Wenn sie nur wüssten, was sie alles dürfen!

14. Januar 2014 • Qualität & Ethik • von

Wenn Journalisten nicht ungestört arbeiten können, leiden darunter nicht nur sie selbst, es beeinträchtigt auch die Qualität, die beim Publikum ankommt. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Erkenntnisse der Wissenschaftler um Patricia Aufderheide, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der American University, recht beunruhigend.

Denn in ihrer aktuellen Studie „Copyright, free speech and the public’s right to know“, erschienen in Journalism Studies, stellten sie fest: Viele US-Journalisten haben keinerlei Kenntnis von den Urheberrechtsbestimmungen in ihrem Land – manchmal scheitern deshalb gar komplette Veröffentlichungen.

Wie beeinflussen die neuen Herausforderungen, die das digitale Zeitalter für den richtigen Umgang mit geschütztem Material mit sich bringt, die Arbeit von Journalisten? Diese Frage stellten sich die Forscher vor dem Hintergrund einer etwas paradoxen Situation in den USA: Auch wenn es in den Staaten weitreichende Ausnahmen vom Urheberrecht für Journalisten gibt, haben  Platten- und Produktionsfirmen sowie andere Konzerne in den vergangenen Jahren ein dichtes, quasi lückenloses Netz urheberrechtlicher Schutzansprüche errichtet.

„Journalisten sehen sich einer Umwelt gegenüber, die so stark wie nie zuvor durch geschützte Inhalte geprägt ist“, konstatieren die Autoren um Aufderheide. Das führe dazu, dass immer häufiger Unsicherheiten über die rechtliche Anwendbarkeit der Ausnahmen bestehen. Journalisten in den USA steckten im Zweifel eher zurück. Dabei bieten die Rahmenbedingungen ihnen eigentlich viel weitreichendere Rechte als sie etwa deutsche Journalisten genießen.

Um zu erfassen, wie gut die Journalisten mit den urheberrechtlichen Regelungen vertraut sind, befragten Aufderheide und ihre Forscherkollegen 82 im digitalen Bereich tätige Journalisten in den USA. 20 von ihnen arbeiteten bei Onlinemedien im herkömmlichen Sinne, 26 betreuten Onlineauftritte von Printmedien, 15 arbeiteten bei Radio- und acht bei TV-Sendern. Elf der befragten Journalisten belieferten TV-Sender oder arbeiteten als freie Journalisten, die auch mit einer eigenen Webpräsenz vertreten waren. Einige Personen führten mehrere der benannten Tätigkeiten aus.

Wie die Interviews zeigten, wussten die meisten Journalisten nicht, dass Daten und Fakten gar kein urheberrechtlicher Schutz gebührt. Viele scheuten die Arbeit mit ihnen zugänglichen, aber von anderen formulierten Sachverhalten, obwohl diese ohne Erlaubnis und ohne Honorar weiter verarbeitet und verbreitet werden dürfen. Doch viel gravierender ist der Befund, dass fast alle befragten Journalisten die Doktrin der fairen Nutzung, einen Ausnahmetatbestand des Urheberrechts in den USA, nicht kannten – worunter ihre Arbeit teils erheblich litt.

Diese Klausel regelt, dass geschützte Inhalte immer dann eingebunden werden dürfen, wenn dadurch die öffentliche Bildung, für die Öffentlichkeit relevante Diskussionen oder aber auch hilfreiche Erfindungen angeregt werden. Kurz gesagt, das öffentliche Interesse an einer Verwendung des Materials sollte den Wertverlust des Urhebers überwiegen oder zumindest ausgleichen, der Nutzungsumfang muss dementsprechend angemessen sein.

Während Fair Use nicht nur für den Journalismus, sondern etwa auch für Künstler und Forscher gilt, gibt es einige explizite Regelungen, die besonders die Arbeit der Medienmacher und ihre Berichterstattung betreffen: Sie dürfen geschütztes Material dann in gewissem Umfang nutzen, wenn sie dieses kommentieren, den Inhalt des Materials an sich explizit kritisieren, parodieren, oder darüber nachrichtlich berichten.

