Verzerrt durch das „hostile media phenomenon“?

22. November 2013 • Qualität & Ethik, Ressorts • von

Ein Nachtrag zur Skandalisierung der Universität Zürich durch die Medien.

Auf den Fall passt Robert K. Mertons berühmtes Diktum von den „nicht antizipierten Folgen des Handelns“ in der Gesellschaft: Über Nacht ist der deutsche Kommunikationsforscher Otfried Jarren, der bereits seit Jahren dem Führungsteam der Universität Zürich angehört, ad interim Rektor der größten Schweizer Universität geworden.

Zu „verdanken“ hat der Medienforscher sein neues Amt nicht nur seinem Vorgänger Andreas Fischer, der vorzeitig und enerviert das Handtuch warf, sondern auch einem Medienskandal, in dessen Mittelpunkt skurillerweise der populistische SVP-Politiker und Direktor des Medizinhistorischen Instituts der Universtität Zürich, Christoph Mörgeli, und seine vormalige Arbeitskollegin und Stellvertreterin Iris Ritzmann stehen.

Mörgeli hatte seinen Uni-Job verloren, weil er ihn ob seiner vielfältigen politischen Aktivitäten sträflich vernachlässigt hatte, und später hatte die Universität auch Ritzmann gekündigt, weil diese sich offenbar Journalisten als Informantin angedient hatte.

Bemerkenswert ist die Berufung Jarrens insofern, als die SVP genau das Gegenteil dessen bewirkt hat, was sie an der Universität erreichen wollte. „Die linke Saat ist aufgegangen“, kommentierte denn auch Mörgeli im Tages-Anzeiger das Geschehen. Das ist zwar grober Unfug, denn Jarren lässt sich so einfach nur verschubladisieren, wenn man selbst, wie Mörgeli, ziemlich rechts-außen positioniert ist. Jarren hat zwar seine Assistentenzeit in den wilden 80er Jahren an der FU Berlin verbracht, aber noch nicht einmal eine vergleichbar „linke“ Vergangenheit wie der von der Weltwoche dieserhalb skandalisierte Tagi-Chefredakteur Res Strehle.

Nachdem die SVP mit ihrem provinziellen Sperrfeuer gegen die angebliche Übermacht deutscher Wissenschaftler an Schweizer Unis zunächst wohl bewirkt hatte, dass man als regulärem Nachfolger Fischers nach einem Schweizer (und eben nicht nach einem gebürtigen Deutschen mit Schweizer Pass) Ausschau gehalten hatte, musste Jarren nun doch zwei Tage vor seinem 60. Geburtstag überraschend in die Bresche springen und temporär das Amt des obersten Krisen- und Kommunikationsmanagers der Universität antreten.

Es kommt noch bizarrer. Einen Tag nach dem Führungswechsel traf sich in Zürich alles, was in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft Rang und Namen hat, um den 60. Geburtstag Jarrens zu feiern – mit einem Symposion ausgerechnet zur „Sozialen Ordnung durch Medien“. Auf der Vorderbühne strömten die Medienforscher zusammen, um sich hoch-abstrakt und wissenschaftlich-theoretisch zusammen mit Jarren darüber auszutauschen, inwieweit durch Kommunikation gesellschaftliche Systeme und Strukturen (also letztlich „Ordnung“) entstehen – und wie sich diese durch Kommunikation verändern und mitunter aushebeln lassen.

Auf der Hinterbühne hatten die Medien gerade zeitgleich und sehr konkret soziale Unordnung gestiftet und die Hierarchen der sonst ja eher behäbigen und auch sehr selbstbewussten Hochschule in höchsten Alarm versetzt. Jarren gab sein Bestes, um als oberster Krisenmanager den Reputationsschaden für die Universität klein zu halten. Mit Souveränität und Gelassenheit bestand er seine Feuerprobe, war während der Tagung und der anschließenden Feier omnipräsent und – ein Meister des Multitasking – zeitgleich im Dialog mit den Medien und mit allen unterwegs, die sonst noch des neuen Rektors habhaft werden wollten.

Ich habe noch keine wissenschaftliche Tagung erlebt, bei der die Vorträge so zufällig einen unmittelbaren Bezug zum Tagesgeschehen bekamen. Medien bilden ja nicht nur Realität ab, sondern sie schaffen auch ihre eigene Realität und somit neue gesellschaftliche Realitäten. Der Mainzer Kommunikationsforscher Hans Mathias Kepplinger hat zum Beispiel in seinem Vortrag klar herausgearbeitet, wie Medien durch Skandalisierung gesellschaftliche Unordnung erzeugen, wie unberechenbar die Medienberichterstattung geworden ist – und dass Medienwirkungen nicht zuletzt dadurch entstehen, dass sich Akteure mit Medienberichterstattung auseinandersetzen oder bei ihren Handlungsweisen die erwartbare Medienresonanz mitkalkulieren.

Von außen betrachtet, mag man zu dem Schluss gelangen, dass die Entlassung von Frau Ritzmann im Blick auf ihre Kontakte zu Journalisten unverhältnismäßig war, zumal es ja bislang ein durch die „Freiheit von Forschung und Lehre“ gedeckter Grundsatz ist, dass Forscher an Universitäten mit Journalisten reden dürfen und sollen, ohne dazu jedes Mal die Genehmigung der Uni-Leitung einzuholen.

Wer indes die Medienberichterstattung zu diesem Uni-Skandal aufmerksam verfolgt hat, musste auch den Eindruck gewinnen, dass einige Medien ihre eigene Agenda verfolgten. Sie haben nicht einfach nur möglichst neutral berichtet, „was ist“. Spannend daran ist allerdings auch, dass die Journalisten sich selbst gerne in der Rolle des „neutralen Beobachters“ sehen, während die Betroffenen der Berichterstattung das meist anders wahrnehmen. Gibt es, wie im Fall Mörgeli/Ritzmann gar zwei Lager, die von Medienberichterstattung betroffen sind, ist es relativ wahrscheinlich, dass beide Seiten die Medienberichterstattung als eher feindselig wahrnehmen – ein Effekt, der in der Forschung seit langem als „hostile media phenomenon“ beschrieben wird.

Gekürzte Erstveröffentlichung: Werbewoche v. 22.11.2013

Bildquelle: Bredehorn.J  / pixelio.de

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