Die Neurose der Demontage

22. September 2011 • Ressorts • von

Politik

Je näher die Parlamentswahlen in der Schweiz rücken, umso erklärbarer wird die Blocher-Fixierung der Medien.

Die Schweizer Mediendatenbank ist das kollektive Gedächtnis unseres Journalismus. Alle Artikel, die seit den achtziger Jahren geschrieben worden sind, sind hier im Volltext abgespeichert. Vorher gab es nur zufällige Zettelarchive.

Der erste erfasste Artikel zu Christoph Blocher zum Beispiel stammt vom 15. Januar 1981. Er erschien im Tages-Anzeiger, geschrieben von Wilfried Maurer, dem Ratsberichterstatter des Blattes. Maurer berichtete über einen Parteitag der Zürcher SVP und deren Präsidenten Blocher. “Krawalle: Wir haben genug!”, hieß das Motto der Veranstaltung.

Seit Anfang 1981 sind in der Schweizer Presse 79 036 Artikel erschienen, die sich mit der Person Blochers beschäftigen. Zum Vergleich: Bei Kaspar Villiger, der in Politik und Wirtschaft genauso lang aktiv ist, sind es 28 231 Artikel.

Interessant und paradox daran ist, dass die Artikelflut über Blocher dann erst so richtig anschwoll, als Blocher niemand mehr war. Nach seiner Abwahl am 12. Dezember 2007 war er nunmehr weder Bundesrat noch Ständerat, noch Nationalrat, noch Parteipräsident, noch Unternehmer. Dennoch erschienen seit der Abwahl 24 219 Artikel, in denen er ein Thema war. Über Jesus Christus, wieder zum Vergleich, waren es 2285 Artikel.

24 219 Blocher-Artikel, das ist deutlich mehr, als in den letzten vier Jahren über publizistisch populäre Bundesrätinnen wie Micheline Calmy-Rey oder Doris Leuthard geschrieben worden ist. Das ist ungewöhnlich, weil Exekutivmitglieder allein schon wegen ihrer Regierungsrolle und ihren öffentlichen Pflichtprogrammen stärker im Fokus der Journalisten stehen.

Es handelt sich also um eine Blocher-Neurose, eine Art krankhafter Fixierung. Sie kann leicht erklärt werden, weil es dabei um das Herz des Journalismus geht. Es gibt einige Triebfedern für Journalismus, aber die wichtigste Triebfeder ist immer dieselbe geblieben. Die wichtigste Triebfeder des Journalismus ist die Demontage.

Das ultimative Ziel eines ambitionierten Journalisten ist die Zerstörung einer Karriere. Natürlich werden die Journalisten das öffentlich nie zugeben. Im privaten Gespräch aber sind sie sich einig. Die erfolgreiche Demontage ist die einzig wahre journalistische Trophäe.

Es spielt keine Rolle ob es sich um ungerechtfertigte Abschüsse handelt, etwa von Figuren wie UBS-Präsident Peter Kurer oder Bundesanwalt Erwin Beyeler. Beide hatten keine größeren Fehler im Job gemacht, und kleinere Fehler macht jeder. Aber sie waren auf einmal Zielobjekt einer medialen Treibjagd, die wiederum auf die Entscheidungsgremien wirkte. Manchmal entstehen die Treibjagden eher zufällig. Dann breiten sie sich spiralförmig aus und gewinnen an Stärke, weil die Aussicht auf die Zerstörung einer Karriere dermaßen verlockend wird.

Damit sind wir zurück bei Blocher. Er wurde Tausende Male in die Verdammnis geschrieben. Seine Karriere war aus Journalistensicht Tausende Male ruiniert, etwa bei Niederlagen in Wahlkämpfen, bei gescheiterten Volksinitiativen, bei umstrittenen Werbeaktionen, bei Kritik an seiner Amtsführung und dann final bei der Abwahl aus dem Bundesrat. Nach allen Regeln der Schreibzunft war der Mann x-fach erledigt und tot.

Das Unverzeihliche ist, dass Blocher politisch noch lebt. Es ist unverzeihlich, weil es die ganz große Ausnahme ist. Auch zähe Widerständler gegen wachsenden Mediendruck wie Roland Nef, Marcel Ospel und Claude Beglé hielten nur einige Monate oder einige Jahre lang durch. Dann waren sie durch die Medienkampagnen ausgebombt.

Es gibt nur zwei Politiker auf der ganzen Welt, die dauernd totgeschrieben wurden und weiter am Leben sind. Der andere ist Silvio Berlusconi.

Erstveröffentlichung: Weltwoche Nr. 37 / 2011

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1 Responses to Die Neurose der Demontage

  1. Stephan Russ-Mohl sagt:

    Na ja, der kleine Unterschied ist, dass Berlusconi Eigentümer der meisten Medien ist…und ihn nur die ausländischen Medien totschreiben…Und der andere kleine Unterschied ist wohl, dass Blocher Berlusconi schon um ein paar Köpfe intellektuell überragt und sich keine Bunga-bunga Parties leistet, keine Minderjährigen verführt, nicht Gesetze am Fliessband zu seinem ureigensten Nutzen produziert hat, keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen am Hals hat usw.…

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