Mehr Wissenschaftsthemen in den Medien

24. Juli 2009 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

Nischenexistenz der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer. Wissenschaftliche Themen finden in den Medien mehr Beachtung. Das zeigt eine Studie. Die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer stehen allerdings nicht im Fokus der Aufmerksamkeit.

Das Interesse der Medien an Wissenschaftsthemen hat im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Dies schlägt sich auch in der Schweiz in ausgebauten Redaktionen, neuen Sendungen und mehr Platz für Wissenschaftsthemen nieder. Die Universitäten begegneten dem Trend mit einem leichten Ausbau der Medienstellen. Forschungsergebnisse aus den Geistes- und Sozialwissenschaften werden aber erstaunlich wenig kommuniziert.

Eine Studie von Christina Elmar, Franziska Badenschier und Holger Wormer (Universität Dortmund)* vergleicht die Wissenschaftsberichterstattung der drei deutschen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung», «Süddeutsche Zeitung» und «Die Welt» über zwei Zeiträume in den Jahren 2003/04 und 2006/07 hinweg. Die Forscher konstatieren einen regelrechten Boom. Die Wissenschaftsberichterstattung hat in diesem kurzen Zeitraum um 48 Prozent zugenommen. Um 136 Prozent legten die Beiträge mit wissenschaftlichem Bezug zu, die von diesen Zeitungen ausserhalb der Wissenschaftssektionen veröffentlicht wurden. 40 Prozent aller Beiträge mit einem Wissenschaftsbezug erschienen in anderen Ressorts.

Ausbau bei Radio DRS und SF

Auch in der Schweiz dürfte sich die Tendenz bestätigen, dass sich die Themenauswahl weniger am wissenschaftlichen Gehalt einer Meldung orientiert und dafür stärker am breiten Publikum. Eine ähnlich detaillierte Studie liegt aber zurzeit nicht vor. Eigene Recherchen** haben ergeben, dass bei 20 grösseren Redaktionen in der Schweiz in den letzten Jahren 12 neue Stellen in den Wissenschaftsressorts geschaffen wurden. Allen voran hat der öffentliche Rundfunk das Ressort ausgebaut: Mit «Wissenschaft DRS 2» wurde eine neue Radiosendung geschaffen, beim Fernsehmagazin «Einstein» der Erscheinungsrhythmus erhöht. Beim Schweizer Fernsehen arbeiten 20 Wissenschaftsjournalisten, die sich 10 Stellen teilen, bei Radio DRS sind es 6 Journalisten auf 4,7 Stellen. Die Befragung hat allerdings vor den jüngst bekanntgewordenen Abbauplänen einiger Schweizer Medienhäuser stattgefunden. So wird etwa die Redaktion Wissen des «Tages-Anzeigers», die mit 5 Stellen bisher zu den grossen des Landes zählte, um ein Drittel verkleinert.

Gesponserte SDA-Redaktion
Die befragten Journalisten sagen, dass sich ihre Arbeit nicht nur auf Wissenschaftsseiten und -sendungen niederschlägt, sondern zunehmend auch in Ressorts wie Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft. Umgekehrt produzieren aber Journalisten aus anderen Ressorts auch Inhalte zu Wissenschaftsthemen. In den letzten Jahren haben zudem etliche Medien ihre Wissenschaftsredaktionen mit anderen Ressorts zusammengelegt. Ob diese Entwicklung dem Wissenschaftsjournalismus förderlich ist, liesse sich nur mit einer Inhaltsanalyse prüfen.

Seit dem vergangenen Herbst bietet die Nachrichtenagentur SDA einen neuen Wissenschaftsdienst an, der die Redaktionen mit Meldungen versorgt. Die Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS) trägt zwei Drittel der Kosten. Inwiefern dies mit der gebotenen Unabhängigkeit verträglich ist, wird sich zeigen. Man stelle sich vor, Novartis oder die Schweizer Pharmaverbände würden die Medizinberichterstattung einer Zeitung sponsern. Die Glaubwürdigkeit wäre sofort dahin. Ob sich der Versuch aus Sicht der Hochschulen lohnt und ob er weitergeführt wird, entscheiden ihre Kommunikationschefs nächstes Jahr. Vielleicht handelt es sich gar um eine zukunftsweisende Form der Journalismusfinanzierung, wenn die Werbeeinnahmen weiter wegbrechen und diese nicht durch höhere Abonnementspreise ausgeglichen werden können.

Die Kommunikationsabteilungen der Schweizer Universitäten haben inzwischen deutlich mehr Mitarbeiter als die Wissenschaftsredaktionen der Medien. Jedoch beschäftigen sich «nur» etwa 28 von 140 Mitarbeitern überwiegend mit Medienarbeit. Die Universitäten haben ihre PR-Kapazitäten in den letzten Jahren leicht ausgebaut. Sie produzieren Medienmitteilungen am laufenden Band, aber dabei geht es häufig nicht um Forschungsergebnisse: Zwei Drittel der knapp 700 Presse-Aussendungen beschäftigten sich letztes Jahr mit der Hochschule als Institution, mit Veranstaltungen oder mit der Ernennung neuer Professuren. Was Kerngeschäft sein sollte, fristet somit eher ein Schattendasein: die Vermittlung von Erkenntnissen. Dies gilt insbesondere für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Mit ihnen befassten sich lediglich 49 Aussendungen, während zu Medizin, Technik und Naturwissenschaften 175 Medienmitteilungen produziert wurden.

Wie erfolgreich die Medienarbeit der Schweizer Universitäten einerseits ist und wie schlecht die Kommunikationsabteilungen der Hochschulen anderseits noch immer ausgestattet sind, kann man nicht zuletzt daran ermessen, dass ein einziger grosser Schweizer Pharmakonzern mehr PR-Leute und auch mehr Experten für Medienarbeit beschäftigt als alle Schweizer Universitäten zusammen.

Paradoxe Situation
Auch in den Redaktionen erkennt man eine paradoxe Situation: Dort sind weiterhin Naturwissenschafter, Mediziner und Techniker unterrepräsentiert. Anderseits nabeln sich Journalisten mit geistes- und sozialwissenschaftlichem Hintergrund offenbar mehr von ihrer akademischen Sozialisation ab – wohl auch deshalb, weil diese Wissenschaften nirgendwo und überall abgehandelt werden. Oftmals scheinen nur ihre skurrilen Varianten im Vermischten auf, vorzugsweise in Form von demoskopischen Umfragen oder Rankings. Viele Forschungsarbeiten werden offenbar weiterhin für die Schublade produziert, obwohl sie womöglich nutzbare Erkenntnisse enthalten – sei es für die Politik, die Wirtschaft oder für Forscher, die in anderen Disziplinen arbeiten.

* Christina Elmar, Franziska Badenschier, Holger Wormer: Science for Everybody? How the Coverage of Research Issues in German Newspapers Has Increased Dramatically. Journalism & Mass Communication Quarterly, Band 85, Heft 4 (2008), S. 878–893. ** Befragt wurden im Auftrag der SAGW 20 Schweizer Redaktionen und 12 Hochschulpressestellen.

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