“Der Toilettensitz brennt”

31. März 2008 • Medienökonomie • von

St. Galler Tagblatt, 28.3.2008

Stimmen einer Tagung zur Zukunft der Medien: Nur wer auf den Wandel reagiert, wird überleben können.
Medienhäuser fusionieren, Ressort-Mauern fallen, die Grenzen zwischen Print, Fernsehen, Online und Radio zerfliessen zum Crossmedia-Journalismus. Eine Tagung in Luzern widmete sich der Zukunft der Medien.

Drei Botschaften übermittelte das Treffen von Experten aus Kommunikationswissenschaft und Journalismus-Praxis, die das Medienausbildungszentrum Luzern und das Europäische Journalismus-Observatorium in Lugano veranstaltet hatten. Erstens: Nur wer sein Publikum im Auge hat, kann überleben. Zweitens: Manche Grenze muss bleiben. Und drittens: Nur Qualitätsjournalismus bringt Gewinn.

Allen immer alles geben
"Wir sind auf dem Weg vom Informationszeitalter ins Partizipationszeitalter", analysierte Martha Stone, Leiterin einer Zukunftswerkstatt der World Association of Newspapers in Paris: Früher drehte sich alles um die Produzenten der Information, um die Journalisten und Verleger. Heute stehen die Kunden im Vordergrund. Schwierigkeiten bekomme, wer sich weigere, das zu akzeptieren.
 
"Viele Zeitungen geben den Leuten nicht, was sie wollen" – nämlich alles: Sie wollen zu jeder Zeit über den Kanal, den sie bevorzugen – das kann mal der Computer, mal der Fernseher, das Radio, die Zeitung oder das Handy sein –, klar und schlüssig aufbereitet das erfahren, was speziell sie interessiert, ob sich das in der nahen Heimat oder in fernen Ländern abspielt. Das geht, behauptet sie: Man benötigt kompetente Chefs, Schulung, Netzwerke für Inhalte und Werbung (Yahoo ist beispielsweise mit 600 Zeitungen verbunden), Produkte mit langem Atem, die auch Nischen-Publikationen sein können.

Das Ende des Journalismus?
Vor allem aber brauche man hervorragenden Journalismus. Nicht weniger, sondern mehr davon. Journalisten sollten Projekte des Bürgerjournalismus wie etwa www.yourhub.com auch nutzen, um ihr Publikum besser kennenzulernen, und sich auf allen Plattformen – Print, Online, Radio und Fernsehen – bewegen können.

"Wenn alle alles tun, bedeutet dies das Ende des unabhängigen Journalismus", warnte Markus Spillmann, Chefredaktor der "Neuen Zürcher Zeitung". Publikumsorientierung dürfe sich nicht auf Clicks reduzieren. Wird ein Online-Text besonders oft angeclickt, sage das noch nichts aus über Relevanz und journalistische Qualität. Er riet nur zur Konvergenz, wenn notwendige Grenzen respektiert werden. Die Abgrenzung zur PR müsse bleiben und Qualitätsgrenzen dürften nicht unterschritten werden. Etwas anderes bringe keinen Gewinn.

Besinnung auf Qualität
Das ist überall so, bestätigt Robert Picard von der "Jönköping International Business School" in Schweden und provozierte: "Journalismus, für den keiner bezahlen will, kann kein guter Journalismus sein." Picard gibt traditionellen Medien neue Chancen, wenn sie sich auf Qualität und Publikum besinnen. Und alle müssen Fall für Fall abwägen: wollen sie sich funktional, etwa über technische Kooperationen, annähern oder inhaltlich, etwa bei Nischen-Themen, die für den einzelnen aufwendig zu bearbeiten sind.

So viel wie möglich Kooperation, so viel wie nötig Konvergenz – dieses Bild der Gegenwart lieferten die Berichte aus einzelnen Ländern: Andreas Nyirö, der für Ringier teils multimedial aufgebaute Tageszeitungsprojekte in Osteuropa gestaltete, verwies auf die Sprachsegmentierung und folgerte: "Lokale Inhalte sind dort die einzige Überlebensstrategie." Gigi Donelli, für den Webauftritt der italienischen Wirtschaftszeitung "Il Sole – 24 ore" verantwortlich, verlangte, die Journalisten für crossmediales Arbeiten auch zu trainieren. Klaus Meier von der Fachhochschule Darmstadt stellte einen Wandel der Auffassungen fest: Weg von der Haltung, Online schade der gedruckten Zeitung, und hin zu einer kooperativen Art, gemeinsam an Geschichten heranzugehen.

Der multimediale Alltag
Ob sich der Journalist auf zwei, drei oder allen Plattformen – Print, Radio, Fernsehen, Online – bewegt, ob er als Tausendsassa mit Foto- und Videokamera um den Hals, Stift in der Hand und Laptop unterm Arm daherkommt oder als einer, der den Print-Text noch als Onlinefassung und als Meldung für die Fernsehnachrichten fabriziert: Es kommt auf die Grenzen und Ausmasse an, in denen sich der multimediale Alltag einpendelt, wenn nicht weniger, sondern mehr Qualität produziert werden soll. Und es kommt auf den einzelnen an. Macht ihn diese Art zu arbeiten gestresster, produktiver oder oberflächlicher?

"Jeder hat seine Begabungen"
Hier gibt es noch kein genaues Erfahrungsbild. Entscheidend sind zunächst die Grundeinstellungen. Bei den Referenten gingen diese weit auseinander: Wer wirklich erzählen kann, der kann das auf allen Plattformen, behauptete Ulrik Haagerup, heute Nachrichtenchef ("Danish Radio") und zuvor Leiter eines regionalen Medienhauses. Unterschiede bestünden nur in Details, die man lernen könne.

Kooperation genüge, schränkte Hansi Voigt ein, der Chefredaktor von "20 Minuten online": "Jeder hat seine speziellen Begabungen." Alle müssten "switchen", vergleicht Martha Stones mit Radiohörern, die sich nacheinander Musik downloaden, Podcasts und die Archivfunktion des Internets benutzen.

ür jeden Journalisten sei nützlich, künftig alle Plattformen zu kennen, ob er nun tatsächlich auf allen arbeitet oder nicht. Zweifellos: Journalisten werden nie wieder fast allein entscheiden, was andere erfahren, und Medienhäuser werden nie wieder die Vertriebswege fast alleine kontrollieren. Ein Teil der Medienzukunft liegt im Multi Media Newsroom. Ulrik Haagerup plädierte für eine Orientierung am Kerngeschäft: "Journalisten sind Geschichtenerzähler, ob sie für Online, Print oder andere arbeiten. Als erstes kommt die Geschichte. Um sie herum muss man alles andere bauen: Grafik, Technik, Produktion, Vertrieb."

Aufbruch muss sein
Man müsse sich auf zähe Prozesse einstellen, wenn man etwas ändern möchte. Er schilderte, wie viel Beharrlichkeit, Motivation, aber auch Zwang nötig waren, bis ein Radiokollege sich das erste Mal vor eine Kamera wagte, sieht aber keine Alternative. Wer Zukunft haben will, müsse seinem Team klarmachen: "Das Neue kann auch besser sein als das Bisherige", und zum Aufbruch drängen: "Der Toilettensitz brennt."

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