Sport und Medien: Ein Anpfiff

16. Juni 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: St. Galler Tagblatt

Die Veranstalterin Uefa kontrolliert auch die Bilder von der Euro 08, und es geht kein Aufschrei durch die Medien
Wer in diesen Wochen Fussball schaut, sieht Bilder, die die Uefa ausgewählt hat. Dennoch geht kein Schrei der Entrüstung durch die Medienlandschaft. Wird es heikel, schweigen viele Journalisten gerne. Olympia, Euro 08 – nicht nur bei Grossereignissen ist dabei sein (fast) alles: Für die Akkreditierung nehmen Sportjournalisten heikle Regeln in Kauf. Kumpanei ist Trumpf. Ein Anpfiff.

Auf Du und Du
Viele Schweizer Sportjournalisten sind selber Fans, sie sind mit vielen Sportlern und Funktionären per Du, freuen sich über VIP-Karten und andere Geschenke. Ziehen Gewitterwolken auf in der Friede-Freude-Eierkuchen-Welt, schweigt man so lange wie möglich. Sind Gewalt und Doping, Sex und Bestechung unübersehbar, fordert man schlagartig Härte, schärfere Gesetze und Köpfe – bis das Gewitter vorüber ist.

Damit sind sie in guter Gesellschaft zum Beispiel mit deutschen Sportkollegen. Die sollen es künftig aber weniger schön haben. Der Westdeutsche Rundfunk, eine Sendeanstalt der ARD, beschloss für seine Sportredaktoren eine Selbstverpflichtung: Sie sollen Höchstleistungen kritisch hinterfragen, Sportler und Funktionäre in Interviews siezen und «keine Geschäfte mit Akteuren des Sports» eingehen – weder mit Sportlern noch mit Sponsoren. Anlass geben Auswüchse: Der ehemalige ARD-Sportkoordinator Hagen Bossdorf schrieb zusammen mit dem unter Dopingverdacht stehenden Radprofi Jan Ullrich eine Biographie («Ganz oder gar nicht»). ZDF-Sportreporter Rolf Töpperwien prägte folgendes Berufsbild: «Der Sport ist eine grosse Familie, und ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, es sind zwei Boote, in denen Journalisten und Spieler sitzen, ich sage, wir sitzen in einem Boot.»

Hilft da ein Duzverbot?
Die Sehnsucht nach einem polierten Image ist verständlich. Doch ein Neuanfang funktioniert nicht allein durch ein Duzverbot und durch Statuten, sondern durch neue Köpfe und Haltungen. Das neue «Sie» ist Fassade, letztlich eine Show für den Zuschauer. Die vielen privaten Kontakte zwischen Sportlern und Journalisten werden deshalb sicher nicht abgebrochen und kein Sender kann sie verbieten. Einen Wert hat ein solches Papier aber doch: Es macht Unzulänglichkeiten zum Thema.

Weibels Euro der Herzen?
Benedikt Weibel, von der Schweizer Regierung bestellt, um die Euro zu überwachen, wünscht sich ein Turnier, so schön wie die WM 2006 in Deutschland, eine Schweizer Euro 08 der Herzen. Das wollen alle und das setzt Massstäbe. Dumm nur, dass es nicht ganz so war.

Die deutschen Medien machten vor der Fussball-WM heftig Stimmung. Als es trotzdem krachte, schwiegen sie, damit die Riesenparty keine Kratzer bekam. Erst die BBC-Dokumentation «Ein anderes Sommermärchen» zeigte mehr davon, wie es wirklich war. Alles Lug…

…und Trug: Nach den Krawallen von Basel 2006 prophezeiten Medien und Politiker: Nur noch mit einem Hooligangesetz würden wir Freude haben am Fussballspiel. Wir liessen sie das Gesetz auf den Weg bringen. Vor kurzem sprühte die Polizei in St. Gallen somit völlig legitim Pfefferspray gegen Fans und verhaftete nach dem Spiel alle, die nicht schleunigst dorthin verschwanden, wo der Pfeffer wächst. Im Mai wiederum, als Zürcher Fans in Basel Fackeln warfen, hiess es, gegen solche Fans helfe das Gesetz nicht. Aber solche kämen auch nicht zur Euro, sondern eher Familien…

Allmächtige Uefa
Der Schweizer Presserat forderte 1992, Sportjournalismus solle noch deutlicher öffentlich machen, was Wettkampf ist und was Geschäft. Dazu gehört auch, die Macht und die Begehrlichkeiten der Europäischen Fussballunion (Uefa) und anderer bekanntzumachen. Das ist schwierig. Denn schliesslich will man dabei sein. Ins Stadion kommt nur, wer von der Uefa offiziell zugelassen ist. Die Funktionäre liessen sich Zeit. Das Medienmagazin «Klartext» berichtete, dass viele Redaktionen rund sechzig Tage vor der Euro noch auf eine Bestätigung warteten.

