EJO-Report
Wie europäische Medien ihr Publikum online an redaktionellen Prozessen teilhaben lassen – Ergebnisse einer international vergleichenden Studie
Die vorliegende Studie des European Journalism Observatory untersucht für 13 west- und osteuropäische Länder, ob und wie Redaktionen ihre Leser, Hörer, Zuschauer und User an redaktionellen Prozessen teilhaben lassen. Werden Quellen offen gelegt und Fehler korrigiert? Leisten sich Redaktionen einen Ombudsmann, der als Beschwerdeinstanz fungiert und systematisch Fehlern nachspürt? Gibt es Blogs, Twitter-Feeds und soziale Netzwerke, in denen Journalisten mit Nutzern über redaktionelle Entscheidungen diskutieren?
Und: Finden sich Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern West- und Osteuropas – oder haben sich in den unterschiedlichen Journalismuskulturen auch ganz unterschiedliche Formen herausgebildet, die Nutzer in journalistische Prozesse einzubinden?
Das Ergebnis: In vielen Ländern Europas haben Redaktionen inzwischen Transparenz-Instrumente eingeführt. Jedoch überwiegen Instrumente, die schnell zu installieren und ohne großen Betreuungsaufwand zu pflegen sind – Kommentarfunktionen und Links zu sozialen Netzwerken werden inzwischen von fast allen untersuchten Medien angeboten, ebenso stellen sich die Redaktionsmitglieder mit Foto vor. Instrumente, die den Redaktionen mehr Engagement und insbesondere einen echten Dialog mit dem Publikum abverlangen, sind jedoch Mangelware – nur selten leisten sich europäische Medien Ombudsleute, Leserbeiräte oder installieren gar einen „Button“, so dass Nutzer per Mausklick Fehler in journalistischen Texten markieren können. Fazit: Viele europäische Medien setzen offenbar vor allem aus Marketing-Gründen Transparenz-Instrumente ein, die dem Publikum eher die Illusion von Teilhabe an journalistischen Prozessen geben denn tatsächlich Dialog ermöglichen.
1. Transparenz – Eine Antwort auf den drohenden Bedeutungsverlust des Journalismus im Web 2.0?
Vor dem Hintergrund sich häufender Medienskandale – erinnert sei nur an die damaligen gefälschten Interviews des Schweizer Journalisten Tom Kummer im Magazin der Süddeutschen Zeitung, oder in letzter Zeit die Bespitzelungsaffäre der Zeitschrift Bunte –, aber auch wachsender Politikverdrossenheit, an denen den Medien eine Mitschuld gegeben wird (vgl. „Was Journalisten anrichten“ – Zeit-Magazin vom 14. April 2011), fordern Journalismusforscher, dass Redaktionen und Journalisten Transparenz über ihre redaktionellen Entscheidungen herstellen, um die Glaubwürdigkeit ihrer Publikationen zu erhöhen und die Rolle der Medien in der Gesellschaft zu legitimieren. In der Wissenschaft wird zum einen danach gefragt, ob Medien ihre Verantwortung zur Selbstkontrolle hinreichend wahrnehmen (vgl. Fengler et al. 2011), und ob sie ihr Publikum zum anderen in ausreichendem Maße an redaktionellen Prozessen teilhaben lassen (vgl. Meier 2010). Nach Klaus Meier sollte „eine Redaktion möglichst viel Licht in ihre Strukturen und Prozesse lassen, die Berichterstattungsbedingungen offen legen, Quellen angeben und die Güte und Eigeninteressen der Quellen diskutieren, Fehler eingestehen und offen korrigieren“ (Meier 2010, S. 154), um ihren Nutzern zu ermöglichen, die Qualität journalistischer Produkte besser einschätzen zu können. Auf diese Weise könne das Vertrauen in Journalismus gestärkt werden, in einer Zeit, in der Journalisten im Netz immer stärker mit nicht-journalistischen Anbietern – von Plattformen über Wikis bis hin zu Bürgerjournalisten – um die Aufmerksamkeit der Nutzer konkurrieren.
