Redaktionswandel als permanenter Prozess

16. September 2013 • Redaktionsmanagement • von

Seit Jahren werden Redaktionen umstrukturiert. Eine aktuelle Studie zeigt: Die Veränderungen sind jetzt radikaler als je zuvor. In integrierten Print-Online-Redaktionen löst eine themen- und publikumsorientierte Planung und Produktion die tägliche Zeitungsroutine ab. Website und Social Media sind die Workflow-Treiber.

Studienautor Klaus Meier, Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, über Trends und Veränderungen in redaktionellen Workflows und integrierten Newsrooms.

Der österreichische Standard ist in ein neues Gebäude gezogen, in dem nun die ehemals strikt getrennten Print- und Online-Bereiche zusammengeführt werden sollen. Die Welt-Gruppe in Berlin hat das Motto „Digital to Print“ ausgerufen und produziert in der gesamten Redaktion zuerst für die digitalen Plattformen wie Web, Tablets, Smartphones und Social Media – erst danach wird daraus eine Tageszeitung gemacht. Bei El Mundo in Madrid wurden durchgehend integrierte Ressorts eingeführt, die für alle Plattformen zuständig sind und in denen nicht mehr zwischen Print- und Online-Journalisten unterschieden wird. „Inselmentalität” und „Komfortzonen” wurden abgeschafft und durch Transparenz und Kooperation innerhalb der Redaktion ersetzt.

Studie „Newsroom Convergence“ aktualisiert

Diese und andere aktuelle Trends zum Thema „Newsroom Convergence“ wurden in einer international vergleichenden Studie untersucht – nach ersten umfangreichen Studien zu Newsroom-Integration im Jahr 2008 wurden Redaktionsentwicklungen von einem internationalen Forscherteam (Medienhaus Wien, Universität Elche/Spanien und Universität Eichstätt/Deutschland) weiter beobachtet und 2013 erneut detailliert analysiert.

Bei den Forschungsarbeiten vor fünf Jahren hatten sich drei Modelle herauskristallisiert, wie Zeitungs-Newsrooms verschiedener Länder sich digital neu formieren:

  • Das Modell der „Koordination von eigenständigen Plattformen“ will die einzelnen Medien für sich stärken und überlässt die Zusammenarbeit zwischen Print und Online dem zufälligen Engagement;
  • das „Cross Media”-Modell arbeitet ebenfalls mit getrennten Redaktionen für Print und Online, hat aber viele Schnittstellen zur Kooperation – so zum Beispiel koordinierende Newsdesks oder „News Manager“;
  • das Modell der „vollständigen Integration“ setzt auf einen einzigen Newsroom, in dem die Workflows für alle Plattformen zentral gesteuert werden und in dem die Konvergenz ausdrückliches Unternehmensziel ist.

Neue Ideen

Diese in der Studie detailreich beschriebenen Modelle dienten in den vergangenen Jahren sowohl Wissenschaftlern als auch Redaktionsmanagern als Basis für Analysen und Planungen redaktioneller Prozesse. In der Zwischenzeit haben Redaktionen neue Ideen entwickelt und umgesetzt. Insbesondere die Veränderungen des Medienmarktes – wie sinkende Auflagen und schrumpfende Werbeerlöse in Print und gleichzeitig die Tests neuer Erlösmodelle für digitale Plattformen – führen zu neuen redaktionellen Zielen, Strukturen und Workflows. Zudem wurde die Publikumsbeteiligung zu einer Schlüsselfrage redaktioneller Strategien.

Das internationale Forschungsprojekt charakterisiert jene Bereiche, die aktuell eine zentrale Rolle in Redaktionen spielen und die hier anhand der Veränderungen beim Modell der „vollständigen Integration” knapp erläutert werden. Dieses Modell steht ja für die stärkste Konvergenz von Print und Digital.