Man sieht nicht alles
Die Uefa schwebt über allem. In Städten werden auf ihr Verlangen hin Strassen gesperrt. Wer kein Bier einer bestimmten Marke ausschenkt, wird durch einen Zaun von der Fanzone ausgegrenzt. Die Uefa gewinnt in jedem Fall, geschätzt eine Milliarde Franken. Die Schweiz aber bezahlt: 300 Millionen (Steuer-)Franken.

Und was haben wir davon? Garantiert heile Welt, versichert uns eine Meldung im Branchendienst «Kleinreport»: «Wer die Fussballspiele der aktuellen Europameisterschaft am Fernsehen verfolgt, sieht nicht alles: Die Bilderauswahl trifft der Europäische Fussballverband (Uefa) als Veranstalter gleich selber – und achtet darauf, dass keine unliebsamen Szenen in die Stuben flimmern.» Das hätten wir nicht erfahren, wäre Bundesrat Samuel Schmid nicht verärgert gewesen. Er sah das Spiel Österreich gegen Kroatien live in Wien und beklagte sich nachher im Schweizer Fernsehen, die Atmosphäre beim Spiel am Vortag in Basel habe ihm besser gefallen, denn in Wien hätten ihn die Rauchschwaden der kroatischen Fans genervt. Das Fernsehpublikum hatte nichts gesehen und rieb sich die Augen.

Wer ist hier benebelt? Keiner. Beide haben recht. Und das ist der Skandal. Im Fernsehen war nur etwa eine Sekunde lang im Hintergrund Nebel erkennbar, in Wirklichkeit befand sich offenbar ein ganzer Sektor im Dunst. Für die Übertragung wurde die Kamera geschwenkt auf Fans in einem anderen Teil des Stadions.

Die Uefa lässt sich die Macht über die Auswahl der Bilder auch etwas kosten: Sie fuhr 30 Kameras auf, einen Helikopter und eine High-Speed-Kamera, die über 500 Bilder pro Sekunde aufnimmt. Eine Investition ins Image: Egal, was passiert, die Spiele sollen sauber bleiben. Die Uefa-Macht ist nicht absolut – prinzipiell könnten die nationalen Fernsehanstalten eigene Kameras im Stadion aufstellen –, aber faktisch relativ gross, weil der Aufwand für einen Alleingang immens wäre.

Wer die Wirklichkeit sehen will, muss ins Internet, in Blogs und auf Foren. Auf Youtube gibt es alternatives Bildmaterial, aber oft nur kurze Zeit, weil die Uefa rasch reagiert.

Wenn das die Chinesen täten
Eigentlich müsste ein Aufschrei durch die Medienlandschaft gehen, ja, durch ganz Europa. Denn die journalistische Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Doch es sind nur einige wenige Stimmen, die auf Anfrage Stellung nehmen (siehe «Leute»). Wieso aber sollte man reagieren? Nun, ersetzen Sie doch mal die Euro durch Olympia und «Uefa» durch «chinesische Regierung»: «Wer die Olympia-Wettkämpfe am Fernsehen verfolgt, sieht nicht alles: Die Bilderauswahl trifft die chinesische Regierung als Veranstalter gleich selber – und achtet darauf, dass keine ihr unliebsamen Szenen in die guten Stuben flimmern.»

Im Journalismus geht es vor allem um das eine, um den geschärften Blick für das, was Realität ist – in China und vor der eigenen Tür. Alles andere führt in die Abseitsfalle, nicht zum Tor. Abpfiff.

KASTEN: Was macht den guten Sportteil aus?

Der Leipziger Journalismusprofessor Michael Haller hat das Leseverhalten von Zeitungslesern mit Hilfe von Blickverlaufsmessungen untersucht. Was den Sportteil angeht, unterscheidet er vier Typen: Den Allesleser, der bis zu sieben Minuten liest, den Selektivleser, der nach längstens fünf Minuten aussteigt, den launischen Leser, der mal dreissig Sekunden, mal vier Minuten dabeibleibt, und den Verweigerer.

Kaum einer liest alles, der Anteil der Leser, die den Sportteil lesen, liegt meist unter 15, teils unter 10 Prozent. Die Leipziger verglichen Sportteile mit schlechten und mit guten Lesewerten. Rasch wurde klar: Die meisten Sportteile sind nur etwas für eingefleischte Fans und überdies eintönig.

Fünf Hauptmerkmale charakterisieren die Sportteile, deren Lesewerte gut sind: Sie wirken erstens dynamischer, weil sie Wichtiges gross, Unwichtiges klein machen. Die Bilder tragen erlebnisstarke Aussagen und seltener Klischees. Die Themen transportieren in Aussage und Überschrift eine Botschaft und sind auch sprachlich stimmig präsentiert. Der Werkzeugkasten der Darstellungsformen – vom Bericht über das Porträt zur Glosse und zum Kommentar – kommt zum Einsatz. Und es gibt recherchierte Geschichten, die hinter die Bühne führen. (mp)

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