Klassische Transparenz-Instrumente, die ursprünglich aus dem Print-Bereich stammen, sind Ombudsleute, die Korrektur eigener journalistischer Fehler und die Offenlegung von Quellen. Im digitalen Zeitalter ergeben sich zudem neue Möglichkeiten, Nutzer an redaktionellen Entscheidungen teilhaben zu lassen – beispielsweise in Form von Redaktionskonferenz-Webcasts, Redaktionsblogs, Twitter-Feeds und sozialen Netzwerke, in denen Journalisten mit Nutzern über redaktionelle Entscheidungen diskutieren können und so Rechenschaft ablegen. (Meier 2009, S. 83)
2. Transparenz im Journalismus: Eine Systematik
Transparenzinstrumente können in die folgenden groben Kategorien eingeteilt werden (Instrumente analog Meier 2009/10, von den Autoren dieses Beitrags ergänzt)
• Informationen über die Redaktion und ihre Rahmenbedingungen (Akteure, Institution und ihre Normen, Angabe des ganzen Namens des Autors/Angabe des Kürzels des Autors; Vorstellung der Redaktion/Journalisten;Kontaktformular; Angabe der E-Mail-Adressen und Telefonnummer der Autoren; Vorstellung der Blattlinie; Vorstellung des Medienunternehmens/Darlegung von Besitzverhältnissen und Beteiligungen; Veröffentlichung eines Ethik-Kodex für die Website/Redaktion; Veröffentlichung von Richtlinien, wie die Journalisten mit Quellen von Social Media umzugehen haben)
• Informationen über journalistische Arbeitsprozesse und Quellen (Deep Links: Links zu externen Quellen/Websites, Kennzeichnung von Agentur-Material und Quellen; Crowdsourcing: Beteiligung der Leser an der Recherche)
• Informationen über redaktionelle Entscheidungsprozesse (Webcasts von Redaktionskonferenzen; Redaktionsblog; Ressort „Medienjournalismus“)
• Instrumente zur Fehler-Korrektur (Fehler-Rubrik/Fehler-Button;Ombudsmann/Leseranwalt; Rubrik für Leserbriefe/Kritik; Leserbeirat)
• Instrumente zur Förderung von Diskussion mit und unter den Nutzern (Kommentarfunktion unter den Artikeln; Diskussionsforen für Nutzer; Rubrik „meistgelesener Artikel”, „meistkommentierter Artikel“; Verbindung zu sozialen Netzwerken, z.B. Twitter, Facebook etc.)
3. Methodisches Vorgehen
Die vorliegende Studie untersucht den Grad der Transparenz auf den Websites von führenden Medien in Deutschland, England, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz und Ungarn. Ergänzend wurden russische Medien analysiert. Auf das Vorhandensein von Transparenz-Instrumenten hin untersucht wurden
• die Online-Auftritte der jeweils auflagenstärksten Zeitung der drei größten Verlage jedes Landes, darunter sowohl Qualitäts- als auch Boulevardmedien,
• die Website einer Wochenzeitung sowie
• die Internetseiten der drei quotenstärksten Nachrichtensendungen des Landes.
In einzelnen Ländern musste aus forschungspragmatischen Gründen die Medienauswahl verändert werden. Waren die drei auflagenstärksten Zeitungen eines Landes zum Beispiel allesamt Boulevardzeitungen, wurde abweichend der Online-Auftritt einer Qualitätszeitung untersucht. Die erfassten Medien werden in den Länderberichten detailliert beschrieben.
Die Studie untersucht ferner, inwiefern der Grad der Transparenz zwischen den verschiedenen Medienkulturen variiert, und ob zwischen den Internetauftritten von Boulevard- und Qualitätsmedien sowie den Print- und TV-Produkten Differenzen auftreten.
