„Kein Graben zwischen Journalisten und PR”

20. März 2014 • 10 Jahre EJO, Medienökonomie • von

Andrew Gowers war mehrere Jahre lang Chefredakteur der Financial Times Deutschland und danach des Mutterblattes Financial Times. Vor der globalen Finanzkrise hat er die Seiten gewechselt und wurde Kommunikationschef bei Lehman Brothers, bis die Bank zusammenbrach, und danach war er während der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko bei BP für die Kommunikation verantwortlich. Kaum einer hat also einen vergleichbaren Einblick in das komplexe Zusammenspiel von Journalismus und Nachrichtenmanagement großer Konzerne wie er.

Als Gowers 2006 die Einladung zu einer EJO-Vortragsveranstaltung in Lugano annahm, war er einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten der Welt. Das Thema seiner Keynote wurde erst später zu einer Schlüsselfrage:  „Die Herausforderungen an den Wirtschaftsjournalismus in einer sich globalisierenden Welt: Werden wir noch korrekt informiert?“ (“The Challenges for Business Journalism in a Globalizing World: Is Correct Information still Possible?”). Im folgenden Interview mit EJO-Gründer Stephan Russ-Mohl gibt Gowers ein Update.

Von Finanzkrise bis zur Ölkatastrophe - Andrew Gowers hat alles gesehen.

Von Finanzkrise bis zur Ölkatastrophe – Andrew Gowers hat alles gesehen.

Wenn Sie auf das Jahr 2008 zurückblicken: Haben Finanz- und Wirtschaftsjournalisten zu dieser Zeit versagt?

Ich denke, nicht mehr als andere. Im Vorfeld der Krise haben allerdings alle versagt: Regierungen, Behörden und Regulierer, Banker und Bankgremien, Kreditnehmer, Ökonomen und Aktionäre. Auch viele Finanzjournalisten schlossen sich der Herde an und sahen die Krise nicht kommen. Es gab aber auch ein paar ehrbare Ausnahmen, bevor die Blase platzte – Journalisten, die die Warnsignale zur Kenntnis nahmen und analysierten und die im Nachhinein begründet behaupten können, sie hätten recht gehabt. Als die Krise dann da war, haben Finanzjournalisten meiner Meinung nach generell einen guten Job gemacht, indem sie erklärten, was genau los war und welche Auswirkungen die Krise haben würde. Für den Wirtschaftsjournalismus war das eine sehr ergiebige Zeit; es wurde eine große Anzahl an exzellenten Büchern publiziert, informative Fernsehsendungen und Filme produziert und tiefgründige Zeitungs- und Magazinartikel veröffentlicht.

Gibt es seitdem Veränderungen? Können Sie eine „Lernkurve“ erkennen?

Es gibt definitiv eine bedeutende Lernkurve. Behörden und Politiker haben immer wieder betont, dass wir uns auf unbekanntem Terrain bewegt haben und es zu einem großen Teil noch immer tun – und auch die Journalisten sind sich dessen bewusst. Keiner weiß, wie das aktuelle Finanzexperiment enden wird. Es kann sich auch keiner sicher sein, ob die neuen Regulierungen, die nach der Krise in Kraft getreten sind, ausreichen werden, um die nächste Krise zu verhindern. Eine Lektion haben auf alle Fälle alle gelernt: Ein gewisser Grad an Skepsis gegenüber der Weisheit der Finanzwelt ist immer angebracht. Ich denke, Journalisten haben das genauso verinnerlicht wie jeder andere – oder vielleicht sogar noch mehr.

Sie haben Erfahrungen auf beiden Seiten – Sie waren leitender Redakteur und sind zur Unternehmenskommunikation gewechselt. Werden Journalisten unausweichlich Opfer des Kommunikationsmanagements großer Konzerne?

