Querdenker im “amerikanischen Jahrhundert”

16. Juni 2006 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

Eine Biografie des US-Zeitungsjournalisten Henry Louis Mencken
Eine neue Biografie befasst sich mit dem vor fünfzig Jahren verstorbenen US-Starjournalisten Henry Louis Mencken. Das Buch ist gleichzeitig ein opulentes Werk zur amerikanischen Zeit- und Alltagsgeschichte. Angesichts der derzeitigen innenpolitischen Entwicklungen in den USA vermittelt es zudem zahllose Déjà-vu-Erlebnisse.

Journalistenruhm ist kurzlebig. Theodor Fontane, Karl Kraus, Kurt Tucholsky oder auch Willy Brandt haben in die Geschichtsbücher als Schriftsteller oder Politiker Eingang gefunden, als Journalisten sind sie kaum in Erinnerung geblieben. Und die wenigen, die doch als Reporter oder Blattmacher berühmt geworden sind, kennt kaum jemand über die Grenzen ihres Heimatlandes hinaus. Egon Erwin Kisch etwa ist immerhin über Generationen hinweg im deutschen Sprachraum als «der rasende Reporter» eine Kult- und Leitfigur des Journalismus geblieben. Ähnlich beschäftigt in Amerika der vor fünfzig Jahren verstorbene Henry Louis Mencken inzwischen in dritter Generation die Biografen, obschon sich seiner im «alten Europa» kaum einer erinnert.

Mehr als eine Biografie

So ist kurz nach der letzten die neueste und bisher wohl umfangreichste Mencken-Biografie anzuzeigen. Nicht nur vom schieren Umfang her ist das Buch mit 662 Seiten rekordverdächtig. Marion E. Rodgers hat ihr halbes Wissenschafterleben damit verbracht, Menckens Vita detailgetreu nachzuzeichnen, und sie hat dazu in mehr als sechzig Archiven recherchiert. Ihrer einfühlsamen Re- und Kolportagekunst ist es zu danken, dass ihr Buch jedoch sehr viel mehr ist als eine Biografie. Es ist ein opulentes Werk zur amerikanischen Zeit- und Alltagsgeschichte, das allen, die insbesondere seit dem 11. September 2001 die innenpolitischen Entwicklungen in den USA aufmerksam verfolgen, zahllose Déjà-vu-Erlebnisse vermittelt.

Seien es die Diskurse um Darwins Evolutionstheorie, protestantischen Fundamentalismus oder Konflikte um Patriotismus, Pressefreiheit und die Rolle der Medien im Krieg, aber auch Frauenrechte, die Rechte der Minderheiten oder die Prohibition und ihre Folgen für die Kriminalität – Mencken hat sich zu fast allem geäussert. Und zumindest in der Zitatenauswahl, die Rodgers getroffen hat, wirkt das, was er zu sagen hatte, meist geistreich und frisch.

Der deutschstämmige Journalist wirbelte vor allem in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen viel Staub auf. Dabei hat er viel zu schnell Karriere gemacht, um wirklich je ein «muckraker» werden zu können – wie investigative Journalisten sich noch heute in Amerika gerne nennen. Menckens Kreativität verdanken die Amerikaner Wortschöpfungen wie «bible belt» oder «booboisie» – eine Eselei, bei deren Zeugung allerdings ein Kamel (boob) herhalten musste.

Kompromissloser Glaube an die Freiheit

Vor allem ist Mencken zeitlebens ein Querdenker geblieben, ein Städter, der sich der Aufklärung verschrieben hat und deshalb die engstirnigeren unter seinen Landsleuten, die «barbarischen Provinztölpel», gerne provozierte. Er glaubte kompromisslos an die Freiheit – in seinen eigenen Worten an «Freiheit in ihrer wildest-vorstellbaren Weise», an «Freiheit bis zu den extremen Grenzen des Machbaren und Tolerierbaren».

