Als Brückenbauer eher ungeeignet

4. Februar 2014 • Ressorts • von

Prominente sind aus der Medienwelt nicht mehr wegzudenken, und das nicht nur bei den typischen Panorama-Formaten. Zunehmend findet man sie auch in der nachrichtlichen Berichterstattung, weil Journalisten sie zu gesamtgesellschaftlichen Themen befragen oder sie selbst ihre Meinung kundtun.

Madonna hielt nichts vom Irakkrieg der Amerikaner und ihrer Verbündeten und produziert Videos gegen Kriegseinsätze, Marius Müller-Westernhagen kämpft gegen den Klimawandel. Die Medien setzen mit dieser Einbindung von Prominenten darauf, dass ein Statement einer bekannten Person die „normalen“ Bürger mehr interessiert und besser in Erinnerung bleibt. Sie stilisieren sie somit zum Teil auch zu politischen Mittlern.

Eine aktuelle Studie eines Forscherteams um Laura Ahva von der Universität Tampere in Finnland hinterfragt diese Mittlerrolle. Das Ergebnis ist eher ernüchternd, vor allem angesichts der Fülle an Prominenten-Statements in den Medien, die andere Akteure verdrängen.

Die Wissenschaftler sehen das Potenzial Prominenter, die Bevölkerung (wieder) für politische Themen zu begeistern, als recht gering an. Die Berichterstattung über Prominente selbst und über ihre Einstellungen sei unnatürlich und irritiere die Zuschauer. So könnten die prominenten Figuren nicht mehr die weiche Vermittlung zwischen Bürger und politischen Institutionen leisten, die manche Medien- und Politikwissenschaftler sich von den Celebrities lange erhofften.

Diese Experten argumentierten, neben der Erholung, die Berichterstattung über Prominente den „normalen“ Bürgern abseits des stressigen Alltags bieten soll, könne solche Berichterstattung der Bevölkerung auch das Gefühl der sozialen Teilhabe geben. Indem sie Statements und Handlungen der Prominenten nachvollziehen können und etwas aus der Welt der Reichen und Mächtigen erfahren, fühlen sie sich weniger ausgeschlossen, so die vor allem in den 90er Jahren populäre These.

Doch in der Studie der finnischen Wissenschaftler zeigte sich dieses Gefühl der Nähe nicht. Sie untersuchten die Einstellung und die Wahrnehmung Prominenter durch das Publikum in Gruppendiskussionen mit neun Probandengruppen. Insgesamt setzten sich so unter Beobachtung der Forscher 56 Personen mit dem Thema Prominente und Medien auseinander. Ahva und ihre Kollegen ließen alle Teilnehmer ein Foto eines Prominenten aus den Medien mit zu den Sitzungen bringen, dessen Aktivitäten und Statements sie in den Wochen oder Monaten zuvor verfolgt hatten.

Mit dieser Methode wollten die Forscher direkt am Erfahrungsstand und an den Assoziationen der Probanden bei der Thematik Prominenz ansetzen. Aus den gesammelten Fotos ergaben sich drei Kategorien Prominenter: Politiker und Künstler aus verschiedenen Feldern wie Musik oder Film  sowie Sportler. Daneben spielten noch so genannte „selbst erschaffene“ Prominente eine Rolle, etwa Teilnehmer einer Castingshow.

Die Personen wurden gefragt, was sie mit den abgebildeten Prominenten jeweils verbinden und inwiefern diese in ihren Augen schon einmal zur öffentlichen Diskussion etwas Wertvolles beigetragen haben. Dabei zeigte sich, dass die Personen den Prominenten sehr viel einfacher persönliche Eigenschaften zuordnen konnten als gesamtgesellschaftliche Leistungen oder Positionen zu politischen Themen.

Dies zeigte sich etwa hinsichtlich normativer Ansprüche der Probanden an die Prominenten, welche die Wissenschaftler anhand der Gruppendiskussionen analysierten. 20 der von den Teilnehmern ausgewählten Prominenten klassifizierten die Autoren als so genannte Nischen-Promis, die wie Künstler und Sportler nur in einem ganz bestimmten Feld überhaupt auftraten und Einfluss nehmen konnten. Diesen sprachen die Probanden gleichzeitig jegliche politische Kompetenz ab. Sie wurde sozusagen durch ihre hohe Spezialisierung davon freigemacht, für übergeordnete Themen einzustehen – abgesehen vielleicht von Engagement bei Charity-Veranstaltungen wie etwa nach Naturkatastrophen. Die Probanden erwarteten eher, dass sie sich auf ihr Können konzentrierten.

