Auf dem Glaubenstrip

12. März 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: St. Galler Tagblatt

Es begab sich ausgerechnet zu der Zeit, als Gottvergessenheit herrschte in deutschsprachigen Landen: Die Medien entdeckten die Religion.

Als Moses high war
«Zugedröhnter Moses auf Gottes Trip», weidet sich der «Blick» an einer saftigen Meldung: Benny Shannon vom psychologischen Institut der Universität Jerusalem behauptete, der Prophet Moses habe auf dem Berg Sinai die zehn Gebote von Gott möglicherweise im Drogenrausch empfangen. So steht es im Alten Testament. Jedenfalls steht dort der erste Teil dieser Aussage, der zweite ist zu finden in der philosophischen Fachzeitschrift «Time and Mind».

Beglückt melden auch «heute», «20 Minuten», «Bieler Tagblatt», das Schweizer Fernsehen und viele andere, was Shannon predigte: Bewusstseinsverändernde Halluzinogene spielten eine wichtige Rolle bei den religiösen Riten der Israeliten im biblischen Zeitalter. Er glaube im Falle Moses an kein «übernatürliches Ereignis» oder eine Legende. Dieser Mann war high. Immer wieder. Auch als er den brennenden Dornbusch sah.

Er, der Wissenschafter, wisse das, weil er am Amazonas mit Substanzen aus dem Akazienbaum vergleichbare Erfahrungen gemacht. Und – O Wunder! O Erleuchtung! – in der Bibel sei doch oft ein Akazienbaum erwähnt. Wo ein Baum, da eine Substanz und wo eine Substanz, da ein Moses im Rausch auf dem Mountain so high… – stop, das steckt ja an.

«Du sollst nicht drögelen…»
Machen wir uns lieber bewusst, worum es geht: Der «Blick» scherzt, um die Erklärung, weshalb es kein 11. Gebot gibt, das lautet «Du sollst nicht drögelen…» Die Theologin und Autorin Elisabeth Hurth glaubt, all so was belege eine «populäre Mediatisierung von Religion» als «medialem Megatrend». Wohlgemerkt: Die Medien, nicht die Menschen wenden sich gegenwärtig hin zur Religion, die Volkskirchen sparen sich mangels Mitgliederzuwachs weiterhin zu Tode.

Beten mit «Bild»
Elisabeth Hurth verdeutlicht in gleich vier Kapiteln ihres neuen Buches «Religion im Trend oder Inszenierung für die Quote», dass besonders der Boulevardjournalismus zur Kirchenkanzel wurde, und belegt das am Beispiel der deutschen «Bild»-Zeitung. Sie betet mit den Opfern des Attentats auf das World Trade Center «Grosser Gott, steh uns bei!», «Bild» hadert nach dem Tsunami «Wo war Gott?». Und «Bild» bescherte den Deutschen die geniale Schlagzeile: «Wir sind Papst!» «Bild» steht freilich für alles, was man glauben kann oder nicht, empfiehlt heute Gott, morgen das Mondhoroskop.

Doch Geschäftigkeit herrscht vielerorts auf dem medialen Glaubenstrip: Entertainer Hape Kerkelings Erfahrungen auf dem Jakobsweg liegen in allen Buchläden, das deutsche Fernsehen machte Pater Paulus Terwitte zum Talkmaster, das Schweizer Fernsehen, in der «Sternstunde Religion», den ehemaligen Freund des Papstes, Hans Küng…

Zwei Forschungsprojekte
Seit den Terroranschlägen in New York berichten die Medien fast täglich von Konflikten, in denen Gotteskrieger und religiöse Fundamentalisten eine Rolle spielen. Schweizer Medien thematisieren Diskussionen über das Kopftuchtragen oder über sakrale Neubauten.

Wie halten es die Medien wirklich mit der Religion? An den Universitäten Zürich und Fribourg sind Forschungsprojekte angelaufen, die die Rolle von Journalisten und Massenmedien fassbarer machen wollen sowie die Symbole, Mythen, Rituale und Stereotypen, mit denen zum Beispiel die Schweizer Fernsehsender die Religionen darstellen.

Aufruf zum Medien-Fasten

Und was, bis die Gretchenfrage beantwortet ist? Papst Benedikt XVI. rief die Katholiken jetzt zum Medien-Fasten auf. In den Wochen bis Ostersonntag sollten sie ihre persönliche Beziehung zu Christus vertiefen, in einem Klima innerer Einkehr nach Gottes Willen forschen und Abstand nehmen «von der Fülle und Flut an Stimmen und Bildern». Die Medien verbreiteten die Aufforderung, sie abzuschalten. Wieso nicht? Wenn Religion immer mehr Thema, doch immer weniger Lebensentwurf ist, ist keine Gefahr im Verzug.

Amen?

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