Die Studie wurde im Wintersemester 2010/11 durchgeführt. Beteiligt waren die Studentinnen und Studenten des Seminars „Medienauslandsberichterstattung“ im Studiengang Journalistik der TU Dortmund sowie die EJO-Teams des Erich-Brost-Instituts in Dortmund, der Universität Lugano (Schweiz), vom Medienhaus Wien (Österreich), der Universität Breslau (Polen) und des Medieninstituts in Riga (Lettland).*
4. Ergebnisse
Die vorliegende Untersuchung zeigt große Differenzen in Bezug auf die Verwendung von Transparenzinstrumenten auf den Websites europäischer Nachrichtenanbieter auf. Die Intensität der Nutzung variiert aber nicht nur zwischen verschiedenen Medienkulturen, sondern setzt sich auch in der Unterscheidung zwischen den Internetauftritten von Print- und TV-Produkten fort. Doch inwiefern zielen Angebote wie etwa Fehlerbuttons oder Leserbeiräte tatsächlich auf eine Erhöhung der Transparenz ab und fördern diese auch?
In vielen Fällen sollen Instrumente, die auch der Transparenz einer Nachrichtenwebsite dienen, offenbar in erster Linie Marketing-Strategien unterstützen und die Außendarstellung des Medienunternehmens positiv beeinflussen. Ein weiterer Erklärungsansatz für die Verwendung bestimmter Instrumente liegt in der Vergleichbarkeit mit konkurrierenden Anbietern: So hat sich etwa die Verlinkung zu sozialen Netzwerken mittlerweile in fast allen untersuchten Ländern zum Standard entwickelt. Lediglich einzelne Anbieter wie etwa die lettische Nachrichtensendung Latvijas Neatkarīgā Televīzija oder das ungarische, wöchentlich erscheinende Wirtschaftsmagazin Heti Világgazdasá bieten eine solche Verbindung auf ihrer Website nicht an. Ein eindeutiges Zeichen für Transparenz wäre in diesem Zusammenhang jedoch die Veröffentlichung von Richtlinien für den Umgang mit „Social Media“-Instrumenten – diese sind aber auf keiner der untersuchten Websites vorhanden.
Deutlich wird auch, dass insbesondere jene Transparenzinstrumente genutzt werden, die eher kostengünstig und ohne großen Betreuungsaufwand installiert werden können – aufwändigere Angebote etablieren die untersuchten Medien nur vereinzelt.
Institutionen wie Leserbeiräte existieren nur bei äußerst wenigen Medien: Innerhalb der untersuchten Medien waren dies lediglich der Leserbeirat der deutschen Bild-Zeitung, der Advisory Council der BBC und der Audience Council des irischen öffentlich-rechtlichen Senders RTÈ.
Gleiches gilt für die Veröffentlichung von Webcasts von Redaktionskonferenzen – ein ebenfalls eher aufwändiges Transparenzinstrument. Die öffentliche Blattkritik durch Prominente, die die Bild-Zeitung zeitweise auf ihrer Website veröffentlichte, wurde inzwischen ebenso wieder eingestellt wie die Webcasts von Konferenzen der schwedischen Aktuellt-Redaktion. Als erste Zeitung Italiens überträgt Repubblica inzwischen seit mehreren Monaten die Morgenkonferenzen der Redaktion unter dem Titel Repubblica Domani im Internet.
