Medien und Parlament: Wer gibt im Tango den Takt vor?

14. Mai 2014 • Ressorts • von

Die Tsunamiwellen, welche im März 2011 die Ostküste Japans verwüsteten und zur Nuklearkatastrophe im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi führten, waren gewaltig. Gewaltig waren auch  die Nachrichtenwellen, die sich in den Wochen und Monaten nach der Kernschmelze in Japan auf der ganzen Welt verbreiteten.

Der Umstand, dass ausgerechnet die Technologienation Japan aufgrund eines Erdbebens eine Nuklearkatastrophe erlebt hatte, war Quell nicht enden wollender Berichterstattung. Dabei ging es nicht nur darum, die Situation im fernen Japan zu analysieren, sondern ebenso, die Situation bei uns im Westen zu problematisieren. Die geballte öffentliche Fokussierung auf Fukushima hat das Thema verständlicherweise auch auf das politische Parkett gebracht. Die bemerkenswerte Folge: Politische Entscheidungen zur Nukleartechnologie wurden europaweit innerhalb kurzer Fristen getroffen. Nicht zuletzt hat das Schweizer Parlament wenige Monate nach der Fukushima-Katastrophe den Atomausstieg beschlossen – erstaunlich für ein Thema, über das im Vorfeld jahrelang gestritten wurde.

Nach schwerwiegenden Ereignissen wie der Fukushima-Katastrophe können Medienhypes dazu beitragen, politische Entscheidungsfindung zu beschleunigen. Wie sieht es aber in ruhigen Zeiten aus? Haben Medien auch dann einen Einfluss auf das Parlament, wenn keine Krisen und Katastrophen die Parlamentarier unter Zugzwang setzen? Wird Parlamentsarbeit noch unabhängig des täglichen Mediengeschehens erledigt, oder diktieren Medien mittlerweile permanent, was dort auf die Agenda kommt?

Das hier vorgestellte Teilprojekt innerhalb des Verbundsprojektes „Krise und Wandel von Leitmedien” nimmt sich dieser Fragen an. Es wird untersucht, welche Dynamiken zwischen Medien und Parlament im Verlauf einer parlamentarischen Session vorhanden sind. Sessionen sind die (in der Regel) drei Wochen dauernden Tagungsphasen des Schweizer Parlamentes.

Für die Studie wurden drei Herbstsessionen untersucht, und zwar aus den Jahren 1999, 2005 und 2011. Für jede der drei Sessionen wird geprüft, ob die Themen im Parlament in die Medien gelangen, und umgekehrt, ob Themen aus den Medien Einzug in das Parlament finden. Die Besonderheit der Studie ist die Berücksichtigung von kurzfristigen Verläufen: Verglichen werden die Themen in Medien und Parlament auf Tagesebene. So kann unter anderem auch festgestellt werden, ob die Geschehnisse im Parlament tags darauf von Zeitungen aufgegriffen werden.

Die Studie reiht sich in die Tradition der sogenannten „Agenda-Setting”-Forschung ein. Die mediale Agenda wird anhand einer Auswahl deutschsprachiger Schweizer Medien untersucht, dies sind die Tageszeitungen NZZ, Tages-Anzeiger, Blick, Blick am Abend, 20 Minuten, die Sonntagszeitungen NZZ am Sonntag, SonntagsZeitung und Sonntagsblick, sowie Echo der Zeit und die Tagesschau (als Vertreter des öffentlichen Radios und des öffentlichen Fernsehens), und zwar auf Artikelebene bzw. Beitragsebene beim Rundfunk. Alle Inhalte, welche Bezug zur Schweizer Politik haben, fließen in die Untersuchung mit ein.

Die parlamentarische Agenda wird dabei in vier Teil-Agenden aufgespaltet. Diese vier Teil-Agenden sind:

  • Die regulären Geschäfte des Nationalrates.
  • Die regulären Geschäfte des Ständerates (kleine Kammer).
  • Die Fragestunden des Nationalrates.
  • Alle von Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Laufe der Session eingereichten Vorstöße.

Diese Aufteilung wurde vorgenommen, da es bei der Analyse möglicher Wechselwirkungen zwischen Medien und Parlament durchaus eine Rolle spielt, wie die institutionellen Regeln des Parlamentes effektiv ausgestaltet sind. Wenn z.B. die institutionellen Regeln vorgeben, dass die Themen im Parlament schon Monate vor der Session fix vorgegeben sind, besteht gar keine Möglichkeit, dass Medien kurzfristig Themen beeinflussen können. Wenn aber die institutionellen Regeln vorschreiben, dass die Themen nicht im Vorfeld gesetzt sind und stattdessen einzelne Parlamentarier diese selbstständig und kurzfristig gestalten können, lassen sich potenziell Themen aus den Medien einbringen.

