Flasche leer

10. September 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Weltwoche 36 / 08

Johlend versuchten Journalisten, ein Besäufnis herbeizuschreiben.

Der Grund liegt näher, als man denkt. Der botellón war schliesslich nicht mehr als ein Picknick im Park. Kein Massenkotzen jugendlicher Besoffener. Nicht einmal einen Bewusstlosen gab es. Nur ein Picknick im Park. Was für ein Mist.

Der botellón endete als botellín. Das war darum so enttäuschend, weil sich die Medien wirklich keinen Vorwurf machen konnten. Über Wochen hatten sie das Picknick im Park zu einer monströsen Promilleparade hochgepuscht. Wie immer, wenn Journalisten ausrasten, verloren sie auch diesmal die Kontrolle über ihre Sprache. Es trafen sich also Tausende von «Kampftrinkern» und «Komasäufern» zum «Massenbesäufnis», zum «Saufen bis zur Besinnungslosigkeit» und zum «Meutesaufen».

Als der botellón begann, waren die Dutzende von Journalisten fast unter sich. «Zu Beginn schienen es fast mehr Medienvertreter als Trinkwillige zu sein», notierte die NZZ.

Wir könnten uns die Erklärung nun einfach machen. Die Medien sind wieder einmal ihrem unheilbaren Hang zum Alarmismus erlegen. Alarmismus ist die hysterische Warnung vor nicht existierenden Gefahren. Der Tod der UBS und der Weltkrieg in Georgien, Sars und Vogelgrippe, Gletscherschmelze und Ozonloch, Listerien und botellones – man amüsiert sich immer wieder über die medialen Panikattacken.

Wir machen uns die Erklärung aber nicht einfach, sondern wählen einen anderen Ansatz. Wir beschreiben das Verhältnis der Jour-nalisten zum Alkohol. Es ist ein inniges Verhältnis.

Österreichische Journalisten haben eine Lebenserwartung von gerade mal 61 Jahren. Ein wesentlicher Faktor ist der Suff. Nach britischen Studien sind Journalisten, Künstler und Psychologen – auch alkoholbedingt – die Berufe mit der kürzesten Lebenszeit. «Die Lebenserwartung wird nur noch von Wirten unterschritten», schreibt der Zürcher Presseverein in eigener Sache.

Noch in den siebziger und achtziger Jahren kreisten auf Schweizer Redaktionen schon tagsüber die Bierflaschen. In der untersten Schublade des Chefredaktors stand eine Whiskyflasche. Nach Redaktionsschluss becherte die Journaille in jenen wenigen Lokalen weiter, die damals bis zwei Uhr morgens offen hatten.

Der berühmteste Einzelfall war jener Zürcher Redaktor, der in seinem Büro jeweils Unmengen von Orangen schälte und verzehrte. Er galt als Gesundheitsapostel – bis er per Zufall ertappt wurde. Er hatte vor Arbeitsbeginn die Orangen jeweils subkutan mit einer Injektionsspritze präpariert, die er mit Wodka gefüllt hatte.

Heute sind die kreisenden Bierflaschen verschwunden, und auch Journalisten gehen ins Fitnessstudio. Geblieben aber ist eine hohe Alkoholdichte, die sich auf Redaktionen in einer unablässigen Folge von Apéros und Stehpartys niederschlägt. Kein Anlass ist zu gering, ein Glas zu heben. Es gibt den Einstand bei Arbeitsbeginn, den Ausstand beim Stel-lenwechsel, dazu zuhauf Beförderungen, Dienstjubiläen und Geburtstage, Weihnachts-, Oster- und Pfingstapéros, Blattneugründun-gen, Blatteinstellungen, Blattweiterführun-gen, Blattveränderungen, Branchentreffen und Preisverleihungen. Dazu kommen Erfolgsmeldungen aller Art, und Erfolge finden sich in dieser Branche immer.

Caterer haben auch heute eine Faustregel, wenn sie Anlässe in der Medienbranche beliefern. Sie schleppen das doppelte Quantum an Alkohol von dem heran, was bei vergleichbaren Anlässen in anderen Industriezweigen benötigt wird.

Wenn wir den Hype um den botellón betrachten, dann brauchen wir keine tiefsinnige Medienanalyse, um zu wissen, warum die Journalisten das Trinkgelage dermassen her-beischreiben wollten. Sie hätten einfach gerne selber mitgezecht.

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