Mit – zwar nicht finanziellem, aber in teils erheblichem Maße zeitlichem – Aufwand verbunden ist auch das Betreiben eines Redaktionsblogs. Nur wenige Medien berichten in Blogs über redaktionelle Entscheidungen, so etwa die Tagesschau oder die russische Nowaja Gaseta. Auf zahlreichen der untersuchten Websites sind Blogs von Redaktionsmitgliedern zu finden, doch diese thematisieren wenn überhaupt, dann nur am Rande das Geschehen innerhalb der eigenen Redaktion. Zumeist handelt es sich lediglich um spezielle Themenblogs, zu denen der Autor einen persönlichen Bezug zu haben scheint. Elemente eines Redaktionsblogs finden sich jedoch in Einzelfällen in den Blogs von Ombudspersonen, wie dem von José Queiros, Ombudsmann der portugiesischen Qualitätszeitung Público. Als Antwort auf Leserfragen legen Redakteure in diesem Rahmen beispielsweise Recherchewege offen oder erläutern journalistische Entscheidungen.
Bei der Untersuchung der Häufigkeit von Ombudspersonen treten medienkulturelle Unterschiede zutage. Während in Frankreich, in der Schweiz und in Portugal aktuell jeweils drei Ombudspersonen bei den untersuchten Medien tätig sind, gibt es in Irland einen nationalen Ombudsmann und in Österreich bei Der Standard einen Leserbeauftragten, der ähnliche Aufgaben wie ein Ombudsmann erfüllt. In Deutschland, England, Russland, Italien, Lettland, Ungarn, Polen und Schweden wird auf keiner der untersuchten Websites eine Ombudsperson vorgestellt.
Ein weiteres Instrument, das nicht nur einmal eingerichtet, sondern auch kontinuierlich betreut werden muss, ist das Crowdsourcing, die Einbindung der Nutzer in die Recherche. Auffällig ist hier die starke Präsenz der polnischen Medien. Sowohl die Tabloidzeitung Fakt als auch der öffentlich-rechtliche Fernsehsender TVP haben Crowdsourcing-Elemente in ihre Websites integriert. Darüber hinaus betreiben die Qualitätszeitung Gazeta Wyborcza und der private Fernsehsender TVN sogar Crowdsourcing-Plattformen. Während alert24 nur selten von Gazeta Wyborcza-Journalisten genutzt zu werden scheint, greifen TVN-Journalisten regelmäßig und dauerhaft auf die Plattform Kontakt24 zurück. Crowdsourcing-Elemente werden in Europa sowohl von Print- als auch TV-Anbietern, von Boulevard- und Qualitätsmedien verwendet. Bis auf die deutliche Präsenz in polnischen Medien lassen sich jedoch keine Häufungen in bestimmten Ländern feststellen. Österreich ist das einzige der untersuchten Länder, das in keiner Art und Weise auf den sieben analysierten Websites Crowdsourcing-Instrumente anbietet. Die Tatsache, dass meist keine detaillierten Aussagen über die Häufigkeit des tatsächlichen Aufgreifens von Useranregungen getroffen werden können, erschwert auch die Beurteilung der Effektivität dieses Instruments. Nichtsdestotrotz bergen Konzepte wie die des bezahlten Bild-Leserreporters großes Marketing-Potenzial.
Ein äußerst unaufwendiges und doch nur sehr selten angewandtes Instrument zur Herstellung echter Transparenz ist die Veröffentlichung eines Ethik-Kodex, dem sich die Redaktion verpflichtet. Lediglich in der portugiesischen Medienlandschaft scheint dies mittlerweile Standard zu sein. Alle untersuchten Medien mit Ausnahme der Gratiszeitung Destak veröffentlichen im Internet ausführliche Ethik-Kodizes bzw. Redaktionsstatute. Die Ombudsleute der Qualitätszeitung Público und des öffentlich-rechtlichen Senders RTP folgen eigenen Statuten, die ebenfalls online einsehbar sind. Auf den Websites der untersuchten deutschen, schwedischen, italienischen, ungarischen und polnischen Medien finden sich keinerlei Hinweise auf Ethik-Kodizes oder ähnliche Richtlinien. Die lettische Tageszeitung Diena verfügt zwar nach eigenen Angaben über einen solchen Kodex – veröffentlicht wird er jedoch nicht. In manchen Fällen – wie etwa bei der Irish Times – beschränkt sich dieses Transparenzinstrument auf eine kurze Erläuterung der Maßstäbe, an denen sich die journalistische Arbeit ausrichtet. Wie alltagsnah solche Richtlinien sind, ist ebenfalls fraglich: So findet sich beispielsweise auf der Website des Ombudsmanns von France 2 ein Link zur „Charta des Journalisten“, die sich berufsethischen Fragen widmet – und aus dem Jahr 1918 stammt.
