Das längst Überholte Leitbild

1. Februar 2004 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Message, 02/04

Für italienische Journalisten war die Kriegsberichterstattung der amerikanischen Medien auch Teil eines globalen Trends – der «Italienisierung» des Journalismus.

Bemerkenswert intensiv hat sich die italienische Fachzeitschrift «Problemi dell’informazione» (Pdi) in mehreren Folgen mit der amerikanischen Berichterstattung über den Irak-Krieg auseinandergesetzt – zuletzt in einer Sondernummer, die den Anstoss des «Columbia Journalism Review» aufnimmt, die Objektivitätsnorm zu überdenken. Hier ein paar Lesefrüchte.

Angesichts des real existierenden italienischen Journalismus ist es kaum verwunderlich, dass italienische Medienkritiker Objektivität für eine Chimäre halten: «Es ist noch nicht einmal möglich, objektiv über die Objektivität von Journalismus zu reden», meint etwa achselzuckend der Journalist Luca De Biase, der für das Nachrichtenmagazin «Panorama» und für das Wirtschaftsblatt «Il Sole 24 Ore» schreibt und an den Universitäten von Mailand und Padua lehrt. Die Objektivität sei «nur einer der Werte, die den Journalismus definieren». Jeden Tag zeige sich von neuem, dass der Journalismus auch «von Emotionen, von politischen Pressionen, von gutem und schlechtem Geschmack, von kommerziellen Erfordernissen und anderem durchdrungen» sei. (Pdi 4/2003)

Auch Carlo Sorrentino, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Florenz, spricht von der «Idelogie der Objektivität», die durch eine «konstruktivistische Konzeption» des Nachrichtengeschäfts überwunden werden müsse. Als «bizarr» empfindet er, dass «wir jahrzehntelang bekräftigt haben, der italienische Journalismus müsse sich an den Standards anderer Länder» orientieren, seine «Exzesse der Politisierung und des Elitismus» überwinden und stattdessen ein reales Bild der sozialen Wirklichkeit vermitteln. Hingegen geschehe jetzt das Gegenteil: eine «Italienisierung» des Journalismus sei in den hochentwickelten Ländern zu beobachten, «in denen vormals die Organisationsabläufe und die Ausdrucksformen des modernen Journalismus entwickelt wurden». (Pdi 4/2003)

In puncto Objektivitätsanspruch verwundbarer ist der Journalismus heute aber auch aus wirtschaftlichen Gründen: Während so mancher Medienkritiker dank Auflagen- und Einschaltquoten-Zuwächsen die Medien als Kriegsgewinnler sieht, weist Fabio Amodeo, Journalist und Dozent an der Universität Mailand, darauf hin, dass der Krieg das Mediensystem «einen Haufen Geld» gekostet habe. Die «Schwergewichte» unter den Medienunternehmen seien in einer Zeit ökonomischer Stagnation und Krise auf eine harte Probe gestellt worden, der Krieg selbst habe zusätzliche Rückgänge beim Anzeigenaufkommen und den Werbeschaltungen ausgelöst. Eigene Reporter in Bagdad oder Kuwait-City zu stationieren oder sie in die amerikanischen Truppen «einzubetten», sei so kostspielig gewesen, dass kleinere Medienunternehmen keine Chance gehabt hätten, «mitzuspielen». Für freie Journalisten habe es sowieso nur einen denkbaren Einsatzort gegeben: im Norden, hinter den kurdischen Linien.

Die Medienindustrie, die in den vergangenen Jahren viel Geld in New Economy-Abenteuern, in Fusionen und Akquisitionen verspielt habe, sei ökonomisch «fragil»; ihr fehle, was über lange Zeit hinweg die sicherste Basis für ihr unabhängiges Urteil gewesen sei: finanzielle Polster, wie sie aus gesunden Bilanzen erwachsen. In der gegebenen Konjunkturlage habe sich niemand erlauben können, etwa aufgrund des Vorwurfs «unpatriotischen Verhaltens» Publika oder auch Kunden der werbetreibenden Wirtschaft zu verlieren (Pdi 2/2003).

Fabrizio Tonello, der Meinungsforschung und Kommunikationswissenschaften an den Universitäten Padua und Bologna lehrt, erinnert noch einmal an die Wahrheit, die «hinter den Feuilletons» über die Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein zu entdecken gewesen sei: Solche Waffen hätten «effektiv existiert» und sie seien auch «wirklich eingesetzt» worden, und zwar mit nachhaltiger Zustimmung seitens der USA und Grossbritanniens im Jahr 1988 gegen die Kurden und den Iran. Danach seien vom Saddam-Regime die ihm verbliebenen Chemiewaffen allerdings im Golfkrieg 1990/91 nicht genutzt und als Folge von Waffeninspektionen der UNO zerstört worden. In den Jahren 2002 und 2003 hätten die Regierungen in Washington und London dann die Massenmedien mit «konstruierter Propaganda über einen Verbrecher» zugeschüttet, «dessen Komplize sie über die gesamten 80er Jahre hinweg gewesen waren». (Pdi 2/2003)

Maurizio Ricci, Korrespondent von «La Repubblica», hat sich mit den Umfrageergebnissen in den USA zum Golfkrieg beschäftigt. Diese seien von den Medien «konstant grob verzerrt» wiedergegeben worden – insoweit, als die Mehrheit der Amerikaner keineswegs einen Alleingang von Präsident Bush befürwortet habe. Eine Zustimmung zum Krieg habe es lediglich für ein Vorgehen der internationalen Gemeinschaft unter einem UN-Mandat gegeben. Ricci führt das auf das Framing der Medien zurück und beruft sich dabei auf die Kommunikationsforscher Katherine Hall Jamieson und Paul Waldman. Sie haben in ihrem Buch «The Press Effect» beschrieben, wie vorgegebene «Rahmen» die selektive Wahrnehmung von Journalisten bei der Bearbeitung des Nachrichtenflusses steuern (Pdi 1/2003).

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