Der Scriptor vulgaris

6. Oktober 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Weltwoche 39/08

Schon Alfred Brehm wusste: Um ein Verhalten zu verstehen, muss man den Antrieb der Spezies kennen.
Der oberste Verleger, Verbandspräsident Hanspeter Lebrument, sagte kürzlich einen schönen Satz zur Lage der Nation: «Wir sind mit der journalistischen Unabhängigkeit zu weit gegangen.»

Auf Deutsch heisst das: Die Journalisten machen, was sie wollen.

Das ist ein guter Anlass, sich der Spezies der Journalisten einmal verhaltensbiologisch anzunähern. Wenn wir den gemeinen Journalisten (lat. Scriptor vulgaris) im freien Feld beobachten, dann fällt uns schnell seine hervorstechende Eigenschaft auf: Er macht, was er will.

Der Scriptor vulgaris tut, was er will, weil er will, dass sich etwas tut. Der Scriptor vulgaris will Applaus. Er will Resonanz auf seinen Artikel und auf seine Sendung. Den Applaus misst er an Leser- und Zuschauerreaktionen. Das ist eine stark egozentrische Wahrnehmung der Welt. Das Verantwortungsgefühl des Journalisten gehört darum nicht der eigenen Zeitung oder gar dem eigenen Unternehmen. Das Verantwortungsgefühl des Journalisten gehört sich selbst.

Es ist darum unvermeidlich, dass dieses Eigeninteresse des Journalisten mit externen Interessen kollidiert, also mit dem Interesse des Verlegers.

Kompliziert wird die Sachlage durch die Methode, mit der man Resonanz erzielt. Resonanz bekommt man nicht durch eine aus-gewogene und zurückhaltende Sachanalyse. Resonanz bekommt man, wenn man ein Unternehmen angreift, einen Manager attackiert oder einen Bundesrat niedermacht.

Also greift der Journalist Coop wegen dessen Personalpolitik an. Also attackiert er den Chef der Kantonalbank wegen dessen Wertberichtigungen. Also macht er den Bundesrat wegen dessen Amtsführung nieder.

Nun stammen aber fünfzehn Prozent der Werbeeinnahmen seines Verlagshauses von Coop. Nun steht aber sein Verlagshaus gerade in Verhandlungen mit der Kantonalbank über einen Neubaukredit. Nun entscheidet der Politiker aber gerade darüber, ob das Verlagshaus eine Radiokonzession bekommt.

Nun kann der Verleger vor die versammelte Mannschaft treten und sie anweisen, nur noch positiv über Coop, den Chef der Kantonalbank und den Bundesrat zu schreiben. Dann passiert nur eines. Die Anweisung des Verlegers findet sich am nächsten Tag in den Spalten der Konkurrenz. Sie schreibt von Zensur und einem empörenden Eingriff in die Pressefreiheit.

Der Verleger hat nur eine wirksame Möglichkeit, seine Journalisten einigermassen zu dirigieren. Es ist die Auswahl seiner Chefredaktoren. Er kann seinen Chefredaktoren Vorgaben machen, die sie in der Redaktion umsetzen müssen. Gute Chefredaktoren unterscheiden sich von guten Journalisten darin, dass ihr Verantwortungsgefühl nicht ihnen selbst gehört, sondern dem Unternehmen.

In der Medienbranche weiss man jeweils genau, wie eine Zeitung aussehen wird, wenn man den Namen eines neuen Chefredaktors erfährt. Dazu zwei Beispiele von zwei kürzlich erfolgten Ernennungen.

Als man beim Blick den ernsthaften Bernhard Weissberg zum Chef machte, wusste man genau, dass nun ein solides Blatt entstehen würde, eher informativ, aber ohne viel Lesevergnügen. Genau so kam es. Als man bei der Schwester Blick am Abend die Frohnatur Peter Röthlisberger zum Chef machte, wusste man genau, dass nun ein vergnügliches Blatt entstehen würde, eher oberflächlich, aber mit viel Unterhaltungswert. Genau so kam es.

Wenn Oberverleger Lebrument also beklagt, dass Journalisten machen, was sie wollen, dann sagt er etwas anderes. Er sagt, dass die Schweizer Chefredaktoren nicht richtig funktionieren. Dann aber haben unsere Verleger ein Führungsproblem.

Schuld ist dann nicht der scriptor sondern der praetor.

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