Die Möglichkeit für den Nutzer, Fehler zu melden und so vermeintlich aktiv in die redaktionelle Arbeit eingreifen zu können, ist ein weiteres Instrument, das in punkto Außendarstellung eine positive Wirkung hat. Doch in der Konsequenz fehlt gerade hier die Transparenz. Der Umgang mit der Korrektur von Fehlern ist in der Regel sehr undurchsichtig gestaltet. Zwar bieten diverse Medien verschiedener Länder Fehlerbuttons oder andere Möglichkeiten zum Melden von Fehlern an – ob diese aber tatsächlich korrigiert werden und inwiefern die Anregungen aufgegriffen werden, ist jedoch meist nicht ersichtlich. Anders ist dies nur bei den Medien, die Ombudsleute beschäftigen: In Blogs werden Leseranregungen veröffentlicht und vereinzelt auch Fehler eingeräumt und korrigiert. Wie viele eingesandte Anmerkungen tatsächlich publiziert werden, bleibt jedoch ebenso unklar wie die Auswahlkriterien für diese Beiträge. In Österreich gibt es neben den Veröffentlichungen des Leserbeauftragten von Der Standard, Otto Ranftl, auf dem Internetauftritt von Die Presse eine Kolumne, die sich sowohl der generellen Blattkritik als auch der expliziten Fehlerkorrektur widmet.
Was passiert, wenn das Bemühen um Transparenz an der Oberfläche bleibt, verdeutlichen zwei Beispiele aus Lettland und Russland. Die lettische Tageszeitung Diena bietet auf ihrer Website zwar einen Fehlerbutton an – dieser funktioniert jedoch nicht. Die russische Wochenzeitung Argumentij i faktij weist, sobald der Nutzer den Fehlerbutton anklickt, darauf hin, dass sie es nicht ausschließe, aufgrund der Beschwerde den zuständigen Redakteur zu entlassen.
Dieser Eindruck einer kaum verbreiteten Kultur der Wertschätzung – und von Kurzsichtigkeit, was das Potenzial von Leseranregungen angeht – schlägt sich auch in der Häufigkeit von Rubriken für Leserbriefe und Kritik nieder. Explizite Rubriken finden sich lediglich bei vier irischen Medien: Irish Independent, Irish Times, Sunday Tribune und Evening Herald – bei letzterem ist der Link jedoch fehlerhaft. Weitere Optionen zur Veröffentlichung von Leseranregungen sind in Form des Blogs von Ombudspersonen (vgl. etwa die portugiesische Público) oder eines eigenen Leserblogs (vgl. die französische Sud-Ouest) vorhanden.
Eine inzwischen gängige Form der Leserbeteiligung ist die Kommentarfunktion. Sämtliche untersuchte Medien aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien, der Schweiz, Lettland und Schweden bieten diese Möglichkeit an. In anderen Ländern beschränkt sich diese Funktion zum Teil nur auf die Websites der Printprodukte. Etwas weniger häufig, aber dennoch üblich ist das Angebot eines Diskussionsforums. Bis auf die portugiesischen Medien, die nur in einem Fall ein sehr eingeschränktes Forum zu festgelegten Themen anbieten, ist in etwa die Hälfte der untersuchten Websites aus den anderen Ländern ein Diskussionsforum für Nutzer integriert. Auffallend sind hier wiederum die polnischen Medien: Auf fünf der untersuchten Internetauftritte sind Foren vorhanden. Auch fast alle ungarischen Medien bieten diese an.