Dass die Teilnehmer diese politisch und gesamtgesellschaftlich wenig relevanten Personen auswählten, sagt vor allem deshalb viel über das geringe Mittler-Potenzial von Prominenten aus, da die Probanden die gesamtgesellschaftlichen Fragen selbst innerhalb der Diskussion für wichtig hielten.

Trotz ihrer eingeschränkten Kompetenzen zollten die Probanden den Nischen-Promis am meisten Respekt. Den sogenannten Allround-Promis wie etwa Politikern oder Wissenschaftlern dagegen obliegt nach Ansicht der Befragten tatsächlich die Verantwortung, sich um gesellschaftliche Probleme zu kümmern.. Dies bedeutete in den Diskussionen häufig, dass die Kritik an ihrer Person überwog und sie nicht als Vorbild oder Vertrauensperson angesehen wurden.

Eine nicht näher benannte, von den Teilnehmern ausgewählte Prominente, die nicht originär aus dem Bereich der politischen Institutionen kam, hatte sich laut der Studienautoren an politisches Engagement herangewagt. Sie hatte einige Zeit vor der Untersuchung öffentlich auf häusliche Gewalt aufmerksam gemacht und die Defizite der finnischen Gesellschaft angesprochen. Allerdings sahen die Diskutanten dies ambivalent, da die Frau selbst ein Buch zu dem Thema geschrieben hatte. Einige deuteten ihr Engagement deshalb als eine Art Marketing-Kampagne und gaben sich eher skeptisch, als dass sie sich für das Thema öffneten.

Entgegen der These, das Publikum könne sich durch die Statements von Prominenten und die Berichterstattung darüber eher mit den Themen identifizieren, nahmen sich die Teilnehmer als Außenstehende wahr. Sie sahen sich Ahva und ihren Kollegen zufolge häufig als unterstes Glied der gesellschaftlichen Kette, das kaum Einfluss auf die politische Agenda hat.

In jüngster Zeit gab es einige Situationen, in denen Prominenten eine Mittler-Rolle zugeschrieben wurde. In den vergangenen Wochen und Monaten nahmen etwa auch deutsche Medien wahr, dass sich der ukrainische Ex-Boxprofi Vitali Klitschko in den letzten Jahren zu einem der Köpfe der ukrainischen Oppositionsbewegung  entwickelt hat und nutzen sein Gesicht und seine Bilder, um die aktuelle Umbruchsstimmung in der Ukraine zu illustrieren. Dass Klitschko auf allen Kanälen läuft, ist für die Gegner des Präsidenten Janukowitsch sicher ein Vorteil, da Klitschko prominent ist, aber eben nicht wie einige B-Promis unter Verdacht steht, aus monetären Gründen unbedingt Aufmerksamkeit zu brauchen.

Ob sie ihn nun für einen begnadeten Politiker halten oder nicht – in jedem Fall sehen die Ukrainer ihn als einen Repräsentanten für ihre Nation, der auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernimmt. Die Bürger heroisieren ihn deshalb aber nicht als Heilsbringer. „Er ist ein Profiboxer, kein Politiker“, sagten Demonstrationsteilnehmer gegenüber Medien. „Er gibt unserer Demonstration lediglich in Europa ein Gesicht.“

Doch Klitschko ist nicht erst seit den Demonstrationen in diesem Jahr das Gesicht der Opposition in der Ukraine. Er engagierte sich schon während der Orangenen Revolution im Jahr 2004 politisch, kandidierte seit 2006 mehrfach (erfolglos) als Bürgermeister in Kiew und wurde 2012 ins ukrainische Parlament gewählt. Schon vor der jüngsten Parlamentswahl, als die Stimmung noch lange nicht so polarisiert war wie seit einigen Monaten, war er der Mann, der die politikmüden Ukrainer wieder mit politischen Themen erreichte. Dies dürfte eine Voraussetzung für das derart große politische Interesse und Mobilisierungspotenzial gewesen sein, wie es aktuell in der ukrainischen Bevölkerung herrscht.

