Kommt der Paywall?

8. Oktober 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche Nr. 34/35

Guter Journalismus ist wertvoll, also darf er auch etwas kosten. Seit Monaten reden die Verleger vom Paywall, aber keiner handelt, beobachtet der US-Medienexperte Alan D. Mutter. Warum ist das so?

Die Verlage befinden sich, spieltheoretisch betrachtet, in einem Gefangenen-Dilemma: Keiner weiss, wie sich die anderen verhalten werden. Wer den notwendigen Schritt als erster riskiert, ist aber darauf angewiesen, dass die Wettbewerber sehr schnell folgen – oder er verliert seine Online-Kundschaft an die Konkurrenz. Absprachen wiederum sind kartellrechtlich nicht zulässig. Soweit die Fakten.

Was zunehmend nervt, ist die ideologisch hochaufgeladene und letztlich bornierte Diskussion darüber, ob guter Journalismus etwas kosten darf oder gar soll. Natürlich darf er, ja er muss sogar, wenn er seine Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit wahren bzw. zurückgewinnen will. Es erstaunt schon, mit welcher Naivität die Verfasser des „Internet-Manifests“ in Deutschland das Web als Ort der Herrschaftsfreiheit anpreisen, als gäbe es die Kraken (und neuen Oligopolisten…) Google und Microsoft nicht. Und mit welcher Verbissenheit sie die „Alles gratis“-Kultur des Internet verteidigen: „Mehr ist mehr – es gibt kein Zuviel an Information“, behaupten sie, als hätte niemand ein Problem mit Info-Müll und als bedürften wir keiner professionellen Hilfe, die uns vor dem Ertrinken in der Nachrichtenflut bewahrt.

Obendrein erwartet offenbar selbst ein geschätzter und oftmals origineller Querdenker wie der Werbewoche-Kolumnist Oliver Reichenstein alles Heil vom Staat (Werbewoche Nr. 30/31). Gewiss, die herkömmliche weitgehende Querfinanzierung von Journalismus über Werbung funktioniert nicht mehr. Die alten Medienunternehmen verlieren ihre Oligopol- oder Monopolstellungen, und die Werbewirtschaft erreicht dank Suchmaschinen und Social Networks anderswo billiger und zielgruppengenauer die Adressaten ihrer Botschaften als über die Dinosaurier-Medien Print und Fernsehen. Dann solle eben gefälligst die öffentliche Hand, sprich: der Steuerzahler, für den Journalismus bezahlen, schlägt Reichenstein allen Ernstes vor – und mit ihm viele besorgte, selbsternannte Verteidiger des „Kulturguts“ Zeitung, darunter so prominente Fachkollegen wie der Philosoph und Sozialforscher Jürgen Habermas. Als wüssten wir nicht längst, dass dort, wo der Staat ein Monopol über den Journalismus hat, sich die Regierungen Journalisten in aller Regel auch gefügig machen – Putin, Ghadaffi, Berlusconi & Co lassen grüssen.

Nein, Herr Reichenstein, lassen Sie uns den Anfängen wehren: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind bereits gross und teuer genug, und nicht überall auf der Welt haben sie eine Journalismus-Kultur der Unbestechlichkeit wie in der Schweiz entwickelt. Bei ARD, ZDF, ORF und RAI, aber selbst bei der ehrenwerten BBC häuften sich in den letzten Jahren die Fälle von Korruption und Gebührenmissbrauch.

Teure, private Elite-Universitäten wie Harvard, Stanford oder Princeton sind dagegen auch im Internet-Zeitalter keine „Groteske“, lieber Herr Reichenstein, sondern immer noch „the best and the brightest“ in der Forschung und auch in der Heranbildung von Führungsnachwuchs. Auch diese Hochschulen mögen nur mit Wasser kochen, aber sie gewinnen die Erkenntnisse, die wir brauchen, um unsere Lebensqualität weiter zu verbessern und um den freien Informationsaustausch in Gang zu halten.

Sie sind im Blick auf Wissensproduktion und -distribution der soeben renovierten NZZ, aber auch der New York Times, dem Guardian, der Frankfurter AllgemeinenZeitung und Le Monde gar nicht so unähnlich. Gewiss, Information zirkulieren zu lassen kostet so gut wie nichts mehr. Teuer ist aber weiterhin, sie zu gewinnen und das Relevante vom Irrelevanten zu trennen. Genau das leistet exzellenter Journalismus, und genau dafür wird es, wenn der Paywall erstmal hochgezogen ist, auch online einen Markt geben. Die grossen Zeitungshäuser können dann bleiben, was sie sind: Mediale Produktionsstätten für Premium-Content, finanziert nicht von Hinz und Kunz, sondern von klugen Leserinnen und Lesern. Diese bezahlen dann als Online-Nutzer zwar nicht mehr für teures und umweltschädliches bedrucktes Papier und aufwändige Zustellung, wohl aber für erstklassigen Journalismus. Zu einem bescheideneren, aber nicht vernachlässigbaren Anteil werden dann auch diejenigen Werbetreibenden zu den Zeitungswebsites zurückfinden, die gezielt solche Eliten erreichen wollen.

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