Ohne die Regelungen zu kennen, handelten die von Aufderheide und ihren Kollegen befragten Journalisten im Alltag häufig intuitiv richtig. Viele Befragte nutzten geschütztes Material, weil sie dachten, sie seien aus anderen Gründen vom Urheberrecht ausgenommen, etwa weil sie als Journalisten besseren Informationszugang benötigen, um ihre Arbeit zu machen. Andere dachten irrtümlicherweise, Regierungsdokumente seien per se nie rechtlich geschützt und offen nutzbar, genauso wie Material, das Organisationen für die Presse erstellen, um damit ihre Informationen und Einschätzungen zu kommunizieren.

Teils gab es aber auch gravierende Fehleinschätzungen: So glaubte ein TV-Journalist, nach dem Tod Michael Jacksons wären dessen Songs automatisch nicht mehr geschützt. Tatsächlich durften die Medien im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Jacksons Tod Musikausschnitte im großen Umfang nutzen –weil mit ihm eine Person der kulturellen Zeitgeschichte gestorben war und der Tod für viele Fans eine große Bedeutung hatte. Die Schutzrechte waren keineswegs entfallen.

Solch mangelndes Wissen kann in den USA für Journalisten und Medien richtig teuer werden – so können Verstöße gegen das Urheberrecht laut Aufderheide schnell sechsstellige Beträge kosten. In einigen Fällen rächte sich das Unwissen der befragten Journalisten über das Urheberrecht auch noch in anderer Form: Statt ihre Rechte nach dem Prinzip des Fair Use abzuwiegen, nutzten die meisten Journalisten in solchen Zweifelsfällen weniger anschauliches Material, wodurch die Beiträge den Interviews zufolge für das Publikum unverständlich wurden.

Teils verhinderten auch Hausjuristen, die ebenfalls nicht mit den Details des Urheberrechts betraut waren, dass Journalisten legitim nutzbares Material verwendeten. TV-Beiträge mussten deshalb mit einer Bilderauswahl auskommen, die nicht zum Sprechertext passte – für den Zuschauer ergab sich dadurch eine schwer zu erfassende Bild-Text-Schere. Ein Radiobeitrag, der lizensiertes Material beinhalten sollte, wurde von einem Podcast ausgeschlossen und so dem breiten Online-Publikum des Senders verwehrt.

Wenigstens in einem Fall waren sich alle befragten Journalisten einig: Die Frage, ob sie brisante Regierungsdokumente mit geschütztem Inhalt verwenden würden, bejahten diese, ohne zu zögern. Als Motiv gaben die Journalisten an, sie müssten schließlich eine gesellschaftliche Rolle als Watchdog erfüllen. Unterbewusst gaben auch viele Journalisten die Eckpfeiler des Fair Use korrekt wider: Sie würden die Materialien nur so umfangreich nutzen, dass dadurch die Brisanz und die Relevanz der Berichterstattung deutlich würde.

Die Doktrin des Fair Use sichert die Arbeit der US-Journalisten also ziemlich umfassend, sofern sie ihre Rechte nutzen. Dies unterscheidet die Rahmenbedingungen in den Staaten stark von denen in Deutschland. Hier greift ein fester Katalog an Ausnahmen vom Urheberrecht. Journalisten dürfen zum Beispiel einen Pressespiegel aus Artikeln anderer Medien erstellen und zitieren, um das Gesagte einzuordnen oder zu kommentieren. In Artikel 50 des Urheberrechtsgesetzs heißt es außerdem: „Zur Berichterstattung über Tagesereignisse (…) ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.“

Es gibt keine Abwägung im Einzelfall wie in den USA. Dies bekam im vergangenen Jahr etwa die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) zu spüren. Sie hatte ausschließlich für das Parlament bestimmte Dokumente über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr geleakt und sich damit eine Abmahnung und später sogar eine Klage des Bundesverteidigungsministeriums wegen Urheberrechtsverletzung eingehandelt. Da die Dokumente Eigentum des Ministeriums waren, von keiner der festgeschriebenen Ausnahmen vom deutschen Urheberrecht eingeschlossen wurden und nicht für Medien gedacht waren, verstieß die Veröffentlichung tatsächlich gegen das Gesetz.

