Sterbebegleitung für die Zeitung

26. Juni 2008 • Medienökonomie • von

Schweizer Journalist 06 + 07 / 2008

Unter den Dutzenden, ja vermutlich Hunderten von Blogs in den USA, die Medien und Journalismus beobachten, bringt einer auf den Punkt, was Amerikas Medienkritiker derzeit mit einem Hang zur Nekrophilie bevorzugt betreiben: www.newspaperdeathwatch.com ist er betitelt – sie leisten Sterbebegleitung für die Tageszeitung.

Das Tröstlich-Komische daran ist, dass die wirklich bemerkenswerten Beiträge zum Thema dann doch meist in altmodischen Printmedien gedruckt und publiziert werden, also nicht bzw. nicht nur im Internet zirkulieren.

Ausgerechnet im Playboy spürt der Soziologe Eric Klinenberg dem Ende der Zeitung nach – eingerahmt von lebensfrohen und barbusigen Schönheiten wie Carla Bruni und Juliette Fretté, einer Feministin, die „aus Überzeugung“ für das Macho-Blatt die Hüllen fallen lässt. Der Medienforscher von der New York University macht deutlich, dass mit dem Niedergang der gedruckten Zeitung auch der Zauber des Neubeginns einhergeht. So, wie Wall Street die Aktienkurse der US-Zeitungshäuser in den Keller gebombt habe, witterten Investoren jetzt offenbar das Geschäft ihres Lebens – angefangen bei Rupert Murdoch über Sam Zell, der Chicago Tribune und Los Angeles Times kontrolliert, bis hin zu den Hedgefonds, die sich inzwischen in den Aufsichtsrat der New York Times eingekauft haben. So schlecht, wie die Medienkritiker landauf, landab glauben machen möchten, geht es Klinenberg zufolge den Zeitungen gar nicht. Die Hauptgefahr sieht er von den Investoren selbst ausgehen. Kannibalistisch sparten sie ihre eigenen Redaktionen kaputt. Ansonsten sei es für die Zeitungshäuser halt ein schmerzlicher Umstellungsprozess, sich von ihren Regional-Nonopolen im Leser- und Anzeigenmarkt zu verabschieden und auf Wettbewerb einzulassen – und sich mit Umsatzrenditen von neun bis zehn statt satten 25 Prozent zufrieden zu geben. Im Vergleich zu den Margen anderer Branchen sei das aber weiterhin ein phantastisches Geschäft.

Weniger optimistisch, dafür feinsinniger fällt die Lagebeschreibung und Prognose des Medienjournalisten Eric Alterman im New Yorker aus. Die Tageszeitung sei zwar nicht „tot“, aber doch absehbar demnächst „out of print“. Damit einhergehend sieht Alterman die “aufklärerischen“ Kräfte in der Gesellschaft schwinden. In einer Internet-basierten Kultur, ohne die „Armeen von Reportern und Photographen“, über die herkömmliche Tageszeitungen geböten, unterblieben Recherche-Aktivitäten, um die Mächtigen zu kontrollieren und die Menschen vor „Folter, Unterdrückung und Ungerechtigkeiten“ zu schützen. Nicht eine einzige Website investiere auch nur ansatzweise so viel in Nachrichtenbeschaffung und Recherche wie die besten Zeitungen: Nach der jüngsten Entlassungswelle seien in der Redaktion der New York Times noch 1200 Leute beschäftigt – „ungefähr 50 mal so viele wie bei der Huffington Post“, der derzeit erfolgreichsten internetbasierten US-„Zeitung“.

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