Mein Blick auf den mutmaßlichen Graben zwischen dem Journalismus und der Unternehmenskommunikation war schon immer sehr differenziert. Denn in Wirklichkeit ist die Beziehung zwischen beiden Seiten viel symbiotischer als allgemein angenommen wird. Wirtschaftsjournalisten brauchen gute Beziehungen zu den PR-Experten der Unternehmen, um ihren Job machen zu können, der darin besteht, akkurat und fair über die Geschäftswelt zu berichten – was übrigens nicht immer identisch mit der Berichterstattung ist, die sich die Unternehmen wünschen. Ohne die Kommunikation mit den Unternehmen können schwere Fehler entstehen, die in einigen Fällen die Journalisten ganz schön dumm aussehen lassen. Und auch die Kommunikationsexperten der Unternehmen benötigen vertrauensvolle Beziehungen zu Journalisten – jedenfalls zu einigen, nicht unbedingt zu allen –, um erfolgreich arbeiten zu können. Ich denke nicht, dass eine Seite Opfer der anderen wird – sie brauchen sich gegenseitig.

Werden nach Ihrer Ansicht Bezahlschranken auch für andere Medien als das Wall Street Journal, die Financial Times, den Economist und die New York Times funktionieren?

Das mobile Internet hat Medien aller Art vor eine große Herausforderung gestellt. Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie das ausgehen wird. Aber in der bisherigen Entwicklung konnte ich drei Dinge beobachten: Erstens beschleunigt das Internet die Konkurrenz der Medien – es hat die Grenzen zwischen verschiedenen Medien verschwimmen lassen. So ist eine sehr brutale Form von Konkurrenz entstanden, da nun jeder gegen jeden kämpft. Es hat auch das vorherige Monopol der Journalisten auf die Kommunikation von Nachrichten abgeschafft. Heute kann jeder berichten, kommentieren und fotografieren und sein Werk sofort kostenlos verbreiten.

Zweitens übt das Internet einen polarisierenden Einfluss aus – es hat den Kontrast zwischen Medien für die breite Masse und spezialisierten Nischenmedien verstärkt. Medien, die die Massen anziehen, können ihre Angebote weiterhin durch Werbung finanzieren und ihre Leser kostenlos auf ihre Websites zugreifen lassen. Viele Medien streben deshalb danach, ein Produkt mit unverhohlenem Massenanreiz zu schaffen – so wie es zum Beispiel die britische Daily Mail gemacht hat, deren Online-Angebot die weltweit populärste Nachrichtenwebsite geworden ist. Nischenprodukte müssen sich auf das fokussieren, in dem sie richtig gut sind – wie die Financial Times, Bloomberg oder das Wall Street Journal. Sie müssen Journalismus bieten, der sorgfältig recherchiert und maßgebend ist, für den die Leser aus der Wirtschaftswelt auch bereit zu zahlen sind. Aber weder die Anzahl der Medienunternehmen, die zu solch einem Journalismus fähig sind, noch die Anzahl der Top-Level-Leser, die bereit sind, ihn zu finanzieren, ist grenzenlos.

Das führt mich zu meiner dritten Beobachtung: Der momentan schwierigste Platz für Medien ist die, wie ich es nenne, „sich durchwurstelnde Mitte“. Dort versucht man, an alten Geschäftsmodellen festzuhalten. Allen alles bieten zu wollen, funktioniert aber nicht mehr. Es gelingt diesem Mittelfeld weder mit den wenigen wirklich massenattraktiven Medien mitzuhalten noch ihren Publika einzigartige Einblicke von Spezialisten zu bieten. Die Schrumpfrate im Mediensektor ist hoch – man muss sich nur angucken, wie viele Zeitungen in den USA in den letzten fünf Jahren vom Markt verschwunden sind.  

Bildquelle: Flickr.com

Original-Beitrag auf Englisch: Financial Journalism and PR: Andrew Gowers Interview

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels

Bislang sind in unserer ’10 Jahre EJO’-Serie folgende Artikel erschienen:

Ein Beobachter der vierten Gewalt wird erwachsen

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