Informationen über die Personen, die in den jeweiligen Redaktionen arbeiten, beschränken sich meist auf die Autorenzeilen. Größere Artikel bzw. Fernsehbeiträge sind in der Regel namentlich gekennzeichnet. Wenn überhaupt, werden fest angestellte Redakteure mit Namen und Foto auf der Website vorgestellt, manchmal sind es auch nur die bloggenden Journalisten und bei Fernsehnachrichten die Moderatoren. Diese Vorgehensweise scheint sowohl bei den Boulevard- als auch den Qualitätsmedien Usus zu sein; außerdem gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern. Die einzigen Ausnahmen bei der Vorstellung der Redaktion und der Blattlinie bilden die Schweiz und Polen: Hier präsentieren jeweils vier der untersuchten Medien die Redaktion ausführlich.
In der polnischen Medienlandschaft scheint sich dieser Trend auch auf die Vorstellung des Medienunternehmens zu beziehen. Rzeczpospolita, Gazeta Wyborcza, Wprost, TVP und Polskie Radio publizieren detaillierte wirtschaftliche Selbstauskünfte; nur TVP (Link zur Unternehmenswebsite) und Fakt (Namen und Adresse des Vorstands) sind in dieser Hinsicht puristischer. Neben den polnischen scheinen auch die deutschen und englischen Medien großen Wert auf eine Präsentation des Medienunternehmens zu legen: Hier fanden sich ebenfalls auf allen untersuchten Websites nähere Informationen.
In manchen Fällen liegt der Veröffentlichung von Informationen zu Eigentümerstrukturen etc. jedoch keine explizite Entscheidung der Redaktion zugrunde. So ist beispielsweise die Offenlegung von Besitzverhältnissen und Beteiligungen im Impressum in Österreich gesetzlich vorgeschrieben; und auch in Frankreich regeln rechtliche Vorschriften die Auskunftserteilung über Umsatz und Mitarbeiter.
Die generelle Kontaktaufnahme ist zu allen untersuchten Medien möglich – entweder in Form eines Kontaktformulars oder einer allgemeinen E-Mail-Adresse. Die Möglichkeit, einzelne Autoren zu kontaktieren, ist jedoch weniger weit verbreitet. In den meisten untersuchten Ländern ist dies nur sehr selten möglich, so etwa bei Der Spiegel (Deutschland), The Sun (England) oder Le Nouvel Observateur (Frankreich). Eine Ausnahme bildet auch hier die Schweiz, in der ein Großteil der untersuchten Medien diese Möglichkeit anbietet. Die Telefonnummern einzelner Redakteure konnten sogar nur auf zwei Websites ermittelt werden: Die Presse (Österreich) und Latvijas Avīze (Lettland).
Bezüglich der Offenlegung von Quellen und Recherche-Prozessen zeichnet sich ein uneinheitliches Bild in den verschiedenen untersuchten Ländern ab. In Frankreich werden ebenso wie in Österreich Recherche-Quellen und Informationsgeber benannt und ermöglichen es dem Leser so, einen Eindruck vom journalistischen Entstehungsprozess des Artikels zu gewinnen. Die untersuchten deutschen Medien verfahren in den meisten Fällen auf ähnliche Art und Weise; in vielen der anderen Länder lassen sich jedoch in der Regel keine eindeutigen Hinweise finden. Überraschend ist die Tatsache, dass lediglich in Deutschland, Portugal und Ungarn alle untersuchten Medien die Verwendung von Agenturmaterial durchgängig kennzeichnen. Ein weiteres Instrument, mit dem Recherchewege nachverfolgt werden können, ist die Verwendung von Deep Links. Portugal und Ungarn – bei der Kennzeichnung von Agenturmaterial noch ganz vorn – schneiden hier äußerst schlecht ab: In beiden Ländern konnte kein Artikel gefunden werden, der durch Deep Links zu externen Websites ergänzt wurde. Auf den Websites von Tagesschau und Heute sind solche Links regelmäßig zu finden. Die meisten anderen der untersuchten Medien verwenden dieses Instrument nur sporadisch.
