Endspiel

22. Januar 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist 12 / 2008 + 1 / 2009

Revidierte Prognose.

Philip Meyer, „elder statesman“ unter den amerikanischen Journalismus-Forschern, fühlt sich missverstanden und hat jetzt seine eigene Prognose kassiert. Immer wieder wurde er auch im deutschsprachigen Raum damit zitiert, dass die letzte Papierzeitung spätestens um 2040 von der Druckwalze laufen werde. Das sei eine Trendextrapolation gewesen, aber „Zeitungsverleger sind nicht so unerbittlich stur, dass sie solange am laufenden Band Zeitungen produzieren werden, bis nur noch ein einziger Leser übrig ist“, korrigierte er jetzt seine Vorhersage.

Die Branche werde lange vor diesem Zeitpunkt ihr Momentum, „ihre kritische Masse“ verlieren und kollabieren. Indes habe auch er noch vor fünf Jahren unterschätzt, mit welcher Wucht sich der „Internet-Effekt“ bemerkbar machen würde. Inzwischen sei klar, dass das weltweite Netz „auf die heutigen Zeitungen ähnlich zerstörerisch wirke, wie Gutenbergs Erfindung der Drucktype den Journalisten des 15. Jahrhunderts, den Stadtausrufer“ um sein täglich Brot gebracht habe. Das „Endspiel der Tageszeitung“ sei in Sichtweite, so Meyer im American Journalism Review. Der Forscher erwartet, dass viele Tageszeitungen gedruckt bald nur noch ein oder zweimal wöchentlich erscheinen würden. <Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung kündigte übrigens die kleinste der überregionalen Qualitätszeitungen in den USA, der Christian Science Monitor an, genau diesen Schritt zu tun.>

Mangel an Realitätssinn im „alten“ Europa?
Stärker könnte der Kontrast kaum sein: Presseexperten im deutschsprachigen Raum geben sich viel optimistischer. Stephan Weichert und Leif Kramp haben insgesamt 43 von ihnen im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Zukunft der Qualitätspresse befragt. 41, also 95 Prozent, sehen in den nächsten 20 bis 30 Jahren die „klassische Zeitung auf Papier“ noch nicht gefährdet. Einige der Befragten verwiesen auf das Riepl’sche Gesetz. Demzufolge verdrängen neue Medien existierende nicht, sondern weisen ihnen nur neue Funktionen zu. Riepls aus dem Jahr 1913 stammende Analyse war ursprünglich auf die Medien des Altertums gemünzt, hat sich aber später immerhin auch bei Radio und Fernsehen bewahrheitet. Ob seine Jünger aber auch beim Netz der Netze recht behalten, ist damit keineswegs ausgemacht. „Das Hauptproblem ist hierzulande, dass die Verlage noch immer nicht wahrhaben wollen, dass sie keine Zukunft jenseits des Internets haben“ – so sieht es jedenfalls der Medienberater Robin Meyer-Lucht vom Berlin Institute, der zu den Pionieren der Online-Journalismus-Forschung zählt.

Quellen:

Philip Meyer: The Elite Newspaper of the Future, in: American Journalism Review, November/December 2008 http://www.ajr.org/Article.asp?id=4605

Stephan Weichert und Leif Kramp, „Bitte keine franzöischen Verhältnisse!“ Ein medienpolitisches Stimmungsbild zur Zukunft der Qualitätspresse, in: Funk-Korrespondenz v. 5.9.2008

Robin Meyer-Lucht, Das Paradox des Onlinejournalismus, in: Perlentaucher, Virtualienmarkt v. 10.9.2008 http://www.perlentaucher.de/artikel/4928.html

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