeweiligen Produktionszyklus erstreckt und zur Alltagsroutine gehören sollte.. Typischerweise geht es dabei um prozessbegleitende Schritte, die im linken Mittelfeld der Qualitätssicherungs-Matrix aufgelistet sind.

Ein angemessenes Qualitätsmanagement muss diese qualitätssichernden Alltagsroutinen allerdings in den größeren, strategischen Kontext einbetten. Qualitätssicherung ist eben auch nicht allein eine redaktionelle Aufgabe, sondern hat auch eine überbetriebliche, ja sogar eine gesellschaftliche Dimension.

Letztlich erfolgen Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung

  • marktorientiert: Das redaktionelle Angebot ist in regelmäßigen Abständen mit Hilfe von Marktforschung daraufhin zu analysieren, ob es den Publikumsbedürfnissen und –wünschen hinreichend Rechnung trägt. Gestützt auf solche Daten, ist innerredaktionell Personalentwicklung zu betreiben, sind Ressortstrukturen, Produktionsroutinen und Budgets zu überprüfen.
  • abteilungsübergreifend: Das redaktionelle Produkt wird nur dann marktgerecht sein und Publika zu binden vermögen, wenn auch die Qualität anderer, komplementär zu erbringender Leistungen des Medienunternehmens „stimmt“. Flankierend bedarf es, ohne die redaktionelle Autonomie zu gefährden, der Abstimmung parallel laufender Aktivitäten des Qualitätsmangements in den anderen Abteilungen, z.B. in der Technik, bei der Akquisition von Werbekunden und in der hauseigenen PR-Abteilung. Es sind eben übergreifende Anstrengungen in Richtung auf total quality management gefragt.
  • infrastrukturell: In der Publizistik ist Qualitätsmanagement mehr als anderswo Kommunikationsmanagement. Qualitätssicherung kann nur gelingen, wenn es auch auf überbetrieblicher Ebene ein Netzwerk von Initiativen und Institutionen gibt, die untereinander kommunizieren und sich wechselseitig beeinflussen und ergänzen.

Wie die Matrix veranschaulicht, rankt sich um den Kernbereich innerredaktionellen und medienbetrieblichen Qualitätsmanagements also ein Kordon solcher Infrastrukturen, die ihrerseits präventiv, produktionsbegleitend und korrektiv oder auch prämierend zur publizistischen Qualitätssicherung beitragen.

Von ganz besonderer “strategischer” Bedeutung sind dabei drei Bereiche, die zumindest in Deutschland gerade bei den audiovisuellen Medien noch völlig unterentwickelt sind: die Bereitschaft zur Berichtigung bzw. zur Fehlerkorrektur, die Einrichtung von Beschwerdeinstanzen sowie generell der öffentliche Diskurs über Medien und Journalismus im Rahmen von Medienjournalismus.

Qualitätssicherung durch Fehlerkorrektur

Ein erster entscheidender Schritt zu mehr Qualität ist freiwillige Fehlerkorrektur. In den USA ist die New York Times mit gutem Beispiel vorangegangen. Dort sind inzwischen Correction Corners zumindest bei Printmedien, die etwas auf sich halten, zur Selbstverständlichkeit geworden. Die New York Times steht dabei nach wie vor in dem Ruf, besonders konsequent vorzugehen, um auf diese Weise ihre Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Inzwischen finden sich nicht nur auf Seite 2 täglich mehrere Berichtigungen, sondern oftmals weitere in den einzelnen Büchern. Sie erläutert gelegentlich auch in sogenannten „editor’s notes“ den Publika zusätzlich das Zustandekommen redaktioneller Entscheidungen oder Fehler. Wichtig ist im übrigen nicht nur, ob es Fehlerkorrektur gibt, sondern auch, wie gründlich und systemtisch sie betrieben wird.

Im Rundfunk ist Bereitschaft zur Fehlerberichtigung bedauerlicherweise noch kaum irgendwo gegeben – wohl auch, weil angemessene Sendeplätze dafür nur schwer zu finden sind. Trotzdem haben auch Hörfunk-Nutzer ein Recht, von ihrem Medium verlässlich informiert zu werden – und das schließt eigentlich unabhängig vom Medium die Bereitschaft zur Berichtigung mit ein, wenn einer Redaktion Fehler unterlaufen sind.

Qualitätssicherung durch Ombudsleute

Eine weitere qualitätssichernde Institution sind Ombudsleute. Sie fungieren als Anlaufstellen für die Publika und gehen Beschwerden nach, greifen Anregungen auf, vermitteln gegebenenfalls und „steuern“ so die Kommunikation zwischen Öffentlichkeit und Redaktion. Nicht zuletzt betreiben sie im guten Sinne Public Relations,auch wenn die Ombudsleute diese Funktion in der Regel nicht so recht wahrhaben wollen. Sind sie mit eigenen Beiträgen im Blatt oder Programm vertreten, wirken sie jedenfalls auf diese Weise sowohl medienpädagogisch als auch vertrauensbildend.

In der Schweiz sind solche Ombudsleute bei Radiosendern Vorschrift. De facto spielen sie aber kaum eine Rolle…

Qualitätssicherung durch Medienjournalismus

Die Medien sind in der Demokratie mächtiger und wichtiger, als sie gemeinhin selbst wahrhaben wollen. Als „vierte Gewalt“ kontrollieren und kritisieren sie nicht nur die Legislative, Exekutive und Judikative, sondern sie prägen und gestalten auch den öffentlichen Diskurs in und über Wirtschaft und Gesellschaft. Allein schon die Aussicht, von den Medien an den Pranger gestellt zu werden, hat einen heilsamen, präventiven Effekt. Jeder, der nicht ertappt und bloßgestellt werden möchte, wird es sich zweimal überlegen, ehe er sich – beispielsweise – korrumpieren lässt oder sich in andere illegale Aktivitäten verstrickt.

