Faire Preise für Qualitätsjournalismus

3. Dezember 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche

Die Katze ist aus dem Sack: Rupert Murdoch hat vor wenigen Tagen konkretisiert, zu welchem Preis er künftig seine Inhalte im Internet verkaufen möchte: Nutzer des Online-Angebot der britischen Times sollen täglich genauso viel bezahlen wie Leute, die das Blatt am Kiosk kaufen. Noch wissen wir nicht, ob dieser Schritt eine Zäsur bedeuten und das „Alles gratis“-Zeitalter beenden wird, denn als mutiger Vorreiter weiss Murdoch noch nicht, wie seine Wettbewerber reagieren werden. Nur wenn andere Grossverlage ihm schnell folgen, kann sein Coup gelingen.

Weil bei Leuten im Tagesgeschäft die Gefahr besteht, dass sie den Wald vor lauter Bäumen aus dem Blick verlieren, ist Murdochs Vorstoss ein Anlass, um vom Elfenbeinturm-Ausguck des Medienforschers neun Dinge vorzuschlagen, die Verleger tun oder lassen sollten, um dazu beizutragen, dass Qualitätsjournalismus im Zeitalter des Web 2.0 überleben kann.

1) Verleger sollten nicht Inhalte online verschenken, die sie in gedruckter Form verkaufen möchten.

2) Sie sollten nicht darauf vertrauen, dass sich Journalismus zu 100 Prozent oder auch nur überwiegend aus Werbung finanzieren lässt. Werbung wandert zwar mit den Publika ins Internet, aber nicht zwingend zu den Newssites – und vor allem das Massengeschäft mit Kleinanzeigen wird online auch in der Schweiz absehbar wegbrechen. Craigslist und Kijiji lassen grüssen.

3) Preisvorteile, die sich durch Online-Vertrieb ergeben, sollten Verleger an die User weitergeben. Wer die Kosten für Druck, Papier und Zustellung einsparen kann, sollte Kunden, die auf das Druckerzeugnis verzichten, daran teilhaben lassen. Ein Online-Abo darf also allenfalls halb so viel kosten wie ein Print-Abo. Murdochs Preis für die Online-Version der Times ist also zu teuer!

4) Wertvoll und kostbar ist aktuelle, hintergründige Information. Wenn sich in einer Zeitung, die zwei oder drei Franken kostet, Hunderte von neuen Artikeln befinden, ist es absurd, für einzelne alte Beiträge, die sich Leser aus dem elektronischen Archiv fischen wollen, ebenso viel Geld zu verlangen. Das wird als Wucher empfunden.

5) Qualitätsbewusste Verleger sollten die Schleusen für PR eher dicht machen, als sie durch Abbau ihrer Redaktionen weiter zu öffnen. Denn auch die Kommunikationsverantwortlichen auf der Gegenseite sind kühle Rechner: Warum für teure Werbung bezahlen, solange man viele Botschaften kostengünstig und glaubwürdig über redaktionelle Angebote an seine Zielgruppen herantragen kann?

6) Verleger sollten nicht in Werbung und PR für ihre Häuser, Marken und Produkte investieren, ohne für journalistische Plattformen zu sorgen, auf denen über Medien und journalistische Produkte berichtet und diskutiert wird. Vor allem PR läuft ohne sie ins Leere. Qualitätsbewusstsein bei den Publika und damit auch Zahlungsbereitschaft für Medienprodukte wird – wenn überhaupt – durch verlässliche Information über Medien und Journalismus generiert.

7) Den Medienjournalismus zurückzufahren, mag zwar gesundem persönlichem Eigeninteresse der Mediengewaltigen entsprechen. Schliesslich möchte man als Verleger oder Chefredakteur nicht genauso vorgeführt werden, wie die eigene Redaktion tagtäglich Politiker und CEOs aus anderen Branchen an den Pranger stellt. Wer zu schneidig seine Eigeninteressen verfolgt, verhält sich indes fahrlässig gegenüber seinem eigenen Unternehmen und seiner Branche. Wieviele Autos weniger würden Premium-Anbieter wie Daimler, BMW, Audi oder Porsche verkaufen, gäbe es keine Auto-Seiten, keine Motorpresse und keine Formel 1-Berichterstattung? Und noch etwas: Von Politikern wissen wir, dass sie, um sich zu informieren, meist mehr auf Zeitungs- und TV-Berichte vertrauen als auf ihre Ministerien, Forschungsabteilungen und Geheimdienste. Womöglich wäre nicht nur den Publika, sondern auch Chefredakteuren und Medienmanagern mit solider journalistischer Information über den Medienbetrieb und die eigene Konkurrenz gedient – sie würden weniger im Nebel stochern und weniger Fehler wiederholen, die anderswo schon viel Geld gekostet haben.

8) Obschon die Netzeitung in Deutschland soeben eingestellt wurde: Verleger, die heute qualifizierte Journalisten entlassen, müssen damit rechnen, dass sie einigen von ihnen morgen als Wettbewerber wiederbegegnen. Die Markteintritts-Barrieren im Online-Journalismus sind niedrig. Und wer nur im Netz agiert, sich also weder mit Drucktechnik, Vertriebslogistik noch mit Betriebsräten und Gewerkschaften herumschlagen muss, ist im Vergleich zu den grossen Tankern beweglich.

9) Einen Supertanker unterschätzen die Verleger indes bisher gewaltig, so wie sie lange Zeit Google und Craigslist unterschätzt haben: Im Netz, wo alle Medien konvergieren und Nachrichtenwebsites künftig neben Texten und Bildern auch Podcasts und Videos anbieten müssen, wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einem übermächtigen Wettbewerber. Die Verleger brauchen auch mehr Medienjournalismus, um eine gerechtere Verteilung dieser Gebührenmilliarden zu erreichen: Weniger für Sportrechte, Seifenopern und Gottschalk-Shows, die sich auch übers Privatfernsehen finanzieren lassen; mehr öffentliche Gelder für Qualitätsjournalismus. Diese sollten dann allerdingst nicht mehr nur einem Anbieter zu gute kommen, sondern dem gesamten journalistischen „Ökosystem“: egal, ob es um die Finanzierung von Korrespondenten-Posten der NZZ in Afghanistan oder im Irak geht oder um investigative Recherchen der Südostschweiz oder des St. Galler Tagblatts im jeweiligen Kantönli.

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