Experten sehen generelle Probleme in diesen engen Ausnahmetatbeständen. Der Medienrechtler Markus Kompa erklärte etwa im Interview mit der taz: „Im Urheberrecht gibt es nach bisheriger deutscher Rechtsprechung keine Ausnahme zugunsten eines Berichtsinteresses.“ Auch andere Juristen schätzen die unflexiblen deutschen Regelungen als problematisch ein. Axel Metzger von der Leibniz-Universität Hannover kritisiert: „Dieser einseitige Regelungsansatz in Deutschland steht im Widerspruch zu (…) dem verfassungsrechtlich gebotenem Ausgleich zwischen den Eigentumsrechten der Urheber bzw. Verwerter und dem Allgemeininteresse im Sinne der Sozialbindung des geistigen Eigentums.“ Er fordert deshalb eine Novelle des Rechts auf EU-Ebene mit Orientierung an der US-Regelung des Fair Use: „Das künftige europäische und deutsche Urheberrecht sollte das Beste aus beiden Welten verbinden.“

Dies könne etwa erreicht werden, indem der Schrankenkatalog nicht abschließend deklariert wird. Eine andere Option wäre laut Metzger eine Ergänzung der bisherigen gesetzlichen Schrankenbestimmungen durch eine „kleine Generalklausel“, die bei öffentlichem Interesse die Verwendung ermöglicht. Dazu solle ein Prüfungsmechanismus konzipiert werden, der abwägt, wie groß der öffentliche Nutzen einer Wiederverwertung ist und wie umfangreich dementsprechend das Material verwendet werden darf. „Auf diese Weise würde die dringend erforderliche ‚Waffengleichheit’ zwischen den verschiedenen Interessengruppen wieder hergestellt“, analysiert Metzger.

Allerdings ist auch die Situation in den USA nicht optimal, immer wieder zeigt sich, wie undurchdringlich der Dschungel urheberrechtlicher Regelungen ist. Das 1976 erlassene Copyright-Gesetz wurde 1998 durch den Digital Millennium Copyright Act ergänzt, der etwa Webhostingfirmen dazu verpflichtet, geschützte Inhalte, die ihre Nutzer widerrechtlich online veröffentlichen, zu sperren. 2012 führte dies dazu, dass in den USA mehr als eine Millionen Blogs vorübergehend geschlossen wurden. Ein Nutzer hatte auf seinem Blog gegen das Urheberrecht verstoßen und da seine Webpräsenz mit etlichen anderen über eine gemeinsame WordPress-Installation gekoppelt war, schaltete der Host kurzerhand alle Angebote ab.

Aufderheide und ihren Wissenschaftlerkollegen geht es in ihrer aktuellen Studie allerdings eher um die psychosozialen Auswirkungen des dichten Geflechts aus Urheberrechten. „Diese Studie zeigt, dass Journalisten im Zweifel Selbstzensur betreiben, was zu Verzögerungen ihrer Arbeit führt, manchmal auch höhere Kosten nach sich zieht oder sogar bedeuten kann, dass sie ihre journalistische Mission nicht erfüllen können“, schreiben sie.

Die Autoren kritisieren vor allem das mangelnde Basiswissen der Journalisten im Umgang mit ihren Rechten – und dass dieser Aspekt offenkundig in der redaktionellen Ausbildung keine Rolle spiele. Dies führe vor allem dann zu Problemen, wenn die Journalisten von ihren Arbeitsroutinen abweichen müssen. Sie könnten ihre Erfahrungen nicht auf neue Situationen übertragen: „Sobald die Journalisten Fair Use aktiv anwenden sollten, etwa um neue Formate im digitalen Bereich zu bestücken, waren die Befragten häufig nicht in der Lage, eine rechtzeitige Entscheidung zu treffen oder diese gegenüber ihren Vorgesetzten mit guten Argumenten zu verteidigen.“

Aufderheide und ihre Kollegen haben deshalb in Zusammenarbeit mit der Society of Professional Journalists und dem Center for Social Media der American University eine Initiative gestartet, um Medienmacher zu informieren. Gemeinsam mit aktiven Journalisten haben sie Leitlinien für Fair Use erarbeitet – damit Reporter, Autoren und Redakteure künftig wissen, was sie im Interesse der Öffentlichkeit so alles dürfen.

Aufderheide, Patricia; Boyles, Jan Lauren; Bieze, Katie (2013): Copyright, Free Speech, and the Public’s Right to Know. Journalists and Fair Use. In: Journalism Studies, 14. Jg., H. 6, S. 875-890.

Bildquelle: Alexander Klaus / pixelio.de

 

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