Der Allmächtige

10. Januar 2010 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Message 1/2010

Zwei neue italienische Bücher erklären warum Silvio Berlusconi trotz Sexaffären und Schmiergeld -Vorwürfen noch fest im Sattel sitzt. Verantwortlich dafür sind auch die Medien – nur nicht seine eigenen.

»Armes Italien: Silvio Berlusconi ist überall«, funkte die Deutsche Welle Anfang des Jahres in die Welt hinaus (19.2.2009). Ob als mächtiger Ministerpräsident, als erfolgreichster Unternehmer des Landes, als Medienmogul, als Sultan seines Harems, als Clown auf der internationalen Bühne, als »Papi« einer inzwischen 18-jährigen Verehrerin, als Kunde von Escort-Services oder als Angeklagter, der sich vielfach wegen Korruption und Schmiergeld-Zahlungen vor Gerichten zu verantworten hat: Kein Tag vergeht, an dem Silvio Berlusconi nicht für Schlagzeilen sorgt.

Neben den italienischen sind mittlerweile auch die internationalen Medien heiß auf pikante Berlusconi-News. Einerseits. Andererseits blicken sie auch ein wenig sprachlos auf Italien – das doch zu Kerneuropa gehört! – und versuchen zu verstehen, was dort eigentlich los ist.

»Er ist krank«

Wie bei einer russischen Matroschka-Puppe kommt ein Skandal nach dem nächsten ans Licht. Frühjahr 2009: Italiens Sensationsmedien sagen dem italienischen Regierungschef eine Affäre mit einer blutjungen Blondine aus Neapel nach. Berlusconis Frau Veronica Lario will die Scheidung. Dem Corriere della Sera sagt sie: »Mein Mann verkehrt mit Minderjährigen, und das tut er, weil er krank ist – so sehr, dass ich seinen Arzt gebeten habe, ihm zu helfen« (3.5.2009).

Weitere Skandalmeldungen: Berichte über italienische Showgirls, die Berlusconi ins Europarlament hieven wollte, über wilde Partys, die in seiner Villa auf Sardinien und in Rom gefeiert wurden, über Klagen gegen internationale Medien wie die spanische Zeitung El País oder daheim gegen die linksliberale Tageszeitung La Repubblica.

In seinen Stellungnahmen widerspricht sich Berlusconi regelmäßig selbst. »Würde unser Regie-rungschef so viele widersprüchliche Versionen liefern, hätte er die gesamte Presse am Hals, 24 Stunden am Tag. Und zum Schluss müsste er zurücktreten«, sagte Michael Binyon, Redakteur der britischen Times, im Interview mit La Repubblica (2.6.2009).

Weil die Times Rupert Murdoch gehört, der wiederum auf dem italienischen Fernsehmarkt mit Berlusconi konkurriert, wittert Letzterer eine Kampagne. Doch statt öffentlich zu den Fakten und den Vermutungen Stellung zu beziehen, versucht er mit Gegenangriffen den Schaden einzudämmen und seinen Popularitätsverlust zu stoppen: »Ich antworte nicht auf die Fragen einiger Zeitungen bezüglich meiner Gesundheit. Es genügt, das zu betrachten, was ich in diesen 15 Monaten Amtszeit getan habe, um zu begreifen, dass ich nicht krank, sondern Superman bin« (diepresse.com, 2.9.2009).

Löse jedes Problem mit einem Slogan

Wie ist es möglich, dass »Superman« Berlusconi trotz all dieser Skandale und Gerichtsverfahren an der Macht bleibt? Und welche Rolle spielen die Medien dabei? Zwei kürzlich erschienene Publikationen bringen Licht ins Dunkel.

Curzio Maltese, namhafter Kommentator von La Repubblica, beschreibt in seinem Buch »La Bolla« (»Die Blase«) wie der berlusconianische Traum platzt – ähnlich der Spekulationsblase, die in die Weltwirtschaftskrise geführt hat. Berlusconi agiere wie Bernie Madoff, jener ehemalige US-Börsenmakler, der mit einem Invest-mentfonds Anleger rund um den Globus um Milliarden betrogen hat. Madoffs Motto »Keep it simple and stupid« sei auch das Motto Berlusconis: Löse jedes Problem mit einem Slogan, sei es politisch, medial oder privat.

Maltese zufolge hat »der Berlusconismus die Demokratie ihrer Grundsätze und Werte beraubt«. Das Land sei seit 1994 tief gespalten: in »Berlusconiani« und »Anti-Berlusconiani«. Ersteren gehe es in ihrer politisch-medialen Seifenblase gut; sie können sich mit dem Charakter, mit den angeblichen Tugenden und Unsitten des Regierungschefs identifizieren oder zumindest arrangieren. Die Anti-Berlusconiani hingegen wollen nicht wahrhaben, dass sich die andere Hälfte der Italiener vom Cavaliere einseifen und betrügen lässt.

