Es ist ja gleich mehrfach merkwürdig: Die wohl dramatischsten Umwälzungen unserer Gesellschaften des frühen 21. Jahrhunderts vollziehen sich im Internet. Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Blogs und Smartphones krempeln nicht nur unser aller Alltag um, sondern auch die „alten“ Medien Print, TV und Radio.
Die Digitalisierung, die Medienkonvergenz und deren Folgen für die Gesellschaft – das ist eigentlich „heißer Stoff“ für die Medien, und doch haben viele Redaktionen die Berichterstattung über Medien und Journalismus seit Jahren eher ausgedünnt als aufgestockt.
So gut wie gar nicht kommt in dieser Berichterstattung diejenige Wissenschaft vor, die für all diese Themen zuständig ist und sich obendrein „Kommunikationswissenschaft“ nennt – ganz offenbar deshalb, weil sie sich mit dem Kommunizieren so schwer tut, anders als etwa Historiker und Ökonomen, aber auch Politologen und Philosophen.
In Österreich, Deutschland und der Schweiz werden jährlich viele Millionen Forschungsgelder ausgegeben, um diese Wissenschaft und damit die Medien- und Journalismusforschung aufzupäppeln. Nur kommen die Forschungsergebnisse leider beim Publikum nicht an, dem es bei der Alltagsbewältigung helfen würde, wenn es etwas besser Bescheid wüsste, wie der Medienbetrieb funktioniert und – um ein Beispiel zu nennen – welche Informationen, die im Netz kursieren, mehr und welche weniger glaubwürdig sind.
Käme es je in den Redaktionen an
Aber auch die Journalisten selbst tun sich bisher schwer damit, aus Forschererkenntnissen Honig zu saugen – zumal die Redaktionen der großen Qualitätszeitungen, die in schwierigen Zeiten des Umbruchs immer noch für weit mehr Glaubwürdigkeit als andere Quellen stehen. Gewiss, vieles von dem, was erforscht wird, ist für den Redaktionsalltag überflüssig – aber manches könnte eben durchaus dazu anregen, Journalismus und Redaktionsarbeit zu verbessern, würde es denn in verständlicher Sprache aufbereitet und käme es je in den Redaktionen an.
Ein Ranking des deutschen Magazins Cicero hat es kürzlich offenbart. Ermittelt wurden die „500 wichtigsten deutschen Intellektuellen“, und gemessen wurde dabei deren Präsenz im öffentlichen Diskurs. Ganze drei Medienforscher waren dort gelistet. Zum Vergleich: In der Rangliste tummelten sich 33 Ökonomen, 45 Politik- und Sozialwissenschafter, 20 Philosophen und 29 Historiker. In Österreich oder in der Schweiz würden die Ergebnisse kaum anders aussehen.
Erkenntnis und Kontroverse
Das soll sich zumindest für die User von Standard.at jetzt „ein bisserl“ ändern. Regelmäßig werden von nun an abwechselnd Medienforscher und Medienforscherinnen an dieser Stelle Ergebnisse und Streitfragen ihres Fachs präsentieren. Das dürfte im deutschsprachigen Raum der bislang erste Großversuch sein, die Öffentlichkeit an Erkenntnissen und Kontroversen der Medienforschung teilhaben zu lassen. Hoffen wir also, dass die Zwölf das Vorurteil entkräften, Kommunikationswissenschafter könnten alles, nur nicht kommunizieren.
Die Beteiligten tun das übrigens für „Gottes Lohn“ – einfach, weil sie es für wichtig halten, dass Medien- und Kommunikationsforschung in der Gesellschaft sichtbarer wird. Das hat natürlich, wie fast alles im Leben, zwei Seiten. Einerseits machen solche Angebote den Markt für freie Journalisten kaputt, die davon leben müssen, dass ihre journalistische Arbeit honoriert wird. Andererseits ist es nur recht und billig, wenn Forscher, die sich und ihre Projekte meist aus Steuergeldern finanzieren, auch Rechenschaft darüber geben, was sie herausgefunden haben und wie das für die Gesellschaft von Nutzen sein könnte.
Nicht allein Selbstdarstellung und Nabelschau
Was Forscher mit Journalisten darüber hinaus gemeinsam haben: Wenn sie ihren Job ernst nehmen, sind sie der Wahrheit verpflichtet. Das sollte wissenschaftliche von anderen „Zulieferanten“ der Medien unterscheiden – von PR-Leuten zumal, welche die Redaktionen tagtäglich mit Pressemitteilungen bombardieren, die oftmals nur die halbe, nämlich die angenehme Seite der Wahrheit enthalten.
Wir hoffen jedenfalls zuversichtlich, dass diese Kolumne „Ein Fall für die Wissenschaft“ sich nicht allein in Selbstdarstellung und Nabelschau erschöpft. Spannender würde es, wenn die beteiligten Wissenschafter sich mit tagesaktuellen Glanz- und Fehlleistungen der Medien auseinandersetzten – und auch mit den Erkenntnissen ihrer Kollegen. Solche Diskurse haben früher auch einmal in den Rezensionsspalten der Fachzeitschriften stattgefunden. Seitdem Forscher immer weniger Bücher und immer mehr Fachzeitschriften-Artikel publizieren, kommt auch dieser innerwissenschaftliche Austausch eher zu kurz.
Last, not least: Wir vom European Journalism Observatory haben dieses Projekt mit angeregt – und hoffen auf diese Weise auch auf interessante Beiträge, denen wir gerne auf der inzwischen zehnsprachigen EJO-Website auch über Österreich und den eigenen Sprachraum hinaus zu Resonanz verhelfen möchten.
Der Beitrag ist Auftakt der Serie „Ein Fall für die Wissenschaft” auf derStandard.at, in der Medienforscher Ergebnisse ihres Fachs präsentieren und die das EJO zweitveröffentlicht. Stephan Russ-Mohl initiierte bereits eine ähnliche Rubrik im Berliner Tagesspiegel, die er mit ähnlicher Argumentation, streckenweise denselben Worten eröffnete und begründete.
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