Doch wie ist es um die Kontrolle der Kontrolleure bestellt? Es gibt da und dort Presseräte, Ombudsleute, Landesmedienanstalten und andere Instanzen, die den Journalismus und die Medien kritisch begleiten. Doch sie bleiben alle (bis auf die Justiz) weitgehend wirkungslos, wenn nicht die Medien selbst ihnen zu Publizität verhelfen. Deshalb spielt – wie bereits angedeutet – die Berichterstattung über Journalismus und Medien, also der Medienjournalismus, bei der publizistischen Qualitätssicherung eine zentrale Rolle. Wenn er funktioniert, ist er so etwas wie die „fünfte Gewalt“, welche die vierte beaufsichtigt.

Allerdings ist Medienjournalismus so etwas wie Journalismus unter erschwerten Bedingungen. Die Konzentration in der Branche schreitet fort – und deshalb berichterstatten zumindest die konzernzugehörigen Redaktionen fast immer entweder über das eigene Haus oder über die jeweilige Konkurrenz. Die Versuchung ist groß, sogenannte „Synergien“ zu erzielen, indem der redaktionelle Teil für „verdeckte“ Public Relations zugunsten des eigenen Unternehmens genutzt und dort klammheimlich z.B. hauseigene Bücher oder Fernsehsendungen vermarktet werden. Und nicht minder gibt es Tendenzen, die Konkurrenz totzuschweigen oder zu verunglimpfen. Auch so etwas wie „Stillhalte-Abkommen“ unter Chefredakteuren, die sich ja meist auch persönlich kennen, sollen vorkommen. In anderen Professionen kratzt ja bekanntlich auch die eine Krähe der anderen kein Auge aus…

Von der Qualitätssicherung zur Qualitätskultur

Unsere bisherigen Überlegungen waren möglich, ohne die eingangs gestellte Frage nach der journalistischen Qualität explizit zu beantworten – was freilich nur heißt, dass implizit Qualitätskriterien und –konzepte zugrunde gelegt wurden, die im Journalismus konsensfähig, wenn auch kaum irgendwo in der und für die Medienpraxis verbindlich kodifiziert sind.

Wenn der Schritt von der Qualitätssicherung hin zum aktiven Qualitätsmanagement oder gar zur Entwicklung einer Qualitätskultur in der Redaktion gelingen soll, wird die Redaktionsleitung allerdings nicht umhin kommen, gemeinsam mit allen Mitarbeitern Ziele und Qualitätskriterien der redaktionellen Arbeit präzise zu formulieren.

Zielkonflikte zwischen verschiedenen publizistischen Qualitätskriterien lassen sich am besten mit Hilfe des magischen Vielecks veranschaulichen.

Magisches Vieleck

Jede Redaktion, die ernsthaft Qualitätssicherung betreiben möchte, muss sich erst einmal der Herausforderung stellen, im Blick auf ihre jeweiligen Zielgruppen und Rahmenbedingungen ihre eigenen Ziele und Prioritäten zu fixieren. Das magische Vieleck kann dabei nicht mehr als eine Orientierungshilfe sein, macht aber immerhin deutlich, dass zwischen den verschiedenen Qualitätskriterien Zielkonflikte bestehen und es nahezu unmöglich ist, alle gleichzeitig erreichen zu wollen.

Weil das Radio ein besonders schnelles Medium ist, werden Hörfunk-Redaktionen in der Regel der Aktualität besonders hohen Rang einräumen. Weil Radio-Redakteure wissen, dass die meisten ihrer Hörerinnen und Hörer das Medium „nebenbei“ benutzen, also nicht allzu konzentriert zuhören, und weil außerdem das Ohr als Sinnesorgan ohnehin weniger aufnahmefähig ist als das Auge, kommt außerdem dem Kriterium Verständlichkeit eine hohe Priorität zu. Und weil sich Radioprogramme leichter interaktiv gestalten lassen als beispielsweise Zeitungsseiten, werden kluge Programmm-Macher darüber nachdenken, wie sie die Hörerbindung intensivieren können, indem sie ihre Publika in die Sendungen mit einbeziehen.

Gleichwohl wird solch ein Kriterien-Ranking, das ja nichts anderes ist als ein Zielfindungs-Prozess für die jeweilige Redaktion, von Fall zu Fall anders aussehen: Wer eine Jugend-Sendung betreut, braucht einen anderen Kriterien-Mix als die Nachrichten-Redaktion, und für eine Ratgeber-Sendung bedarf es wiederum anderer Qualitäts-Maßstäbe als für das Stadtmagazin eines Lokalsenders. Für alle gilt indes, dass Qualität erst dann überprüfbar wird, wenn man sich vorher auf Qualitätskriterien und deren Gewichtung verständigt.

Literatur:

Cooper, Glenda/Whittle, Stephen. Privacy, Probity and Public Interest. Oxford: Reuters Institute, 2009. http://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk

Russ-Mohl, Stephan. Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA. Konstanz: UVK, 2009

Russ-Mohl, Stephan/Fengler, Susanne. Der Journalist als “Homo oeconomicus”. Konstanz: UVK, 2005

Sommer, Katharina et al. Wirtschaftsberichterstattung im Rundfunk der Schweiz. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zu Unterschieden zwischen den Sprachregionen. In : Studies in Communication Sciences, 1/2011

Erstveröffentlichung: Gazzetta ProLitteris Nr. 2 / 2010

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