Genau diese Optionen sind in den vier Teil-Agenden des Parlamentes vorhanden. Die regulären Geschäfte des National- und Ständerates sind mehrere Monate im Vorfeld gesetzt, aber bei Fragestunden im Nationalrat und beim Einreichen von Vorstößen können individuelle Parlamentarier die Themen eigenständig und kurzfristig gestalten.

Die institutionellen Regeln des Parlamentes ermöglichen und begrenzen damit die Handlungsmöglichkeiten der Parlamentarier und folglich ist davon auszugehen, dass eventuelle Einflüsse der Medien nur begrenzt sind.

Die ersten Ergebnisse stützen die Annahme, dass die institutionellen Spielregeln wesentlich steuern, wie sich die Agenden von Medien und Parlament gegenseitig beeinflussen. Insbesondere zeigt sich, dass ein klares Abhängigkeitsverhältnis besteht, wenn es um die regulären Geschäfte von Nationalrat und Ständerat geht: Die zwei Kammern tagen, und die Medien berichten darüber. Diesen Befund gilt es aber zu differenzieren.

Wenn National- und Ständerat Geschäfte behandeln, sind diese Geschäfte in der anschließenden medialen Berichterstattung in der Regel gut abgebildet. Das bedeutet, dass Medien klassisch über die Abläufe im National- und Ständerat berichten. Der Umfang der Berichterstattung ist dabei ähnlich wie der Umfang der betroffenen Geschäfte im Parlament. Ein Geschäft also, welches im Parlament länger verhandelt wurde, wird tendenziell auch mit eher mehr Artikeln und Beiträgen in den Medien abgebildet.

Diese Abbildungsfunktion der Medien wird durch einen kleinen Unterschied bei den Dynamiken zwischen Zeitungen und Rundfunk unterstrichen. Die Umfänge der Themenagenden sind bei National-/Ständerat und Rundfunk jeweils am gleichen Tag ähnlich, bei National-/Ständerat und Zeitungen aber haben Zeitungen jeweils einen Tag Verzögerung bei der Abbildung. Der Grund dafür ist einfach: Die Tagesschau und Echo der Zeit berichten jeweils am Abend, was tagsüber im National- und Ständerat bearbeitet wurde. Zeitungen hingegen können erst am nächsten Morgen über die Geschehnisse schreiben.

Diese Abbildungs-Funktion seitens der Medien ist aber kein allumfassender Effekt. Die Agenden aus dem National- und Ständerat werden nicht perfekt in den Medien abgebildet. Zwar scheint deutlich, dass Medien den Geschehnissen im Nationalrat und Ständerat folgen, aber auch, dass sie sich den Inhalten unterschiedlich intensiv widmen, also keine bloße Chronisten-Berichterstattung betreiben. Zudem nehmen sich Medien (insbesondere die Sonntagspresse) bestimmter Geschäfte aus National- und Ständerat in vorausschauender Art und Weise an, indem über bevorstehende Geschäfte berichtet und spekuliert wird. Dort, wo Medien zuvor vorausschauend berichten, widmen sie auch einen größeren Teil ihrer Agenda der Berichterstattung, nachdem die betroffenen Geschäfte behandelt wurden.

Das bedeutet insgesamt, dass Medien zwar „von außen” berichten, aber sie wählen eigenständig aus, in welchem Umfang sie sich welchen Themen widmen.

Bei den Fragestunden und den eingereichten Vorstößen, welche ein potenzielles Einfallstor für Themen aus den Medien sind, bleibt ein wirklich bemerkbarer Effekt aus. Das gilt auch in die umgekehrte Richtung: Die eingereichten Vorstöße und die gestellten Fragen während der Fragestunden lösen praktisch keine Berichterstattung aus.

Zusammenfassend lassen die vorläufigen Ergebnisse ein erstes Fazit zu: Aus demokratietheoretischer Sicht besteht wohl kein Grund, die Alarmglocken läuten zu lassen.

In jenem Teil des Parlamentes, welcher offen für Einflüsse von Medien wäre, sind Einflüsse kaum vorhanden. Parlamentarierinnen und Parlamentarier mögen in Fragestunden und bei eingereichten Vorstößen bestimmte strategische Ziele verfolgen, diese bestehen aber offenbar nicht darin, maximal mediengerecht zu handeln.

Bei den regulären Geschäften von National- und Ständerat, also bei jenem Teil des Parlamentes, welcher kaum Möglichkeiten für direkte, kurzfristige Einflüsse von Medien bietet, kommt es zu klassischer Parlamentsberichterstattung. Medien berichten über die Abläufe im Parlament, aber sie wählen dabei aus, in welchem Maße sie sich welchen Themen aus dem Parlament widmen.

Das Parlament gibt also den Takt an, die Medien fügen sich aber nicht, sondern tanzen selbstbewusst mit.

Bildquelle (Fotomontage): Marko Kovic

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