Insofern scheint die Präsenz Klitschkos, die vor den Maidan-Demonstrationen vor allem über Medienauftritte lief, durchaus politisierend auf einige Bürger gewirkt zu haben, sicher auch, weil er sich noch keiner astreinen Politikerrhetorik bediente. Gleichzeitig hat Klitschko mit der wachsenden Aufmerksamkeit auch von ausländischen Medien mittlerweile das Problem, dass einige Demonstranten seine Glaubwürdigkeit und Volksnähe anzweifeln – weil sie den mehrfachen Millionär doch nicht als einen der ihren begreifen können. Während einige Politikwissenschaftler ihn als die einzige Alternative zu Janukowitsch sehen, ist die Haltung gegenüber dem prominenten Politiker unter den Bürgern wohl noch nicht ganz eindeutig und könnte noch kippen.

Ein anderes Beispiel für politisches Engagement eines Prominenten erbrachte kürzlich der Fall Thomas Hitzlspergers, der Anfang Januar seine Homosexualität öffentlich machte und damit tatsächlich eine breite politische Diskussion auslöste. Hitzlsperger wurde allseits als Vorbild gelobt. Mit seiner Entscheidung, sich kurz vor den olympischen Winterspielen in Sotschi zu äußern, hob er sein Coming Out in Deutschland und international auf die politische Ebene.

„Ich habe das Gefühl, dass jetzt ein guter Moment dafür ist. Die Olympischen Spiele von Sotschi stehen bevor, und ich denke, es braucht kritische Stimmen gegen die Kampagnen mehrerer Regierungen gegen Homosexuelle“, formulierte es der ehemalige Fußball-Nationalspieler in seinem viel beachteten Interview gegenüber der Zeit. Er stellte sich somit offen gegen das Gesetz, das in Russland am 30. Juni 2013 erlassen worden war und das Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen unter Strafe stellt.

Der FDP-Politiker und ehemalige Außenminister Guido Westerwelle schrieb dem Schritt Hitzlspergers auch innerhalb Deutschlands übergeordnete gesellschaftliche Bedeutung zu: „Dieser Mut verdient größten Respekt. Der Schritt in die breite Öffentlichkeit liest sich viel leichter, als er tatsächlich ist. Ich erhoffe mir Ermutigung, Respekt und Anerkennung für die vielen, die im Hinblick auf ihre gleichgeschlechtliche Orientierung noch mit sich, ihrem Umfeld und der Gesellschaft ringen.”

Allerdings mehrten sich nach der ersten Euphorie auch kritische Stimmen, die vermuteten, dass nach dem Hype um Hitzlspergers Fall das Thema wieder in den Hintergrund rücken werde, sodass für andere Personen der Schritt erneut eine große Überwindung sein werde. Dies scheint insofern realistisch, als dass der DFB sich weiterhin nicht in der Lage sieht, Profifußballern ein Coming-Out als Perspektive nahe zu legen oder gar zu empfehlen. Andere zeigten sich skeptisch gegenüber der Berichterstattung auf allen Kanälen, die den Fall abseits der Sphären des normalen Bürgers abhandle und somit keine Veränderungen in der Bevölkerung bewirken könne.

In den Fällen, welche die Teilnehmer der finnischen Studie von Laura Ahva betrachteten, schien die Vermittlung zwischen Bürgern, Prominenz und politischen Themen jedoch weitaus schlechter zu funktionieren, als es die kritischen Stimmen bei den Fällen Klitschko und Hitzlsperger beschreiben. Die Diskutanten sahen in den meisten Medienauftritten von Prominenten ein Zusammenspiel von Erfolgssucht sowie Selbstvermarktung aufseiten der Promis und der Sensationsgier aufseiten der Medien, das sie äußerst skeptisch aufnahmen. Sie beschrieben das Berichtsfeld der Prominenten als eine Schattenseite der Medienbranche.

