Der Sondersonderfall

1. September 2011 • Medienökonomie • von

Die großen Medienhäuser in der Schweiz kneifen. Ein Regionalverleger wird darum zum größten SRG-Konkurrenten.

Peter Wanner unterscheidet sich von den anderen Prominenten des Verlagsgeschäfts in zwei Punkten. Das eine ist ein tiefes, das andere ist ein hohes Differenzierungskriterium. Zum einen hat Wanner von allen Prominenten des Verlagsgeschäfts die mit Abstand tiefsten Lachfalten. Das lässt sich dadurch erklären, dass der Mehrheitsaktionär der Aargauer AZ Medien in den letzten Jahrzehnten eine flotte Erfolgsgeschichte geschrieben hat und eine Mediengruppe mit inzwischen 260 Millionen Umsatz aufbaute.

Zum anderen hat Wanner von allen Prominenten des Verlagsgeschäfts das höchste Interesse an Fernsehen in der Schweiz. Das lässt sich schon schwieriger erklären. Mit dem Kauf von Tele Züri und Tele Bärn aus dem Portfolio von Tamedia ist Peter Wanner diese Woche der zweitwichtigste Schweizer im TV-Geschäft geworden. Der wichtigste bleibt SRG-Generaldirektor Roger de Weck. Der gratulierte ihm nach dem Deal.

Die zwei von Wanner zugekauften Regionalsender, ergänzt um sein bisheriges Tele M1 im Aargau, kommen zusammen auf einen Marktanteil von 2,6 Prozent im gesamten Zuschauersegment. Das ist zwar deutlich weniger, als die SRG mit ihren 29 Prozent hat. Es ist aber knapp mehr, als der größte alleinstehende Schweizer Privatsender 3+ hat, und deutlich mehr, als der Rest des einheimischen Kleingemüses wie Star TV oder Schweiz 5 hat.

Wanner, die neue Nummer zwei, bezahlte für Tele Züri und Tele Bärn rund 26 Millionen Franken (ca. 22,24 Millionen Euro). Damit konnte er die Preisvorstellungen von Verkäufer Tamedia erfüllen. SVP-Politiker Christoph Blocher etwa, der ebenfalls bis kurz vor Schluss im Rennen war, bot nur 16 Millionen und war damit out.

Ulkig an der Transaktion ist vor allem eines: Der Verkauf von Tele Züri und Tele Bärn hat aus dem TV-Sonderfall Schweiz einen TV-Sondersonderfall Schweiz gemacht.

Anders als überall sonst sind die großen Medienhäuser bei uns an TV nur schwach oder gar nicht interessiert. Die NZZ-Gruppe etwa begnügt sich mit den randständigen Lokalsendern Tele Ostschweiz und Tele 1 in der Innerschweiz und bastelt daneben Sendungen wie “NZZ Format”. Ringier ist zwar ein etablierter TV-Produzent und auch an Sat 1 Schweiz sowie dem Pay-TV-Anbieter Teleclub beteiligt. Die Pläne für ein überregionales Fernsehen aber wurden intern soeben begraben. Tamedia wiederum trennte sich nun gar von sämtlichen TV-Aktivitäten. Das ist darum erstaunlich, weil der Markt in eine andere Richtung zeigt. Seit 2005 verloren die Tageszeitungen 300 Millionen Franken an Werbeeinnahmen. Das Fernsehen nahm um 100 Millionen mehr ein.

Im Sondersonderfall Schweiz dominieren damit regionale Verleger wie Peter Wanner oder Einzelunternehmer wie Dominik Kaiser von 3+. Das kontrastiert total mit den internationalen Trends, wo große Verlagshäuser verzweifelt ins Zukunftsgeschäft TV investieren wollen. Der printlastige Axel-Springer-Verlag etwa bot sechs Milliarden Franken für Pro Sieben Sat 1. Der printlastige Rupert Murdoch bot 20 Milliarden für die Kontrolle von BSkyB. Beide scheiterten.

In der Schweiz ist es umgekehrt. Wir können Peter Wanner darum nur auf die Schulter klopfen dafür, dass einer nochmals einen überregionalen TV-Versuch unternimmt. Seine Senderachse von Zürich über den Aargau bis nach Bern hat durchaus finanzielles Potenzial. Wanner, der schon nach seinem Studium der politischen Wissenschaften am liebsten beim Schweizer Fernsehen gearbeitet hätte, ist mit 68 Jahren sozusagen bei seiner alten Jugendliebe angekommen. „Eigentlich“, sagt er heute, „wollte ich immer schon Fernsehen machen.“ Seine Lieblingssendung allerdings läuft bei der Konkurrenz: „Giacobbo/Müller“.

Erstveröffentlichung: Weltwoche Nr. 34/2011

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