Lokale und nationale Öffentlichkeiten

1. August 2014 • Ressorts • von

Das Ideal aller demokratischen Entscheidungen ist ein gut informierter und kompetenter Bürger. Dies gilt für politische Entscheidungen auf allen Ebenen – von der lokalen Entscheidung, ob die Stadt, in der man wohnt, ein neues Sportstadion baut, bis zu weitreichenden nationalen Entscheidungen, zum Beispiel dem Ausstieg eines Landes aus der Atomkraft. Sowohl im Lokalen als auch auf nationaler Ebene ist daher relevant, wie sich die Bürger eine Meinung über politische Themen bilden und welche Rolle die Medien dabei spielen.

Aber gibt es dabei Unterschiede zwischen lokalen und nationalen Themen? Macht es für die Bürger, ihre Informationsnutzung und Meinungsbildung einen Unterschied, ob es sich um das neue Sportstadion vor Ort oder den Atomausstieg ihres Landes handelt?

Inwieweit es tatsächlich Differenzen in den Medienwirkungen bei lokalen und nationalen Themen gibt, habe ich in einer Studie überprüft. Die Studie vergleicht das Informations- und Kommunikationsverhalten der Bürger in Deutschland bei drei nationalen und drei lokalen politischen Themen. In einer standardisierten Befragung im Jahr 2011 wurde untersucht, wie sich die Befragten über nationale Themen – den Atomausstieg, den Euro-Rettungsschirm und die mögliche Einführung einer PKW-Maut – informieren und welche Auswirkungen dies auf ihre Meinung, Kompetenz und die Bereitschaft, sich politisch zu beteiligen, hat. Die gleichen Aspekte wurden für drei lokale Themen untersucht – den Bau eines Windparks in einer Gemeinde in Bayern, der Bau einer Umgehungsstraße in Limburg a. d. Lahn sowie das geplante Musikzentrum in Bochum.

Betrachtet man gängige Annahmen, dann unterscheiden sich lokale und nationale Öffentlichkeiten. Oft wird behauptet, die Bürger informieren sich und kommunizieren häufiger über lokale Ereignisse, da sie sich direkter davon betroffen fühlten und diese besser beobachtbar seien. Am neuen Konzerthaus fährt man vielleicht jeden Tag vorbei, während man die Umstellung von Atomstrom auf Ökostrom nicht an der Steckdose sehen kann. Bundespolitische Themen seien auch komplexer und weniger verständlich als lokale Themen. Gleichzeitig wird angenommen, dass die Medien auf lokaler Ebene weniger Einfluss ausüben und persönliche Gespräche dort bedeutsamer sind. In Vereinen, lokalen Parteiorganisationen und in der Nachbarschaft gibt es schließlich zahlreiche Möglichkeiten, sich über lokale Politik zu unterhalten oder manchmal sogar direkt mit Lokalpolitikern in Kontakt zu kommen.

Ein weiterer Unterschied besteht in der Rolle der Journalisten. Ein Lokaljournalist berichtet meist über Themen seiner eigenen Gemeinde. Deshalb kann ihm die Rollentrennung von Bürger, Journalist und Privatmann schwerfallen. So muss ein Lokaljournalist zum Beispiel kritisch über die Gemeindeverwaltung berichten, von der er aber als Privatmann gleichzeitig auf die Erteilung einer Baugenehmigung wartet. Journalisten, die für landesweite Medien arbeiten, sehen sich weniger mit diesem Problem konfrontiert.

All diese Differenzen zwischen der lokalen und nationalen Öffentlichkeit legen nahe, dass sich auch die Kommunikations- und Meinungsbildungsprozesse der Bürger unterscheiden, je nachdem ob es sich um ein lokales oder ein nationales Thema handelt. Um dies zu testen, wurden in der Studie zu den drei lokalen und drei nationalen Themen insgesamt rund 1000 Personen befragt und die Ergebnisse verglichen.

Zur Information über die drei lokalen Themen nutzen die Befragten am häufigsten die lokale Tageszeitung (82%, n=504). Wollen sie sich über eines der nationalen Themen informieren, wird am häufigsten der Fernseher angeschaltet (71%, n=510). Allerdings sind bei nationalen Themen auch die Tageszeitung (55%), das Radio (51%) und das Internet (40%) wichtige Informationsquellen. Es bestätigt sich, dass über die lokalen Themen häufiger gesprochen wird: 53% der Befragten sprechen sehr häufig oder häufig über das lokale Thema, wogegen dies bei den nationalen Themen nur 44% der Befragten tun. Die Informationsqualität der Medienberichterstattung wird sowohl bei lokal- als auch bei bundespolitischen Themen von den Befragten als mittelmäßig eingeschätzt und mehr als die Hälfte der Befragten nehmen die Berichterstattung über beide Arten von Themen als neutral oder ausgewogen wahr.

Allerdings lassen sich die Bürger von Informationen aus den Massenmedien nur wenig in ihrer Meinung zu den verschiedenen Themen beeinflussen. Wenn überhaupt haben Gespräche über die lokalen Themen einen Einfluss auf die Meinung der Bürger, und zwar einen negativen, der eine ablehnende Haltung gegenüber einem lokalpolitischen Entscheidungsvorschlag forciert. Unterhält sich jemand zum Beispiel häufig über den geplanten Windpark, dann ist er eher dagegen, dass dieser tatsächlich gebaut wird. So führen persönliche Gespräche über lokale Themen tendenziell dazu, dass die Bürger den Status quo beibehalten wollen.

Im Gegensatz zu den üblichen Erwartungen sind die Befragten bei den lokalen Themen nicht kompetenter. Sie wissen nicht besser über sie Bescheid und interessieren sich im Durchschnitt auch nicht mehr dafür als für die nationalen Themen. Trotzdem sind die lokale Tageszeitung und Gespräche über lokale Themen für die Information der Bürger wichtig. Wenn sie regelmäßig die lokale Tageszeitung lesen und sich über die lokalen Themen mit anderen Personen unterhalten, sind sie informierter und interessierter.

Die Teilnehmer der Studie wurden auch gefragt, ob sie sich an einer Abstimmung zu den nationalen und lokalen Themen beteiligen würden, wenn es eine solche gäbe. Bei allen Themen war die Bereitschaft zur Beteiligung sehr hoch: bis zu 77% der Befragten gaben an, sich sicher an einer Abstimmung zu beteiligen. Handelt es sich dabei um ein nationales Thema, dann fördert eine intensive Mediennutzung die Beteiligungsbereitschaft. Je häufiger die Befragten sich in den Massenmedien beispielsweise zum Atomausstieg informieren, desto eher würden sie sich an einer Abstimmung, ob Deutschland bis 2022 aus der Kernenergie aussteigen soll, beteiligen.

Die Studie bietet neue Befunde zum Vergleich der Kommunikation über lokale und nationale Themen. Das wichtigste Informationsmedium in der lokalen Öffentlichkeit ist weiterhin die lokale Tageszeitung. Insgesamt ist die Vielfalt der genutzten Massenmedien bei nationalen Themen größer als in lokalen Öffentlichkeiten. Bei der Analyse der Medienwirkungen wurden darüber hinaus weitere wichtige Faktoren berücksichtigt, wie die wahrgenommene Betroffenheit von den jeweiligen Themen, die politischen Voreinstellungen und das politische Vertrauen der Bürger. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Informations- und Rezeptionsprozesse in lokalen und nationalen Öffentlichkeiten unterschiedlich auf die Meinung, Kompetenz und Beteiligungsbereitschaft der Bürger auswirken.

Bildquelle: Günter Havlena / pixelio.de

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