Schweizer Kreuz

21. Februar 2010 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Tagesspiegel

Kann ein Zeitungsmarkt radikaler sein? Erst Kollateralschäden durch Gratisblätter, jetzt Konzentration

So viel öffentliche Aufmerksamkeit, wie ihr in jüngster Zeit zuteil wird, ist für die eher behäbige Schweiz ungewohnt. Aber nicht nur wegen Datenklau und Bankgeheimnis, wegen Ghaddafi und Minarett-Verbot steht sie im internationalen Rampenlicht. Sogar ihre Medien selbst geraten immer öfter in die Schlagzeilen – zuletzt die „Basler Zeitung“, die überraschend vom Tessiner Finanzier Tito Tettamanti mehrheitlich übernommen wurde.

Der Deal erregte aus mindestens zwei Gründen Aufsehen: Erstens steigt ein branchenfremder Investor in großem Stil in die Schweizer Medienindustrie ein, der freilich schon einmal zuvor die Jean Frey AG und damit die renommierte „Weltwoche“ als Miteigentümer zeitweilig übernommen hatte. Zweitens kann man in Tettamantis Engagement auch die Absicht erkennen, der Ausbreitungsstrategie des größten Zeitungskonzerns in der Schweiz, Tamedia, ein Bollwerk entgegenzusetzen.

Da der 80-jährige Tettamanti – ähnlich wie auf internationalem Parkett George Soros – auch durch hohen intellektuellen Anspruch aus dem Einerlei geldgieriger Banker und Private-Equity-Investoren herausragt, rätselt man über die Motive seines Engagements: Hofft er nur, in einer notleidenden Branche noch mehr Geld zu verdienen, als er ohnehin schon hat? Möchte er politisch Einfluss gewinnen, und ist ihm dafür das Forum des Regionalblatts „Corriere del Ticino“, in dem er öfter mal als Gastkolumnist schreibt, zu eng geworden? Oder ist seine Beteiligung auch als ein patriotischer Akt zu werten, mit dem er die Pressevielfalt bewahren möchte und sich gegen zwei Wettbewerber stemmt, die übermächtig zu werden drohen?

Der eine von ihnen ist jedenfalls die Tamedia. Seitdem sie im Vorjahr das größte Verlagshaus der Westschweiz, Edipresse, gekauft hat, erstreckt sich ihr Imperium vom Thurgau im Osten des Landes bis nach Genf. Sie kontrolliert neben vielen Regionalblättern mit „20 Minuten“ die größte (und wohl auch die einzig wirklich profitable) Gratiszeitung, mit dem „Tages-Anzeiger“ und „Le Temps“ die beiden größten Qualitätszeitungen in Zürich und Genf und mit „Bund“ und „Berner Zeitung“ die Schweizer Hauptstadtpresse.

Der andere Riese, gegen den Tettamanti furchtlos antritt, ist nicht etwa Ringier oder die NZZ-Gruppe, die bis zuletzt als Kaufinteressent der „Basler Zeitung“ ebenfalls im Spiel gewesen sein soll, sondern das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen. Ähnlich wie ARD und ZDF in Deutschland wird es mit seinem exzessiven Internetangebot zusehends zum direkten Konkurrenten der Zeitungshäuser. Nicht nur ob seines Gebührenpolsters, sondern auch dank seines täglich ohnehin produzierten Fundus an Film-, Video- und Podcastmaterial, das sich im Netz zweitverwerten lässt, haben es die Verlage zusehends schwer, sich in der neuen Medienwelt als Wettbewerber gegen den öffentlich-rechtlichen Giganten zu behaupten.

In der Schweiz ist die Medienlandschaft, die zumindest im Printsektor bislang sehr kleinteilig war, in einem viel radikaleren Umbruch begriffen als im benachbarten Deutschland. Der Konzentrationsschub konnte sich auch deshalb ungehemmt entfalten, weil die Medienpolitik es verschlafen hat, sich rechtzeitig um die Pressekonzentration zu kümmern; es gibt nur die kartellrechtlichen Bestimmungen, die auch für alle anderen Branchen Gültigkeit haben.

Aber selbst Riesen wie die Tamedia haben ihre Sorgen. Zum einen dürfte sie sich Edipresse zu früh und damit auch zu teuer einverleibt haben. Zum anderen hat die Tamedia zwar ihre Verfolger auf dem Markt der Gratiszeitungen abgeschüttelt: Zwei Konkurrenzblätter („.ch“ und „cashdaily“) wurden inzwischen eingestellt, eine weitere Gratiszeitung aus dem eigenen Haus dicht gemacht („News“), und in der Westschweiz hat die Tamedia ihre beiden französischsprachigen Titel „Matin bleu“ und „20 Minutes“ fusioniert. Bleibt als Wettbewerber in der Deutschschweiz noch der „Blick am Abend“ aus dem Ringier-Verlag, der nachmittags erscheint und aus dem Gratistitel „heute“ hervorgegangen ist.

Ob indes die Tamedia mit ihrer Gratiszeitungs-Cashcow so richtig froh wird, steht auf einem anderen Blatt. Kurt W. Zimmermann, einst selbst einer der Top-Manager bei diesem Medienkonzern und heutiger Kolumnist der „Weltwoche“, hat seinem früheren Arbeitgeber kürzlich vorgerechnet, wie viel Geld „20 Minuten“ bereits verbrannt habe. Das Blatt verdiene zwar satte 20 Millionen Franken (rund 18,5 Millionen Euro), aber die Gratiszeitung habe eben auch den Zeitungsmarkt verwüstet.

Für die gesamte Presse liege der Kollateralschaden bei jährlich 250 Millionen Franken, Verluste, die durch reduzierte Abo-, Einzelverkaufs- und Werbeerlöse den herkömmlichen Zeitungen in den letzten zehn Jahren entstanden seien, seit „20 Minuten“ auf dem Markt ist. Allein bei den beiden zur Tamedia gehörenden Qualitätsblättern „Tages-Anzeiger“ und „Berner Zeitung“ schätzt der Branchenkenner die Mindereinnahmen auf 50 Millionen Franken per anno. Der Spaßvogel Zimmermann forderte daher den Verwaltungsratspräsidenten der Tamedia, Piero Supino, in einem „offenen Brief“ ultimativ auf, das Gratisblatt „sofort“ einzustellen. „20 Minuten“ sei „volks- wie betriebswirtschaftlich ein Desaster“.

Zimmermann lastet die Erlösminderung allerdings wohl allzu einseitig der Gratispresse an, als hätte nicht auch das Internet seinen Anteil am Wegbrechen der Zeitungsauflagen und Werbegelder. Der Sprecher der Tamedia, Christoph Zimmer, hält entgegen, die zehn größten deutschen Tageszeitungen hätten in den letzten zehn Jahren ohne Gratiskonkurrenz größere Auflagenverluste und Erlöseinbrüche zu verkraften gehabt als die Schweizer Titel.

Wie immer man die Sache dreht und wendet, ist Tito Tettamantis Investment in die „Basler Zeitung“ jedenfalls ein hoher Spieleinsatz, auch dann, wenn er, was zu vermuten ist, günstig eingekauft haben sollte. Denn absehbar ist derzeit eigentlich nur, dass „20 Minuten“ weiterhin profitabel bleibt, und dass die Schweizer Zeitungen auch in naher Zukunft Schlagzeilen produzieren werden – nicht zuletzt über die eigene Branche.

Bildquelle: nchenga / Flickr CC

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