Le Monde – der Name ist Programm

1. Oktober 2013 • Ressorts • von

Ein Kosmopolit ist jemand, der sich als Bürger der ganzen Welt versteht. Nationale Grenzen spielen für ihn keine wesentliche Rolle. Medien können mit ihrer Berichterstattung zum Kosmopolitismus beitragen. Ein Team des Forschungsprojekts „Die Transnationalisierung von Öffentlichkeit am Beispiel der EU: Reaktionen der Bürger“ hat nun unter die Lupe genommen, warum einige Medien mehr über Themen aus aller Welt berichten und Interesse dafür wecken als andere.

Michael Brüggemann von der Universität Zürich und Katharina Kleinen-von Königslow von der Universität Wien haben für die August-Ausgabe des European Journal of Communication ihre Ergebnisse zusammengefasst.

Eine Berichterstattung, die „kosmopolitisch“ ist, weist laut den Forschern drei grundsätzliche  Elemente auf: Ein Eckpfeiler sind regelmäßige Beiträge über das Ausland. Außerdem sollten in einigen Artikeln auch ausländische Akteure zu Wort kommen, damit ein transnationaler diskursiver Austausch entsteht. Darüber hinaus spielt die Ländervielfalt in der Berichterstattung eine große Rolle, das heißt: Medien eines Landes sollten nicht nur über die angrenzenden oder mächtigsten Nationen berichten, sondern global. Dabei sollte die Messlatte nicht zu hoch angesetzt werden, schreiben die Autoren, denn natürlich könne ein Nachrichtenredakteur nicht im selben Maß über Liechtenstein berichten wie über die USA.

Das Forscherteam hat Beiträge von zwölf Tageszeitungen aus sechs europäischen Ländern – Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Polen – ausgewertet, darunter waren jeweils die führende Qualitätszeitung und die führende Boulevardzeitung des Landes. In Deutschland waren das FAZ und Bild, in Dänemark Politiken und Ekstra Bladet, in Frankreich Le Monde und Le Parisien, in Großbritannien The Times und The Sun, in Österreich Die Presse und Kronen Zeitung, in Polen Gazeta Wyborcza und Super Express. Insgesamt kodierte das Forscherteam im Jahr 2008 während eines zweiwöchigen Zeitraums 4587 Beiträge.

Das Sample wurde bewusst so gewählt, dass es Zeitungen von großen Ländern wie Deutschland und Frankreich und kleinen Ländern wie Österreich und Polen beinhaltet; zudem von Ländern, deren Bürger sich als Weltbürger sehen und von Ländern, deren Bürger sich eher stärker mit ihrer eigenen Nation identifizieren. Im Vergleich zu den anderen fünf Untersuchungsländern ist Polen das Land, in dem sich die meisten Menschen als Weltbürger sehen – dies gaben laut Ergebnissen des Eurobarometers 33 Prozent der polnischen Befragten an. In Großbritannien sehen sich die Menschen am wenigsten als Weltbürger (15 Prozent).

Am besten schneidet die französische Le Monde ab. Sie hat einen hohen Anteil an Auslandsberichterstattung und lässt in ihren Beiträgen viele ausländische Akteure zu Wort kommen. Zudem ist ihre Berichterstattung von einer ungewöhnlich großen Ländervielfalt geprägt: die Auslandsberichterstattung, die sich auf die fünf größten Länder der Welt bezieht, macht nur ein Drittel der gesamten Auslandsberichterstattung aus. Die österreichische Qualitätszeitung Die Presse lässt zwar auch viele ausländische Akteure zu Wort kommen, wovon ein Drittel aber Deutsche sind, was letztendlich zu einer niedrigeren Diversität führt. Am schlechtesten schneidet die polnische Boulevardzeitung Super Express ab, die kaum ausländische Akteure zu Wort kommen lässt. 88 Prozent der Zitierten stammen zudem aus denselben fünf Ländern.

Um herauszufinden, ob die Redaktionen generell über eine kosmopolitische Ausrichtung verfügen, führten die Forscher Interviews mit Chefredakteuren und Auslandskorrespondenten. Der Chefredakteur der Le Monde, Alain Frachon, sagt: „Wir wollen die Geschichte einer globalisierten Welt erzählen. Wir berichten über Frankreich im Kontext der globalen Entwicklungen.“ Seine Aussage macht laut Brüggemann und Kleinen-von Königslow deutlich, dass bei Zeitungen, die eine kosmopolitische Mission verfolgen, die globale Dimension auch in der Inlandsberichterstattung eine große Rolle spielt.

Die FAZ hatte mit 40 Mitarbeitern im Jahr 2008 die meisten Auslandskorrespondenten, während die  untersuchten Boulevardzeitungen keinen oder nur einen Korrespondenten hatten. Dennoch macht die Analyse deutlich, dass die Unterscheidung zwischen Qualitäts- und Boulevardzeitung nicht ausreicht, um Unterschiede in der kosmopolitischen Berichterstattung zu erklären. Die beiden Qualitätszeitungen aus Großbritannien und Dänemark – The Times und Politiken – lassen etwa ebenso wenige ausländische Akteure zu Wort kommen wie die Boulevardzeitungen der beiden Länder The Sun und Ekstra Bladet. Es sei „besorgniserregend“, so die Forscher, dass die führenden Zeitungen Dänemarks und Großbritanniens es nicht schaffen, die Auswirkungen der Globalisierung auf die Bürger abzubilden.

Wie die Analyse zeigt, ist der wichtigste Faktor für eine kosmopolitische Berichterstattung die Blattlinie der Redaktion, die festlegt, wie viel Zeit und Ressourcen in Auslandsberichterstattung investiert werden. Sie ist aber eng mit der Anzahl der beim Medium beschäftigten Auslandskorrespondenten verknüpft: Zeitungen mit einer kosmopolitischen Blattlinie haben eher viele Auslandskorrespondenten. Diese verstärken durch ihre Interaktion mit den Redakteuren in der Heimatredaktion die kosmopolitische Ausrichtung der Zeitung. Dies setzt eine Dynamik wie bei Le Monde in Gang, die in den Augen der Forscher über eine exzeptionelle kosmopolitische Berichterstattung verfügt.

Ihre Hypothese, dass sich die Berichterstattung nach den Interessen der Leser richtet, wie es auch viele Redakteure immer wieder anführen, hat sich nicht bestätigt. Eine kosmopolitische Bevölkerung ist kein Anzeichen für eine kosmopolitische Berichterstattung in dem Land, ganz im Gegenteil: In Polen etwa, wo sich die Bevölkerung stark mit transnationalen Gemeinschaften identifiziert, berichtet das Boulevardblatt Super Express sehr provinziell.

Die Hypothese, dass Zeitungen in kleineren Ländern eher kosmopolitischer berichten als Zeitungen  in Ländern mit einer größeren Bevölkerung, hat sich dagegen bestätigt. Kleinere Länder sind oftmals weltoffener und haben starke wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen zu anderen Ländern, was sich auch häufig in der Berichterstattung der Medien bemerkbar macht.

„Sowohl strukturelle und kulturelle als auch organisatorische und länderspezifische Variablen interagieren miteinander und sind für das Ausmaß kosmopolitischer Berichterstattung verantwortlich“, fassen Brüggemann und Kleinen-von Königslow ihre Ergebnisse zusammen.

Brüggemann, Michael; Kleinen-von Königslöw, Katharina (2013). Explaining cosmopolitan coverage. In: European Journal of Communication, 28. Jg., H. 4, S. 361-378.

Bildquelle: Thomas S.  / pixelio.de

 

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