Werbung: Teufelszeug und Heilsbringer

22. März 2013 • Medienökonomie, PR & Marketing • von

Jeder Künstler und Kunstliebhaber weiß es: Der Rahmen bestimmt, welches Bild oder welchen Bildausschnitt wir zu sehen bekommen und wie wir ein Bild wahrnehmen. „Framing“ ist deshalb auch in der Kommunikationsforschung zu einem Schlagwort, ja zu einem Paradigma geworden. Es soll uns helfen, besser zu verstehen, weshalb bestimmte Themen eine erste Aufmerksamkeits-Schwelle nehmen und plötzlich öffentlich wahrgenommen werden, aber auch wie sich die Diskussion dann weiter entwickelt.

Über Jahrzehnte hinweg schien klar, wie Journalisten Werbung wahrnehmen: Seit Vance Packard in den 50er Jahren seinen Bestseller „Die geheimen Verführer“ publiziert hatte, zählte die werbetreibende Zunft zu den Mächten des Bösen und hatte es darauf angelegt, die Menschen wie Marionetten zu manipulieren. Die Journalisten waren dagegen die Gutmenschen und Aufklärer dieser Welt, und unter uns „68-ern“ gab es nicht zuletzt endlose Diskussionen darüber, ob ehrlicher, glaubwürdiger Journalismus nur in Medien ohne Werbung möglich sei. Zumindest die links-alternative taz machte in Deutschland aus ihrer Not eine Tugend: Weil die meisten Werbetreibenden für sie ohnehin unerreichbar waren, brüstete sie sich damit, ein (weitgehend) werbefreies Medium zu sein. Zugleich warb sie allerdings mit beträchtlichem Erfolg um zahlende Leserinnen und Leser.

Derweil war für die meisten Mainstream-Journalisten völlig aus dem Blick geraten, woher das Geld kam, das es Medien wie dem Spiegel oder der New York Times ermöglichte, mit investigativen Recherchen den Mächtigen dieser Welt – von Franz-Josef Strauss über Richard Nixon bis hin zu George Bush und Wen Jiabao – auf die Finger zu klopfen und ihnen sogar den Angstschweiß ins Gesicht zu treiben. In den guten Zeiten erzielten amerikanische Abo-Zeitungen bis zu 85 Prozent ihrer Erlöse aus dem Anzeigengeschäft, in Deutschland und der Schweiz lag dieser Wert wohl eher bei rund zwei Drittel ihrer Einkünfte. Allemal war es genug, um nicht nur viele Verleger steinreich werden zu lassen, sondern auch Redaktionen mit üppigen Fettringen auszustatten.

Dass es ohne das Teufelszeug Werbung keinen recherche-basierten Qualitätsjournalismus geben würde, geriet erst ins Blickfeld, als angesichts der Internet-Revolution dieses Finanzierungsmodell zu bröckeln begann. Und selbst heute geben sich viele Journalisten und Medienforscher, die ebenso unisono wie unbedacht das Klagelied über die fortschreitende „Kommerzialisierung“ des Medienbetriebs antönen, kaum Rechenschaft darüber, weshalb es der Branche und damit den Redaktionen über Jahrzehnte hinweg so überaus gut ging: Das Geschäftsmodell war so einträglich, weil es aus vielen kleinen und größeren, von den Kartellbehörden und der Medienpolitik stillschweigend geduldeten Monopolen und Oligopolen bestand. Diese schröpften die werbetreibende Wirtschaft so richtig – der staatsmonopolistische Kapitalismus ließ grüßen und zeigte seine Fratze, aber vor ihr verschlossen offenbar alle die Augen, die sich sonst gerne als verlässliche Agenten der Aufklärung oder der Marktwirtschaft stilisierten.

Das Internet hat diese Verhältnisse vom Kopf auf die Füße gestellt. Dort sind zumindest die „alten“ Medien heftigem Wettbewerb ausgesetzt. Die Nachrichten-Websites und das journalistische Angebot der Konkurrenz sind jeweils nur einen Mausklick entfernt. Derweil erwirtschaften die Kraken Facebook und Google allerdings Monopolrenditen aus dem neuen Werbegeschäft, das es den Werbetreibenden endlich ermöglicht, ohne Streuverluste ihre Zielgruppen zu erreichen. Und während sich Zug um Zug die Inserenten aus der klassischen Werbung verabschieden – erst die Kleinanzeigen-Kunden, dann die Discounter und Markenartikler – wünschen sich Journalisten, Medienforscher und andere unverbesserliche Optimisten die Werbung als Heilsbringer zurück, der journalistische Inhalte finanzieren soll. Oder sie hoffen auf weitere Staatsgelder und auf Stiftungen zur Finanzierung von Qualitätsjournalismus.

Nur zwei Vorschläge sind offenbar tabu und passen so gar nicht ins bisherige journalistische Framing der Zeitungs- und Medienkrise: Wenn jeder von uns täglich im Coffee Shop auf einen Cappuccino verzichtete, um stattdessen seine Online-Lieblingsnewssite mitzufinanzieren, wäre der Journalismus gerettet. Und wenn von den vorhandenen Konzessionsgeldern weniger Seifenopern, weniger Sportrechte, weniger Entertainment-Fluff und stattdessen mehr Auslandskorrespondenten und journalistische Rechercheprojekte finanziert würden, könnte auch das dem Gemeinwohl dienen – und einem Journalismus, der dann endlich wirklich von der Werbung unabhängig wäre.

Erstveröffentlichung: Werbewoche Nr. 4/2013

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