Mörderischer Wettbewerb

13. Oktober 2014 • Qualität & Ethik • von

Erfreulicherweise gibt es immer mal wieder Wissenschaftler, die auf den Irrsinn aufmerksam machen: Auf die Publikationszwänge, denen junge Forscher unterliegen, und auf den brutalen Wettbewerb, dem sie sich stellen müssen. Thomas Hanitzsch, der an der Universität München lehrt und ein grossangelegtes Projekt leitet, in dem er zusammen mit Kollegen die Journalismuskulturen in 21 Ländern dieser Welt vergleicht, hat jetzt (in einem Essay für Journalism Studies) beklagt, zu welch absurden Ergebnissen der „Goldstandard“ führe, mit dem wir Forschungsproduktivität messen.

4800 Fachartikel seien allein 2012 in kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert worden, 1999 seien es noch 980 gewesen. Niemand wird indes behaupten wollen, der Erkenntnisgewinn habe sich seither nahezu verfünffacht. Was sich indes dramatisch vervielfacht hat, ist der Aufwand, um in einem ehrenamtlichen „Peer reviewing“-System diese Publikationsflut zu kanalisieren und die Spreu vom Weizen zu scheiden, denn nicht alle zur Veröffentlichung vorgeschlagenen Aufsätze werden ja tatsächlich publiziert. Hanitzsch, der selbst die Fachzeitschrift Communication Theory editiert, beklagt, was viele Fachkollegen hinter vorgehaltener Hand bestätigen: Dass die Auswahlverfahren keineswegs zuverlässig funktionierten, und dass wir immer mehr mit sogenannten Impact-Faktoren und Zitations-Häufigkeiten hantieren, die eigentlich nichts, aber auch gar nichts über die wissenschaftliche Qualität eines Forschungsbeitrags aussagen. Leider wird so nicht nur über die Veröffentlichung von Aufsätzen, sondern auch über die Vergabe von Millionen und Abermillionen staatlicher Forschungsgelder entschieden.

Nur in einem Punkt irrt Hanitzsch. Er schreibt, der Wissenschaftsbetrieb werde zunehmend von „ökonomischer Logik“ bestimmt. Damit tut er den Ökonomen bitter unrecht, denn die sollten sich ja gerade um einen möglichst effektive und effiziente Verwendung kostbarer Ressourcen kümmern. Der Wissenschaftsbetrieb leidet aber am Gegenteil, an zu viel Hochschulbürokratie, organisierter Unverantwortlichkeit intransparenter Gremien, und damit an fehlgeleitetem Wettbewerb. Wann endlich werden auch andere Medien- und Sozialforscher aufwachen und diesen kleinen, aber feinen Unterschied erkennen?

Bildquelle: Michael / flickr.com

Erstveröffentlichung: Tagesspiegel vom 13.10.2014

Der Beitrag ist Teil einer Serie – alle 14 Tage präsentieren drei Medienforscher im Tagesspiegel Ergebnisse und Streitfragen ihres Fachs, die das EJO zweitveröffentlicht.

Teil 1: Lauter, bitte!

Teil 2: Das Publikum vergisst rasch

Teil 3: Politik – mit und ohne Etikett

Teil 4: Facebook im Sinkflug?

Teil 5: Schneidet die alten Zöpfe ab!

Teil 6: Geschlechterklischees in den Medien

Teil 7: Alarm für die Demokratien

Teil 8: Mythen prüfen!

Teil 9: Oligarchie in Wikis?

Teil 10: Weg mit den Mogelpackungen

Teil 11: Offen und traditionsbewusst in die Zukunft

Teil 12: Mit Twitter zum Wahlsieg

Teil 13: Bedeutungsverlust von Pressearbeit

Teil 14: Den Wandel gestalten

Teil 15: Die Spätfolgen von Tschernobyl

Teil 16: Narrative für Europa

Teil 17: Der Rest ist Schweigen

Teil 18: Politik in Bildern

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