5. Fazit
Das Musterland des transparenten Journalismus ist keines der untersuchten Länder:
Die starken Schwankungen in der Häufigkeit der Verwendung von Transparenzinstrumenten auf europäischen und russischen Nachrichtenwebsites ergeben ein uneinheitliches Bild. In einigen Ländern scheinen sich bestimmte Instrumente langsam zu etablieren – länderübergreifend sind dies bislang lediglich die Verbindung zu sozialen Netzwerken, Kommentarfunktionen und die Sortierung der veröffentlichten Beiträge nach der Klickzahl. Zwar spielen nationale Standards durchaus eine Rolle, doch sowohl die Entscheidung, ein Transparenzinstrument zu etablieren, als auch die Konsequenz in der Durchsetzung ist von individuellen redaktionellen Entscheidungen abhängig. Daher lassen sich kaum stringente Muster innerhalb einzelner Länder oder zwischen Boulevard- und Qualitätsmedien feststellen.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass eine deutliche Bevorzugung von Transparenzinstrumenten, die ohne großen Aufwand zu installieren und zu betreiben sind, stattfindet. Sobald der Einsatz sowohl finanzieller als auch zeitlicher Ressourcen zunimmt, werden Instrumente wie etwa die Einstellung von Ombudspersonen oder die Einrichtung eines Leserbeirats seltener etabliert. Des Weiteren dienen einige der untersuchten Instrumente, oberflächlich betrachtet, zwar der Transparenz, sind jedoch wesentlich besser zur Unterstützung von Marketing-Strategien geeignet. Dies lässt sich beispielsweise im Fall der Bild-Zeitung beobachten, die zwar Instrumente wie etwa die Anwerbung von Leserreportern oder die Einrichtung eines Leserbeirats nutzt, deren Ertrag für die Erhöhung der Transparenz journalistischer Gestaltungsprozesse jedoch relativ gering erscheint. Auch der Nutzen der öffentlichen Blattkritik durch Prominente scheint in diesem Zusammenhang eher marginal; in Bezug auf Eigenwerbung und Positionierung des Produkts ist der Effekt umso größer.
Ein weiterer Aspekt, der an der tatsächlichen Effektivität Zweifel lässt, ist die Konsequenz, mit der ein Instrument genutzt wird. In vielen Fällen fehlt die Transparenz des Transparenzinstruments – wie etwa bei Websites, die dem Nutzer eine Möglichkeit zur Fehlermeldung anbieten, aber nicht kenntlich machen, ob und in welcher Weise journalistische Inhalte geändert wurden. Gleiches gilt für die Verbindung zu sozialen Netzwerken und die Tatsache, dass keine der untersuchten Websites Richtlinien zur Nutzung veröffentlicht.
Literatur
Craft, Stephanie; Heim, Kyle (2009): Transparency in Journalism: Meaning, Merits, and Risks. In: Wilkins, Lee; Clifford G. (Hrsg.): The Handbook of Mass Media Ethics. New York, London: Routledge, S.217-228.
Fengler, Susanne/Eberwein, Tobias/Leppik-Bork, Tanja/Lönnendonker, Julia/Pies, Judith: Medieninnovationen – neue Chancen für die Medienselbstkontrolle? Erste Ergebnisse einer international vergleichenden Studie. In: Wolling, Jens (Hrsg.): Tagungsband zur DGPuK-Tagung 2010 in Ilmenau (erscheint 2011).
Meier, Klaus (2009): Transparenz im Journalismus. Neue Herausforderungen im digitalen Zeitalter. In: Brandner-Radinger, Ilse (Hrsg.): Was kommt, was bleibt. 150 Jahre Presseclub Concordia. Wien, S. 83-90.