Popstar Berlusconi

Gianpietro Mazzoleni, Professor für politische Kommunikation an der Università degli Studi in Mailand, spricht in seinem Buch von einer »Politica Pop«, einer »Pop-Politik«, die Italien präge. Berlusconi mutiert für Mazzoleni zum Popstar, politische und mediale Macht fließe in einer einzigen Person zusammen und werde von ihr verkörpert.

Wie so viele italienische Intellektuelle sieht auch Mazzoleni in der italienischen Demokratie eine Anomalie: Ein starker Interessenkonflikt – personalisiert durch Berlusconi als mächtigstem Politiker und mächtigstem Medienmogul des Landes – und eine starke Politisierung der Medien vermischten sich mit Formen der Popkultur und moderner politischer Kommunikation. Das Endprodukt besteht schließlich aus Sensationalismus und Personalisierung.

Mazzoleni beschreibt Entwicklungen und Veränderungen, die in den letzten 30 Jahren die politische Kommunikation in Italien geprägt haben, aber auch in anderen postmodernen Demokratien virulent geworden sind. Letztlich hätten mediale Logiken die Art und Weise des politischen Handelns und Kommunizierens verändert.

Die »Pop-Politik« habe sich in Italien viel später als in den anderen Demokratien entwickelt. Berlusconi und andere politische Akteure hätten dann aber schnell dazugelernt und sich von bereits anderswo erprobten Modellen und Aktionsformen inspirieren lassen.

Im Prinzip, schreibt Mazzoleni, habe Italien einen ähnlichen Weg der Popularisierung und Mediatisierung von Politik beschritten wie andere Länder auch – nur konsequenter bezogen auf die eigene Kultur und Geschichte. Die »Pop-Politik« musste in Italien an die verzwickten, engen und tief verwurzelten Sonderbeziehungen zwischen Medien und Politik angepasst werden, um zu funktionieren. Anfang der 80er-Jahre geschah dies in einem ersten Schritt, als das private Fernsehsystem in die politische Kommunikation Formen der Spektakularisierung und Personalisierung einführte, die den Aufstieg Berlusconis zum allmächtigen Demiurg erst möglich machten.

Die Kommerzialisierung des Fernsehens, so Mazzoleni, habe Lebens- und Konsumstil der Italiener stark verändert sowie deren heutige Weltsicht entstehen lassen.

»Eine Zeitung ist keine Partei«

Nach der Lektüre der Bücher von Maltese und Mazzoleni wird einem erst recht klar: Italien ist nicht mehr das Land der blühenden Zitronen, als das es Goethe einst bezeichnete. Italien steht heute für ungelöste Interessenkonflikte, für politisiertes staatliches und für miserables privates Fernsehen, für Gesetzgebung ad personam, für Showgirls, die erst im Fernsehen und dann im Parlament Karriere machen sowie für Journalisten, die unter Polizeischutz leben müssen.

Italien gelingt es nicht, all die Probleme zu lösen, die immer mehr die Fundamente der Konstitution, der Politik und der Gesellschaft bedrohen.

Daran tragen freilich auch die Medien ihre Mitschuld, und zwar beileibe nicht nur das Fernsehen. Beispielhaft ist die Antwort von Ferruccio De Bortoli, dem Chefredakteur des Corriere della Sera, auf Unterstellungen von La Repubblica. Diesen zufolge könne das Mailänder Blatt nicht unabhängig und frei berichten, wenn es um Silvio Berlusconi geht. Einer der Gründe: Dessen Tochter Marina sitzt seit 2008 im Aufsichtsrat von Mediobanca. Das Kreditinstitut ist mit einem Anteil von 21,56 Prozent Großaktionär von RCS, dem Mutterhaus von Corriere della Sera.

In seiner Antwort stellte Corriere-Chefredakteur Ferruccio De Bortoli klar, wie in Italien die Medien agieren und der Journalismus Informationen verzerrt, wenn es um Berlusconi geht: »Eine Zeitung ist keine Partei. Nachrichtengebung ist korrekt, wenn sie alle notwendigen Elemente liefert, damit man sich frei und unbeeinflusst seine Meinung bilden kann.« Sie sei es nicht, wenn Nachrichten aufgebauscht oder untergebügelt werden, um mit Eigeninteressen übereinzustimmen oder um dem Zeitungseigentümer zu gefallen.

