Black box Afrika

15. März 2007 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche
Die Vorwarnung: Ich bin kein Afrika-Kenner. Aber ich möchte auch nur die Frage aufwerfen, was wir, die halbwegs am Weltgeschehen interessierten und halbwegs gebildeten Leserinnen und Leser in der Schweiz, noch über Afrika erfahren, und wie die Medien“realität“ mit dem kontrastiert, was man an eigenen Eindrücken sammelt, wenn man Gelegenheit hatte, ein Land des „Schwarzen Kontinents“ kennenzulernen – in meinem Fall Ghana. Um das zur Diskussion zu stellen, sollte man womöglich gar nicht zu sehr Experte sein.

Gerade mal zehn Tage lang war ich unterwegs, nicht nur in der Hauptstadt Accra, sondern auch im Hinterland – als Gast, eingeladen zu drei Podiumsgesprächen mit ghanaischen Journalisten, bei denen es um Pressefreiheit ging. Der Anlass: Ghana hat vor 50 Jahren als erster Staat Schwarzafrikas seine Unabhängigkeit errungen und war damals Keimzelle der panafrikanischen Bewegung. Heute gehört das Land zu jener Handvoll Staaten auf dem Kontinent, in denen die Demokratie halbwegs funktioniert, es wirtschaftlich aufwärts geht, und wo Journalisten nicht um ihr Leben bangen müssen, wenn sie einmal eine freche Lippe riskieren.

Die Medienrealität Afrikas, das wissen wir alle, besteht im wesentlichen aus Katastrophen, Kriegen und Krankheiten: Aids ist bekanntlich ein Problem, mit dem nicht wir, sondern die Afrikaner sich herumschlagen müssen. Dafür haben wir es mit BSE, SARS und Vogelgrippe zu tun – auch wenn die offiziellen Statistiken eine ganz andere Sprache sprechen.

Was in Vergessenheit zu geraten droht, ist das Alltagsleben, mit dem die grosse Mehrzahl der Menschen in Afrika zurecht kommen muss: Unvorstellbare Armut, keine Trinkwasser-Versorgung, vielerorts kein Strom oder zumindest ständig Stromausfälle, keine Kanalisation. Die Bretterverschläge und Wellblech-Behausungen, in denen in den grossen, gesichtslosen Städten Millionen auf engstem Raum zusammengepfercht sind. Die wenigen Menschen, die unter den gegebenen Umständen produktiv sein können, und die Unzähligen – vor allem Frauen – die sich als fliegende HändlerInnen irgendwie durchschlagen  müssen, indem sie am Strassenrand ein paar Kaugummis, Nüsse oder Bananen verkaufen.

Mir kam es ziemlich „abgehoben“, um nicht zu sagen, deplaziert vor, unter solchen Bedingungen über Pressefreiheit diskutieren zu sollen. Aber auch da lohnt sich ein zweiter Blick, weil Medienrealität und Erlebtes so gar nicht zusammen passen wollen: Folgt man dem Ranking von „Reporters sans Frontières“, so ist Ghana eines der fünf afrikanischen Musterländer. Im weltweiten Vergleich von 168 Ländern nimmt es Platz 34 ein – und rangiert damit vor Frankreich (35), Italien (40), Spanien (41) und den USA (53).

Und wie sieht die gelebte Pressefreiheit aus? Immerhin, jeder darf sagen was er will. Aber die Presseprodukte nehmen sich, trotz aller bemerkenswerten Vielfalt, bei genauerem Hinsehen doch sehr wie Verlautbarungs-Postillen aus. Und so scheint es auch „hinter den Kulissen“ zuzugehen: Als wir in Tamale unsere Podiumsdiskussion, zu der der Journalisten-Verband die Medienschaffenden eingeladen hatte, beginnen wollen, taucht der Gouverneur auf. Der Provinzpolitiker funktioniert die Veranstaltung in seine Pressekonferenz um. Er verkündet etwa eine Stunde lang, welche Anstrengungen in der Region zu den 50-Jahrfeiern unternommen würden. Er lockt die Journalisten mit Zuckerbrot („meine Partner und Freunde“), er droht mit der Peitsche („Wir kennen namentlich alle Störer, und wir werden gnadenlos gegen sie vorgehen“), und er befiehlt den Kameraleuten des lokalen TV-Senders, welche Passagen seiner Rede sie gefälligst mitzuschneiden hätten, als handelte es sich um seine PR-Crew.

Kurz bevor wir in Ghana angelandet sind, wurde der Vorsitzende eines regionalen Journalistenverbands ermordet. Über Täter und Tatmotive war zum Zeitpunkt unserer Abreise noch nichts bekannt. Noch lässt sich hoffen, dass der Mord nicht politisch motiviert war – anders als bei den jüngsten Exekutionen von Reportern in Russland, über die unsere westlichen Politiker so grosszügig hinwegsehen (allen voran der  deutsche Ex-Bundeskanzler Schröder, der bekanntlich Putin für einen „lupenreinen Demokraten“ hält und sich obendrein nicht nur von Ringier, sondern auch von Gazprom fürstliche Beraterhonorare zahlen lässt).

Doch zurück nach Afrika. Mir, der ich erstmalig auf dem schwarzen Kontinent unterwegs war, ist schmerzlich bewusst geworden, wie sehr uns inzwischen – trotz oder wegen der Globalisierung – Reporter wie Ryszard Kapuściński oder auch Werner Holzer fehlen. Beobachter, die sich auskennen, die sich verständigen können und die sich nicht zu schade dafür sind, auch in schäbigen Quartieren abzusteigen, um den Alltag einzufangen.

Pressefreiheit ist leider nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um zu erfahren, was auf der Welt los ist. Wir selbst, die Leser, Hörer und Zuschauer, müssen womöglich tiefer in unsere Tasche (und seltener nach Gratis-Produkten wie „20 Minuten“, „heute“ oder „cash daily“ greifen), damit wir erfahren, was in Afrika und anderswo wirklich passiert. Sonst werden die Erbsenzähler unter den Mediengewaltigen weitere Korrespondentenposten wegrationalisieren – in der leider gar nicht so irrigen Annahme, dass die meisten von uns „es“ eben doch nicht so genau wissen wollen.

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