Mehr Mut zum Standpunkt!

14. November 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist 11/2009

Der amerikanische Journalismus befinde sich in „schmerzlichem Wandel“. Sowohl sein Geschäftsmodell als auch der „Sinn für seine Mission“ seien ihm abhanden gekommen.

Wie er seine Relevanz zurückgewinnen könne, fragt der Managing Editor des Columbia Journalism Review, Brent Cunningham. Zunächst konstatiert er, wie sehr Journalisten heute Getriebene seien: Das „aggressive Catering“ eines PR-Apparats, der alle öffentlichen und privaten Institutionen durchdrungen habe, sorge mit seinem endlosen Strom von Nachrichten dafür, dass Reporter nur noch „busy, busy, busy“ seien.

Für die „wichtigeren Rollen des Rechercheurs, des Erklärers“, und „des Schiedsrichters im öffentlichen Diskurs“ bleibe kaum noch Raum – also für all jene Funktionen, die Amateure und Blogger nicht ohne weiteres ausfüllen könnten. Die Medien, so wünscht sich Cunningham, sollten den aktuellen, ereignis-bestimmten Nachrichten weniger Aufmerksamkeit zollen, und sich stattdessen „Ideen – und vor allem – Problemlösungen zuwenden“. Sie müssten damit aufhören, „reflexartig Stimmen zu marginalisieren, die von den Rändern der Gesellschaft kommen, nur weil sie von offizieller Seite niemand unterstützt.“

Sein nachdenkliches, lesenswertes Stück ermutigt dazu, Standpunkte zu beziehen: „Es gibt einen Weg, den Diskurs zu prägen, ohne deshalb politisch Partei zu sein – die Debatte anzustossen, sie zu begleiten, aus verschiedenen Positionen Ideen und Argumente vorzutragen.“ Die Redaktionen müssten dann aber auch „sich selbst und ihre Entscheidungen erklären“. Kurz und gut, die Journalisten sollten „die Öffentlichkeit mit Worten und Taten davon überzeugen, dass sie auf ihrer Seite stehen“ – und nicht stets auf Seite der Mächtigen

Im Gefangenendilemma

Während Cunningham im Geist der Aufklärung an die Mission und an den öffentlichen Auftrag des Journalismus erinnert, hat im Heft zuvor David Simon mehr den schöden Mammon im Visier. Bemerkenswert konzis beschreibt er am Beispiel der  New York Times und der Washington Post die missliche Lage von deren Verlegern, die seit Monaten vom Paywall reden, statt ihn endlich einzuführen. „Build the Wall“, appelliert er an Arthur Sulzberger und Katharine Weymouth, und legt im Stil eines „offenen Briefes“ nach: „Sie müssen einen Weg finden, die Leute in der schönen neuen Welt der Digitalisierung davon zu überzeugen, dass sie für Inhalte bezahlen. Wenn Sie das tun, haben Sie weiterhin ein Produkt, eine Branche, eine Berufung, und es gibt weiterhin Journalismus als professionelle Perspektive. Wenn es Ihnen nicht gelingt, die Leute zur Kasse zu bitten, dann sind Sie verrückt, wenn sie weiter in dieser Branche tätig bleiben.“

Simon hat recht: Die Inhalte zählen, auch bisher hat kein Leser für Druck, Papier und Zustellung bezahlt, sondern letztendlich für das redaktionelle Angebot. Nur: Spieltheoretisch betrachtet, befinden sich die Verleger in einem Gefangenen-Dilemma: Wer den Paywall als erster errichtet, ist darauf angewiesen, dass die Wettbewerber sehr schnell folgen – oder er verliert seine Kunden an die Konkurrenz.

Zitiert, statt Euch zu kannibalisieren!

Der zerstörerische Gratis-Virus hat im übrigen nicht nur die Publika, sondern längst auch die Medienunternehmen und die Redaktionen selbst erfasst. Davon zeugt der beherzte Zugriff auf „kostenloses“ PR-Material, aber auch die Tatsache, dass offenbar immer mehr namhafte Chefredakteure glauben, ohne Nachrichten-Agenturen auskommen zu können. Angela Phillips, Journalistik-Dozentin an der Goldsmiths University in London, hat am Beispiel der britischen Presse ausgelotet, wo das hinführt: Immer hemmungsloser schrieben die Redaktionen von den Websites der Konkurrenz ab. Sie kannibalisierten sich somit gegenseitig. In Grossbritannien grassiere regelrecht der Diebstahl geistigen Eigentums. Philipps forderte in ihrem Vortrag bei der diesjährigen Konferenz zur „Zukunft des Journalismus“ in Cardiff mehr Quellen-Transparenz: Wenn Journalisten sich schon bei anderen Medien bedienten, sollten sie ihren Publika fairerweise mitteilen, woher eine Nachricht stammt – selbst wenn es sich um das Konkurrenzblatt handelt. Ein erster Schritt, um Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen, wäre das gewiss.

Brent Cunningham, Take a Stand, in: Columbia Journalism Review, September/October 2009

http://www.cjr.org/feature/take_a_stand.php?page=all

David Simon, Build the Wall, in: Columbia Journalism Review, July/August 2009

http://www.cjr.org/feature/build_the_wall_1.php?page=all

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