Prinzip Mausefalle

3. Juli 2006 • Ressorts • von

Süddeutsche Zeitung, 3. Juli 2006

Condé Nast startet in den USA ein Wirtschaftsmagazin – und lockt in der Branchenmisere mit Luxusjournalismus
Ungleicher kann eine Beziehung eigentlich gar nicht sein: Ausgerechnet das amerikanische Verlagshaus Condé Nast Publications, bekannt für seine Glamour-Hefte Vogue, Vanity Fair und GQ, plant ein neues monatliches Wirtschaftsmagazin. Condé Nast Portfolio soll das Heft heißen und der Untertitel fügt hinzu "Business Intelligence".

Bis zum ersten Erscheinungstag am 24. April 2007 ist es zwar noch ein Weilchen hin, doch Chefredakteurin Joanne Lipmann demonstrierte bei einem Business-Lunch für Werbekunden im Four Seasons-Hotel in New York schon mal, wie sie mit den Wirtschaftsbossen zukünftig umgeht. Zwischen Fischfilet im Knuspermantel und süßem Gebäck plauderte sie mit Google-CEO Eric Schmidt. Sie fragte nach Googles Plänen in China, Umsatzzahlen, Erlösquellen und wollte am Ende wissen, wie sich das so anfühlt, wenn eine Firma zu mächtig wird.

"Mad Money": Schräg gewinnt

Frau Lipmann, die vom Wall Street Journal zu Condé Nast kam, ist sehr charmant und lacht viel, man merkt erst hinterher, dass sie auch sehr klug ist. Eben die personifizierte Version dessen, womit der Verlag Condé Nast nun im US-Wirtschaftsjournalismus Geld verdienen will: tolle Optik mit Substanz. Portfolio, so kündigt der Verlag an, soll lange, investigative Geschichten erzählen und "neue Wege finden, die über die traditionelle Business-Berichterstattung hinausgehen". Eine Mischung aus Vanity Fair und Economist.

Der Zeitpunkt für den Jumpstart, scheint gut gewählt. Die etablierten Wirtschaftsmedien kommen in Amerika seit Jahren nicht vom Fleck. Finanz- und Anlegermagazine bleiben am Kiosk liegen und verlieren treue Werbekunden. Das erste Quartal 2006 verlief mit einem Einbruch des Anzeigengeschäfts von bis zu neun Prozent bei Titeln wie Forbes, Fortune oder Business Week erneut enttäuschend.

Eine Besserung, so schätzen Branchenkenner, sei vorerst nicht in Sicht. Auch im Fernsehen ist Wirtschaft auf das Nötigste zurückgefahren. Analytische Formate gibt es kaum noch, CNN schaltete seinen Finanzkanal CNNfn (CNN Financial News) vor zwei Jahren ganz ab. Der Bedarf an Wirtschaftsinformationen ist in Amerika jedoch nach wie vor groß. Nur sei die Berichterstattung nach dem Dot-Com-Crash viel zu eintönig und pessimistisch geworden, so der New Yorker Medienanalyst David Carr.

In der allgemeinen Dürre haben plötzlich die schrägen Typen Erfolg. Etwa James Cramer mit seiner täglichen Börsen-Show Mad Money, die nach ein paar Monaten zum erfolgreichsten Format beim Finanzsender CNBC aufstieg. Cramer verzichtet auf langweilige Expertenrunden oder Dow Jones-Graphiken im Hintergrund. Statt dessen schreit er seine Zuschauer an, zertrümmert Stühle und herrscht über einen Pult mit Soundeffekten. Wenn er vor einer Aktie warnt, untermalt er seine Worte mit einer Toilettenspülung oder eine Stimme ruft aus dem Off "Sell, sell, sell!". Im Schnitt erreicht Mad Money 150 000 Zuschauer. Die New York Times bezeichnete den ehemaligen Hedge-Fond-Berater als "Rockstar" unter den Wirtschaftsgurus, Business Week widmete dem "Cramer-Phänomen" eine Titel-Geschichte. Auf dem konservativen Nachrichtensender Fox News ist der Wirtschaftsexperte Neil Cavuto erfolgreich, weil er Bewegungen am Aktienmarkt oder Unternehmenspleiten gern mit religiösen Phänomenen erklärt.

So glaubt auch Condé-Nast Verlagsleiter David Carey an einen Überraschungserfolg von Portfolio, weil es ganz anders als alle anderen werden soll. Wenn die alten Medien schwächeln, so seine Überlegung, sei es Zeit, eine "neue und attraktivere Mausefalle" aufzustellen. Das heißt im Fall von Condé Nast auch, den konservativen Wirtschaftsjournalismus in den USA aufzubrechen. "Wir wollen unseren Lesern lange Geschichten erzählen und sie mit tollem Design begeistern", verspricht Carey. Genaueres will er nicht sagen, klar ist aber, dass Luxusprodukte, Lifestyle und Mode inhaltlich eine Rolle spielen werden. Die anfängliche Garantieauflage des Monatsblatts von 350 000 Exemplaren soll in fünf Jahren verdoppelt werden.

Schon lange sucht Condé Nast in den USA einen Wirtschaftstitel. Der Verlag verhandelte mit Gruner + Jahr, als die Deutschen ihre US-Titel Fast Company und Inc. loswerden wollten und fragte sogar bei Steve Forbes an, ob sein gleichnamiges Magazin zum Verkauf stehe. Forbes nannte seinen Preis, aber der war Condé Nast-CEO Charles H. Townsend zu hoch. Nun also ein eigenes Magazin: 100 Millionen Dollar will Townsend in die Entwicklung stecken, inhaltlich und optisch soll Portfolio ganz oben mitspielen. Wie ernst es ihm ist, zeigt die Verpflichtung von Chefredakteurin Joanne Lipmann.

Das Warten auf die Hausse

Die in den USA prominente Journalistin war 20 Jahre lang beim Wall Street Journal in führenden Positionen tätig und entwickelte zuletzt die Samstagsausgabe Weekend Journal. Dort hinterlässt sie eine schmerzliche Lücke, denn sie wurde bereits als Nachfolgerin von Chefredakteur Paul E. Steiger gehandelt, der sich bald in den Ruhestand verabschiedet. In Lipmanns Hand liegt nun die Auswahl von 75 bis 100 Redakteuren. Wenn es ihr gelingt, Lifestylejournalismus mit aktuellen Trends aus dem Wirtschaftsleben zu kombinieren, könnte das Magazin eine attraktive Nische finden.

Das Schicksal von Portfolio dürfte auch andere in der Branche interessieren. So plant Rupert Murdochs News Corporation seit längerem einen Wirtschaftskanal als Ergänzung zu Fox News. Noch in diesem Jahr könnte er starten. Time Warner puscht mit viel Geld seine Megaseite CNN/Money.com und baute dafür gerade einen Newsroom auf, der alle Wirtschaftmedien des Unternehmens verzahnt. Wie es scheint, warten alle nur auf die Hausse.

Eric Schmidt jedenfalls ist von Portfolio ganz begeistert und lobt den hohen Standard bei Condé Nast. "Es gibt viel zu viele schlechte Wirtschaftsmedien", klagt der Google-CEO. Zeit, dass sich was dreht.

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