Und dies, so De Bartoli, sei genau das, was heute passiert: »Die Fakten werden nicht mehr von den Meinungen getrennt. Sie dienen vielmehr der Meinungsmache.« (12.10.2009).

Angriff und Gegenangriff

Somit perpetuiert sich die politische Spaltung des Landes im Mediensystem – vor allem in der Presse und im Fernsehen. Die links orientierten Zeitungen wie Il Manifesto, L’Unità, La Repubblica und das Nachrichtenmagazin L’Espresso fahren seit Monaten eine harte Kampagne gegen Berlusconi.

Die Zeitung Il Giornale, im Besitz von Berlusconis Bruder und somit Verlautbarungssorgan der Familie Berlusconi, attackiert umgekehrt unter seinem neuen Chefredakteur Vittorio Feltri brutal all jene, die sich gegen den Regierungschef äußern. Ein besonders krasses Beispiel ist der Fall Dino Boffo, ehemaliger Chefredakteur von Avvenire, dem Blatt der katholischen Bischofskonferenz. Boffo trat Anfang September 2009 zurück. Er hatte sich im Sommer des Jahres kritisch über Berlusconis Lebensstil geäußert. Daraufhin zitierte Il Giornale aus ominösen Dossiers, Boffo sei »ein bekannter Homosexueller«.

Der Corriere della Sera, die Wirtschaftszeitung Il Sole-24 Ore und das Turiner Blatt La Stampa gelten als die einzigen Blätter Italiens, die noch versuchen, einen an Fakten und Vielfalt orientierten Journalismus zu liefern.

»Wie Donald Trump im Weißen Haus«

Im Rest Europas und in den USA versteht kaum jemand Italiens Anomalien und schon gar nicht Silvio Berlusconis Über- und Allmacht. Die New York Times erklärte ihren Lesern: »Stellt euch eine Welt vor, in der Donald Trump NBC besitzt, seinen Wohnsitz im Weißen Haus hat, und wie er gerade Miss California zu einem Sitz im Kongress verhilft. Dann werdet ihr wenigstens halbwegs verstehen, was in Italiens Politik passiert.« (28.5.2009)

John Hoopers vom britischen Observer und vom Guardian wird noch deutlicher: »Wenn ein 72-jähriger Mann, verheiratet und Großvater, damit durchkommt, dass er sich weigert, etwas zu seiner Beziehung zu einer 18-Jährigen sowie zu Tonaufnahmen auszusagen, die dokumentieren, wie er im Bett mit einer Prostituierten über Orgasmen und Selbstbefriedigung diskutiert, dann muss man sich fragen, was solch einen Mann umhauen könnte.« (2.8.2009)

Auch die Headlines der deutschen Presse lassen keinen Zweifel: »Berlusconi: Warte im großen Bett auf mich«, schlagzeilte schlüpfrig der Tagesspiegel (24.6.2009). »Ist Silvio Berlusconi reif für die Sexklinik?«, fragte die Süddeutsche Zeitung (24.8.2009). Die Auslandspresse ist somit nahezu kollektiv dem Lager der Anti-Berlusconiani zuzurechnen. Dies wurde überdeutlich, als das oberste Gericht Italiens Berlusconis Immunität aufhob. Die Entscheidung wurde weltweit von der Presse begrüßt: »Italien wird ein Stück normaler« (Welt, 8.10.2009), »Italien ist wieder glaubwürdig« (El País, 8.10.2009), »Ein schlechter Tag für Premierminister Silvio Berlusconi, aber ein guter Tag für die italienische Demokratie« (New York Times, 8.10.2009).

Auch zum Thema Pressefreiheit haben sich die Medien in vielen europäischen Ländern deutlich positioniert. Als Kronzeugen haben sie vielfach Ezio Mauro zitiert, Chefredakteur von La Repubblica. Dem österreichischen Standard (6.10.2009): »Gegenüber einem Premier, dessen Verhalten Machtmissbrauch darstellt, müssen wir uns zu Recht fragen, welchen Stellenwert heute noch die freie Presse in Italien hat. In der Demokratie, in der wir leben, ist diese Freiheit verkümmert, so wie jenes fundamentale Recht der Bürger auf Wissen und Verständnis, das mit der Informationspflicht der Zeitungen einhergeht.«

Literatur

Curzio Maltese (2009): La Bolla. La pericolosa fine del sogno berlusconiano. Milano: Feltrinelli

Gianpietro Mazzoleni & Anna Sfardini (2009): Politica Pop. Da Porta a Porta a L’Isola dei Famosi. Bologna: Il Mulino


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