News sind, was der Markt daraus macht

27. Februar 2004 • Medienökonomie • von

Neue Zürcher Zeitung, 27. Februar 2004

Sachlicher Blick auf die Ökonomie der US-Medien
Viele Beobachter sehen in der Kommerzialisierung der Medien eine Gefahr für die Demokratie. Eine Einführung in die Medienökonomie zeigt, dass auch ein marktwirtschaftlich geprägter Ansatz die Medienlandschaft ausleuchten kann, ohne die Zwänge zu verleugnen, die der Wettbewerb den Medien und der Gesellschaft auferlegt.

Der Satz von Karl Marx: «Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein», hat auch und gerade in der Heimat des Kapitalismus lautstarke Anhänger. In den USA dominieren radikale Kritiker die medientheoretische Literatur. Sie sehen im Medien-«Big Business» eine Gefahr für die Freiheit und Demokratie. Robert McChesney mit «Rich Media, Poor Democracy» (Reiche Medien, arme Demokratie) und der auch im deutschen Sprachraum viel beachtete Noam Chomsky mit dem erneut aufgelegten «Manufacturing Content» (Die Fabrikation von Medieninhalten) geben den Ton an.

Einseitige Sicht?

Dabei ist die Tatsache, dass diese Art der Medienkritik in den USA geschrieben, gedruckt, verkauft, ernst genommen und in den Medien diskutiert wird, gerade ein Anzeichen dafür, dass es um die Medienfreiheit auch unter harten amerikanischen Marktbedingungen nicht ganz so schlimm stehen kann. Das wird von konservativen Kritikern selbstverständlich gern hervorgestrichen. Diese werden ihrerseits nicht müde, den US-Medien eine überwiegend (links-)tendenziöse Berichterstattung vorzuwerfen.

Die Frage, warum manche Medien tatsächlich oder vermeintlich einseitig informieren und welche Rolle marktwirtschaftliche Prozesse dabei spielen, kann man aber durchaus auch nüchtern und mit wissenschaftlicher Offenheit untersuchen. Der Medienwissenschaft hat es dabei nicht geschadet, ökonomischen Sachverstand in die Forschung einzubeziehen. Der Fachbereich Medienökonomie fasste in den letzten Jahren in Europa Fuss, unter anderem mit einem eigenen Lehrstuhl an der Universität Zürich. Wichtige Anstösse kommen indes immer noch aus den USA. Jüngstes Beispiel ist eine Einführung in die Medienökonomie* von James Hamilton, einem Ökonomen und Professor für Politikwissenschaft an der Duke University.

Die «zehn W»

Hamilton nimmt die hergebrachte medienwissenschaftliche Theorie der Nachrichtenwerte ernst und fragt, welche Werte Journalisten, Medienkonzerne, Medienkonsumenten und Öffentlichkeit den Nachrichten zumessen. Als Ökonom fragt er aber nicht allein nach den sachlichen Elementen einer Nachricht, den «fünf W» (Wer, was, wo, wann und warum), sondern auch nach den ökonomischen: Welche Leute interessieren sich für eine bestimmte Information? Wie viel sind diese Leute für die Information zu zahlen bereit, oder wie viel sind andere zu zahlen bereit, um diese Leute zu erreichen? Wo können Medien diese Leute finden? Wann ist es profitabel, die Information zu liefern? Warum ist es profitabel? Hamilton geht es also darum, zu zeigen, wie wirtschaftliche Anreize darüber mitbestimmen, was in der Zeitung steht und im Radio oder Fernsehen gesendet wird.

Indem Hamilton die journalistischen «fünf W» um fünf ökonomische «W» ergänzt, kann er Medienphänomene erklären, die herkömmliche medienwissenschaftliche Ansätze vernachlässigen. Er zeigt etwa, dass politische Einseitigkeit unter amerikanischen Fernsehsendern nicht einzig darauf zurückzuführen ist, dass konservatives Grosskapital die Fernsehstationen besitzt. Die Orientierung an einem bestimmten Publikum, das für die Werbeindustrie attraktiv ist, beeinflusst auch die politische Ausrichtung einer Station.

So gibt es Sender, die ihren Gewinn zu maximieren suchen, indem sie ihr Programm auf junge weibliche Zuschauerinnen zuschneiden. Gewisse Konsumgüterhersteller und ihre Werber interessieren sich für diese Zielgruppe, und sie sind bereit, entsprechend gut dafür zu bezahlen. Zu den Themen, die junge amerikanische Frauen offenbar interessieren, gehören unter anderen Schutz vor Kriminalität, Umgang mit Familienproblemen und Waffenkontrolle – Themen also, die politisch traditionell von der amerikanischen Linken besetzt sind. Einseitige Berichterstattung geht also nicht unbedingt auf eine Manipulation durch Journalisten oder Medienbesitzer zurück, sondern auf ein Interesse an Gewinnmaximierung. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für mediale politische Tendenzen ist in den Augen Hamiltons Bestandteil einer Produktstrategie, die Medienkonsumenten als Zielgruppen betrachtet und sie entsprechend bedient.

Hamilton spricht die Medien-Marktwirtschaft dabei nicht von vornherein vom Verdacht frei, sie wirke sich gegen die Interessen der offenen Gesellschaft aus. Er zeigt auf, wie gesellschaftlich wichtige Information in einem Meer von trivialer Unterhaltung unterzugehen droht. Der ökonomische Nachrichtenwert von Informationen, die dem Funktionieren der Demokratie dienen, ist eben oft zu gering, als dass sie im kommerziellen Kalkül von Medienzaren auf Interesse stiessen.

Anders als andere Kritiker sieht Hamilton aber im Kommerz nicht nur eine Gefahr. Vielmehr hält er die Analyse ökonomischer Prozesse in der Medienlandschaft für den wichtigsten Schlüssel zum Verständnis des Funktionierens von Medien in der Demokratie. Nur wer versteht, wie Journalisten und Medien auf ökonomische Anreize reagieren, ist in der Lage zu beurteilen, welche Massnahmen die Politik treffen kann, damit Medien-Marktwirtschaft und offene Gesellschaft sich nicht gegenseitig ausschliessen.

Freiheit durchs Gewerbe

In einem historischen Exkurs zeigt Hamilton, dass es gerade die Kommerzialisierung der Presse war, die im 19. Jahrhundert zu ihrer Befreiung von Parteipolitik und damit zu ihrer politischen Unabhängigkeit führte. Erst als neue, schnelle Druckmaschinen zur Verfügung standen und die Industrie Massengüter mit Hilfe der Werbung unter die Konsumenten bringen wollte, konnten (und mussten) sich die Zeitungen von ihren Parteibindungen lösen und die Massen ansprechen. So demonstriert Hamilton in Umkehrung des Marx'schen Satzes, dass die erste Freiheit der Presse war, ein Gewerbe zu werden. Der Streit zwischen marxistischer und marktwirtschaftlicher Medientheorie ist damit nicht entschieden. Aber Hamiltons nüchterne Annäherung an die Ökonomie der Nachrichtenproduktion hebt sich wohltuend ab vom reflexartigen Beklagen der Vermischung von Geld und Geist in den Medien.

* James T. Hamilton: All the News That's Fit to Sell. How the Market Transforms Information into News. Princeton University Press, Princeton (N. J.) 2004.

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