Besonders interessant ist die Beobachtung einiger Diskutanten, dass Politiker sich mittlerweile in ihrem Medienauftreten an andere Prominente angenähert hätten und dass die Medien sie immer häufiger in anderen Kontexten als ihrem politischen Amt darstellen würden, etwa im Privatleben. Dabei bringt es die Politiker den Bürgern aber nach Aussage der Wissenschaftler nicht näher, wenn diese nun in einer Homestory auftreten und dabei nur mit Vornamen genannt werden, wie es in einigen Veröffentlichungen der Fall war. Es mache sie eher unglaubwürdig, urteilen die Autoren. Sie zitieren einen Teilnehmer: „Die Medien lassen die Politiker ein wenig wie Clowns aussehen.“

Die Teilnehmer registrieren auch, dass es immer mehr Prominente gibt, die keine besonderen Qualifikationen, Qualitäten oder Talente haben und die nur deshalb an öffentlichen Auftritten Interesse haben, weil sie ihren Stand als Prominente festigen wollen. Sie fallen nach Avahs Definition in eine Kategorie, die sie „leere“ oder „hohle“ Prominentenfiguren nennt. Berichte über diese Personen, die hauptsächlich durch Realityshows und Castingshows bekannt geworden sind, beschreiben die Interviewten häufig als „mitleiderregend“, „pathetisch“ oder „irritierend“.

Der Kulturwissenschaftler Graeme Turner, emeritierter Professor der University of Queensland, ordnet in seiner aktuellen Analyse „Sind Prominachrichten überhaupt Nachrichten?“ („Is celebrity news, news?“) ein, weshalb die Meldungen über Prominente auf das Publikum irritierend wirken. Die Berichte über solche Personen entstehen ihm zufolge ganz anders als andere journalistische Produkte. Turner spricht gar von einer „Industrie“ der Prominenten-Berichterstattung, die eigenen Mustern folgt.

Laut dem Wissenschaftler sorgen hochprofessionalisierte PR-Abteilungen dafür, dass permanent Informationen über einzelne Personen in Umlauf kommen, teils über hochwertige Medienprodukte wie eigene Videos und Dossiers, die in perfekter Berichtsform aufbereitet sind. Er merkt auch an, dass es für Journalisten unter Zeitdruck eine große Herausforderung sein kann, gerade diesen Angeboten zu widerstehen. Eine vollkommen freie, journalistische Aufbereitung, zu der die Journalisten eigentlich verpflichtet sind, wird durch die vorhandene Informationsflut aus PR-Kanälen sogar erschwert. Widrige Umstände, die nicht folgenlos bleiben. „Prominenten-Nachrichten werden normalerweise von Personen aus dem nächsten Umfeld des betreffenden Promis generiert und zwar meistens eher zu kommerziellen statt informatorischen Zwecken“, beschreibt Turner, woher das ungute Gefühl der Zuschauer bei einigen dieser Meldungen rührt.

Auch die Teilnehmer der Diskussion der finnischen Forscher erkannten dieses Berichtsmuster und bewerteten es als negativ. Die Forscher halten zwei mögliche Effekte für möglich. Optimistisch betrachtet könne man den Bürgern eine gehobene Medienkompetenz attestieren, die sich in ihrer kritischen Haltung gegenüber Prominenten und der Medienarbeit äußert und das bürgerliche Engagement für alternative Ansätze stärkt. Die pessimistische Perspektive, die Ahva für realistischer hält: Die Bürger werden durch die übertriebene Darstellung von Prominenten und Politikern in den Medien immer zynischer gegenüber der Politik und fühlen sich vom Rest des Systems abgekoppelt.

Die finnischen Autoren kommen zu dem Schluss: „Tatsächlich gelten die Prominenten, die von den Diskussionsteilnehmern am meisten bewundert und für eine spezielle Kompetenz gewürdigt wurden, meist als apolitisch. Insofern scheint ihr Potenzial, den Raum zwischen institutioneller Politik und dem Alltagsleben vieler Bürger zu verringern, eher begrenzt.“

Prominentenkultur könne in den Medien eventuell ein Element unter vielen anderen sein, um die Distanz zwischen Politik und Bevölkerung zu überbrücken. „Doch als fundamentales Baumaterial zeigen sich Prominente äußerst unbeständig. Diese Fragilität rührt daher, dass die Prominentenkultur selbst so beunruhigend kommerziell und unehrlich erscheint“, bilanzieren Ahva und ihre Kollegen.

Ahva, Laura; Heikkilä, Heikki; Siljamäki, Jaana & Valtonen, Sanna (2014): A bridge over troubled water? Celebrities in journalism connecting implicit and institutional politics. In: Journalism: Theory, practice and criticism, Jg. 15, H. 2, S. 186-201.

Graeme, Turner (2014): Is celebrity news, news? In: Journalism: Theory, practice and criticism, Jg. 15, H. 2, S. 144-152.

Bildquelle: Thorben Wengert /pixelio.de

 

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