Mencken wurde es bereits als junger Mann in seiner Heimatstadt Baltimore zu eng, und so erschloss er journalistisch in Begleitung seiner Schreibmaschine alsbald den amerikanischen Kontinent und auch bereits vor dem Ersten Weltkrieg Europa. Kein anderer hat mit seinen Artikeln und Büchern so humorvoll-sarkastisch die erste Hälfte des zwanzigsten, sprich: des amerikanischen Jahrhunderts erhellt und koloriert. Vergleichbare Spuren in Amerika hat vor ihm wohl nur Mark Twain hinterlassen.

Blind gegenüber Nazi-Deutschland

An einem Punkt hat der kritische Kopf indes versagt. Wohl weil er sich seiner eigenen deutschen Wurzeln immer bewusst war und Land und Leute persönlich kannte, hat Mencken – trotz einer Berlinreise 1938 und einem persönlichen Freundeskreis, dem viele aus Deutschland stammende Juden angehörten – lange Zeit Hitler, den Antisemitismus und die menschenverachtende Entschlossenheit der Nationalsozialisten unterschätzt. Weil es in Berlin noch jüdische Geschäfte gab, kam er damals zu dem Schluss, die Lage sei «schrecklich, aber nicht so schrecklich wie von amerikanischen Zeitungen meist dargestellt». Selbst durch und durch Journalist, misstraute er den meist aus London berichtenden US-Korrespondenten und unterstellte ihnen – ähnlich übrigens wie zur damaligen Zeit die «New York Times» und andere amerikanische Medien – Dramatisierung und Sensationalismus. Gerade weil er die Propaganda der eigenen und der britischen Regierung zu durchschauen glaubte, ging er der Gegenseite auf den Leim. Er bagatellisierte das Böse und schwieg später weithin – in einer Naivität, die im Rückblick tragisch anmutet.

Der Umgang mit diesem Tatbestand wird für Menckens Biografin selbst zur Gratwanderung. Es gehört zu ihren Stärken, dass Rodgers die Verstrickung, die durch Menckens Appeasement und Schweigen entsteht, schonungslos offenlegt und anderseits doch auch mit Einfühlungsvermögen versucht, das Verhalten ihres «Helden» aus den Zeitumständen heraus zu verstehen. Auf Deutschland habe er nicht «mit seinem Verstand, sondern mit seinem Herzen geblickt».

Selbstinszenierung

So verschieden Mencken und der eingangs erwähnte Kisch gewesen sein mögen: Eine Gemeinsamkeit war wohl beider Appetit auf Nachruhm. Der wiederum muss so unbändig gewesen sein, dass die Reporter-Ikonen – wie Rodgers und der Kisch-Biograf Josef Polacek herausgefunden haben – zur Selbstinszenierung und -überhöhung ihren Karrierebeginn später mit Erfundenem ausgeschmückt und verklärt haben.

Mehr Aufmerksamkeit auch ausserhalb der USA verdient Mencken gleichwohl – und zwar nicht nur als anregender Vielschreiber und Querdenker. Rodgers vermittelt immer wieder die Einsicht, dass auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Freiheit ein kostbares Gut ist, das Journalisten wie Mencken stets mit Zivilcourage neu erkämpfen mussten und müssen. Diese Botschaft kommt zur rechten Zeit – angesichts der Kaltschnäuzigkeit der Regierung Bush im Umgang mit Medien, der Eskalation wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen, aber auch im Blick auf die Schweiz. Es ist ziemlich klar, auf welcher Seite sich Mencken angesichts der Kontroversen um das vom «Sonntags-Blick» veröffentlichte Fax zu Gefangenentransporten des US-Geheimdienstes sowie des Gerichtsurteils gegen die «NZZ am Sonntag» im Fall der gescheiterten Herzverpflanzung durch den Chirurgen Marko Turina im Streit um den Schutz journalistischer Informanten positioniert hätte.

Marion Elizabeth Rodgers: Mencken. The American Iconoclast. Oxford University Press, Oxford 2005.

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