Zwei “Patentrezepte” für mehr journalistische Qualität

16. April 2004 • Qualität & Ethik • von

Werbewoche, Nr. 14, 2004

Es irritiert, wie wenig Aufmerksamkeit Medienpraktiker bisher einem der wichtigsten Probleme journalistischen Qualitätsmanagements widmen: Der Erfassung, Reduktion und Korrektur von Berichterstattungs-Fehlern. Auch die Forschung hierzu steckt noch in den Kinderschuhen. Für die journalistische Glaubwürdigkeit wären zwei Initiativen wichtig, die noch nicht einmal viel Geld kosten.

Wahrscheinlich sind die Schweizer Medien schon jetzt rekordverdächtig, wenn es um die Bereitschaft zur Rück-Kopplung mit den Publika geht. Leserpost wird von den meisten Blättern angemessen gewürdigt. Das «St. Galler Tagblatt» hat jetzt ihrem «Merker», der das Blatt von aussen kritisch begleitet, eine Studentin als «Jugend-Merkerin» hinzugesellt, die der nachwachsenden Generation Stimme verleihen soll und die einmal pro Monat in der Zeitung deren redaktionelles Angebot aus Sicht der jungen Generation bewertet. Ombudsleute, an die man sich mit Beschwerden wenden kann, gibt es nicht nur bei Radio und Fernsehen, wo sie gesetzlich vorgeschrieben sind. Auch einige Verlagshäuser haben solche Instanzen. Bei der «Neuen Luzerner Zeitung» gibt es gar seit einigen Jahren einen Leserschaftsrat. Der Presserat agiert rühriger und sichtbarer als vergleichbare Gremien sonst irgendwo auf der Welt.

Andererseits scheint keine dieser Instanzen ernsthaft von Arbeitsüberlastung bedroht, auch wenn die Eingaben an den Presserat in den letzten Jahren drastisch zugenommen haben. Die meisten Medien begnügen sich auch in der Schweiz letztlich damit, die Zustimmung ihrer Publika an der Auflagenentwicklung oder der Einschaltquote zu messen. Einige Marketing-Abteilungen ermitteln darüber hinaus gewiss die näheren Gründe, wenn es zu Abbestellungen kommt. Vor vielen Jahren hat ja bereits der in die USA emigrierte Ökonom Albert O. Hirschman darauf aufmerksam gemacht, welch kostbare Information es für ein Unternehmen ist, wenn Kunden ihre Unzufriedenheit artikulieren – statt stumm zu bleiben und einfach abzuwandern.

Das insgesamt erfreulich qualitätsbewusste Klima in den Schweizer Redaktionen könnte indes der Nährboden für weitergehende Initiativen sein. Dabei denke ich nicht einmal primär an mehr Marktforschung, die teuer ist, aber sich ohnehin durchsetzen wird.

Es irritiert eher, wie wenig Aufmerksamkeit Medienpraktiker bisher einem der wichtigsten Probleme journalistischen Qualitätsmanagements widmen: Der Erfassung, Reduktion und Korrektur von Berichterstattungs-Fehlern, die Redaktionen im schnellebigen Geschäft mit Nachrichten tagtäglich unterlaufen. Auch die Forschung hierzu steckt noch in den Kinderschuhen. Für die journalistische Glaubwürdigkeit, die es zu erhalten, ja sogar vielfach beim Publikum zurückzugewinnen gilt, wären zwei Initiativen wichtig, die noch nicht einmal viel Geld kosten. Sie sind so simpel, dass man geneigt ist, sie als «Patentrezepte» anzupreisen:

Erstens sollten Redaktionen freiwillig und tagtäglich Berichterstattungs-Fehler korrigieren, die ihnen am Vortag unterlaufen sind. Amerikanische Zeitungen tun das seit Jahr und Tag, und ihre Leserinnen und Leser wissen derlei Redlichkeit zu schätzen.

Die zweite Anregung: Journalisten sollten sich in regelmässigen Abständen reihum bei ihren Informanten zurückmelden und mit einem kurzen Fragebogen erkunden, ob ihre Fakten-Berichterstattung korrekt war, ob Deutungen als fair empfunden wurden und ob es noch wichtige Gesichtspunkte gibt, die nicht in der Zeitung gestanden haben.

Der zweite Vorschlag stammt übrigens von Jim Chisholm, der für die World Association of Newspapers weltweit die Fortschritte der Zeitungsredaktionen beim Qualitätsmanagement beobachtet. Er wundert sich zugleich, weshalb seine Anregung bei Chefredaktoren auf so wenig Gegenliebe stösst. Der Nutzen einer solchen Aktion sei nämlich enorm: Sie sei ein «klares Signal, dass die Redaktion sich um die Genauigkeit der Berichterstattung ernsthaft kümmert». Jeder Leser spüre so, dass er ein Recht habe, sich zu Wort zu melden. In kürzester Zeit bekomme man ein Bild, wer in der Redaktion handwerklich fortgebildet werden sollte. «Und ausserdem enthält eine von drei Rückmeldungen eine Anregung für eine Follow up-Geschichte», weiss Chisholm zu berichten. Das Beste zum Schluss: Die Redaktionen könnten hier sogar ohne Berater-Verträge und wissenschaftlichen Beistand zum grossen Sprung nach vorn ansetzen.

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