  • Redaktionsorganisation: Die Ressorts und die Ressortleitungen werden in einem Matrix-Modell gestärkt, denn dort fallen alle wesentlichen Publikationsentscheidungen für alle Plattformen. Neue Content-Management-Systeme schaffen nun die Umgebung, um transparent für alle Ausspielwege arbeiten zu können. So werden zum Beispiel in einem „Story-Folder“ alle Materialen zu einem Thema gesammelt und alle Veröffentlichungen dieses Themas gesteuert.
  • Workflows und Inhalte: Die Themen stehen im Mittelpunkt der redaktionellen Planung. So wird in Konferenzen über die wichtigen Themen und Inhalte gesprochen – und nicht mehr über das Befüllen von Zeitungsseiten. Es entwickeln sich zwei Geschwindigkeiten, welche die bisherige tägliche Zeitungsroutine ablösen: Zum einen wird die Nachricht mit nur wenig Kontext schnell in die digitale Welt gesetzt und dort – zusammen mit dem Publikum über Social Media und Foren – weitergedreht, begutachtet und mit Meinung versehen; zum anderen entstehen langfristige Geschichten mit exklusivem und investigativem Charakter, welche die redaktionelle Leistung und die Medienmarke über alle Plattformen hinweg stärken sollen.
  • Change Management und Training: Redaktionen verstehen den Wandel zunehmend als permanenten Prozess, für den die Köpfe und Herzen der Redakteure gewonnen werden müssen. „Taskforces“ oder Arbeitsgruppen, die aus allen Ebenen einer Redaktion zusammengesetzt sind, entwickeln neue Workflows, Arbeitsweisen und Formate; verpflichtende Seminare und Workshops begleiten und verändern die tägliche Routine einer Redaktion. Ohne permanente Einbindung und Schulung der Journalistinnen und Journalisten lässt sich kein Newsroom ändern. Rationale Argumente zielen auf die Köpfe der Redakteure ab – wie die Erhöhung der Reichweite rund um die Uhr, neue Zielgruppen und Nutzerbindung in einer digitalen Welt. Die Herzen können nur gewonnen werden, wenn möglichst viele Redakteure in Arbeitsgruppen und Diskussionsprozesse eingebunden werden. Die große Linie muss zwar von der Redaktionsleitung vorgegeben werden, aber Fragen zu Details – wie zum Beispiel neue physische Arbeitsumgebung, neue Workflows, Arbeitsteilungen und Arbeitszeiten – können auf allen Ebenen beantwortet werden.
  • Publikumsbeteiligung: Fast alle Journalisten – und nicht nur einzelne „Social Media Editors“ wie vormals – nutzen soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook oder Beitragsforen, um ihre Geschichten zu teilen und mit dem Publikum zu diskutieren. Transparenz gegenüber dem Publikum ist nicht nur eine redaktionelle Richtlinie, sondern eine tägliche individuelle Herausforderung und gelebte Praxis, die zu mehr Glaubwürdigkeit in einer unübersichtlichen digitalen Medienwelt beitragen soll.

Dieses beschriebene Modell der „vollständigen Integration“ existiert – ebenso wie die beiden anderen Modelle mit weniger Verschränkung von Print- und Onlinemedien – nicht in Reinform: Nicht alle genannten Merkmale finden sich also in einer einzelnen Redaktion. Die Modelle dienen aber zur Einordnung, wo eine Redaktion im internationalen Vergleich steht und welche Optionen sie hat.

Freiräume für Recherchen und Experimente

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Zukunft des Journalismus und für die Qualität der Zeitungen und digitalen Ausgaben? Die Arbeit in den Newsrooms verdichtet sich, der zeitliche Druck auf die Journalisten wird größer, die Freiräume werden kleiner – wenn man nur dem Diktat der Aktualität und der schnellen Nachricht folgt. Umso wichtiger ist es, dass das Redaktionsmanagement bewusst Freiräume für Recherchen sowie für das Experimentieren mit neuen Möglichkeiten, Darstellungsformen und neuen digitalen Plattformen schafft.

Ob dafür die finanziellen Rahmenbedingungen der Verlage den Redaktionen genug Spielraum geben, ist dann die entscheidende Frage. Nur mit Printerlösen sowie mit Werbefinanzierung im Internet sind kaum Wachstumsraten zu erwarten. Neue Erlösmodelle wie zum Beispiel Paywalls für alle, spezifisch auf Zielgruppen zugeschnittene Inhalte oder Unterstützung von Redaktionen durch Stiftungen oder andere öffentliche Einrichtungen werden unumgänglich sein, um die Qualität, Unabhängigkeit und Vielfalt des Journalismus zu steigern oder zumindest zu halten. Wenn Journalismus in einer Gesellschaft nichts kosten darf, ist er „umsonst“ – also nicht mehr relevant.

Erstveröffentlichung: Journo-Blog/derStandard.at vom 28. August 2013

Bildquelle: David Sim / Flickr

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