Meier, Klaus (2010): Redaktion. In: Schicha, Christian; Brosda, Carsten (Hrsg.): Handbuch Medienethik. Wiesbaden: VS Verlag, S. 149-163.
Hier gibt es die komplette Analyse zum Download.
* Zu diesem Report haben Dóra Domokos, Selina Duelli, Natascha Fioretti (EJO), Inga Hinnenkamp, Thilo Kötters, Michal Kuś (EJO), Judith Leitner (EJO), Miryam Nadkarni, Liga Ozolina (EJO), Eva-Maria Spiller und Anja Willner beigetragen.
Schlagwörter:Europa, europäische Medien, Fehler-Button, Fehlerkorrektur, journalistische Prozesse, Ombudsmann, redaktionelle Entscheidungen, soziale Netzwerke, Studie, Transparenz im Journalismus, Transparenz-Instrumente
“Gestern kündigte Sebastian Horn, der leitende Community-Redakteur bei Zeitonline, ein nach reiflicher Überlegung beschlossenes, neues Leserartikel-Projekt an: der nach dem Relaunch im September 09 bereits verordnet ordnungslose, verschämt versteckte Leserblog wird nämlich heute dicht gemacht.”
http://www.freitag.de/community/blogs/dame-von-welt/zeit-community-vorhang-und-schluss
“Viele europäische Medien setzen offenbar vor allem aus Marketing-Gründen Transparenz-Instrumente ein, die dem Publikum eher die Illusion von Teilhabe an journalistischen Prozessen geben denn tatsächlich Dialog ermöglichen.”
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Achwas. Wirklich? Tatsächlich? Alles nur Reklame?
Na, wer hätte das gedacht?!
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„Dennoch bleibt festzuhalten, dass eine deutliche Bevorzugung von Transparenzinstrumenten, die ohne großen Aufwand zu installieren und zu betreiben sind, stattfindet. Sobald der Einsatz sowohl finanzieller als auch zeitlicher Ressourcen zunimmt, werden Instrumente […] seltener etabliert”
Angesichts der seit Jahren ungebremsten Talfahrt der Printumsätze und der für sich betrachtet in großen Teilen noch immer nicht profitablen Online-Auftritte sowie den Entlassungen beim Stammpersonal innerhalb der Redaktionen finde ich, dass diese Entscheidung vieler Medien durchaus nachzuvollziehen ist.
Schöne, aber leider nur deskriptive Zusammenstellung von bestehenden Angeboten. Was schließt man aus dieser Studie, außer, dass bestehende Transparenz-Instrumente nicht genutzt werden? Die entscheidenden Fragen sind doch: Warum werden – abseits von fehlenden Ressourcen – die Instrumente nicht genutzt? Wie viele Leser haben ein tatsächliches Interesse an Transparenz? Und wie viele Leser sind bereit für eine “transparentere” Angebote zu zahlen?
Immerhin, aus meiner Sicht als Zeitungsmensch: Viele Redaktionen und Verleger dürften in dieser Studie zum ersten Mal gelesen haben, was es so alles gibt, um seine Leser direkt einzubinden. Ob diese Instrumente auch einzusetzen, hängt davon ab, inweifern sich etablierte Alt-Redakteure auf Neues einlassen, inwiefern jungen Redakteuren ihre Webaffinität einbringen (können) (wenn Ihnen nicht schon aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen jegliche Lust am Journalistenberuf genommen wurde), inwiefern Verleger oder Vertrieb ihren Blick von kurzfristigen Gewinnen (oder die schieren Lebenserhaltung der Zeitung) abwenden und neue Vertriebsformen erkennen und inwiefern Marketing- und Anzeigenabteilung ihre Angstreflexe über einen möglichen Imageverlust der etablierten Produkte ablegen.
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