Sind Journalisten zu sehr damit beschäftigt, gegeneinander zu hetzen und zu polemisieren, anstatt gemeinsam gegen Zensur und Autoritarismus vorzugehen? Diese Frage warf kürzlich New York Times-Reporter David Carr auf, indem er die verschiedenen Reaktionen einiger Medien auf die jüngsten Geschichten, die auf Whistleblower-Informationen basierten, analysierte.
Carr beschreibt, dass Journalisten Kollegen wie Glenn Greenwald, der für den Guardian die Geschichten rund um die Aktivitäten der National Security Agency (NSA) aufdeckte, als Sonderlinge ansehen. „Der übergeordnete Tenor, den ich in der Kritik an Journalisten wie Herr Assange oder Herr Greenwald erkenne, ist Missbilligung. So als ob sie nicht das seien, was wir – der Rest – für wahre Journalisten halten. Stattdessen stellen sie so etwas wie eine fünfte Instanz dar, die sich aus Menschen, die Leaks auftun, und aus Aktivisten und Bloggern zusammensetzt. Diese werden so behandelt, als gefährdeten sie uns – die anderen – in den traditionellen Medien. Sie sind, wie man sagt, nicht wie wir“, schreibt Carr.
Tatsächlich ist Greenwald Teil seiner Geschichte geworden und seine Intentionen hinter den NSA-Veröffentlichungen wurden hinterfragt. David Gregory, Journalist und Moderator des NBC-Formats „Meet the Press“, fragte Greenwald in seiner Talkshow: „Bei dem Maß, in dem Sie Snowden geholfen und unterstützt haben, wie sollten Sie da nicht eines Verbrechens angeklagt werden?“
Carr fragt, wie die Medien ihre Haltung gegenüber Greenwald, Wikileaks-Gründer Julian Assange und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras, die ebenfalls an den NSA-Veröffentlichungen mitgewirkt hat, rechtfertigen. Oder gegenüber David Miranda, dem Partner von Glenn Greenwald, der kürzlich von der britischen Polizei am Flughafen Heathrow festgehalten wurde, als er von London nach Berlin reisen wollte. Er hatte Dokumente Greenwalds bei sich, weshalb einige Kommentatoren, inklusive Jeffrey Toobin, Journalist für CNN und The New Yorker, ihn einen „Drogenkurier“ nannten. Carr hebt hervor, dass Greenwald, Assange, Poitras und Miranda im öffentlichen Interesse handelten und dennoch verunglimpft wurden.
Warum machte die Veröffentlichung der so genannten Pentagon-Papiere, die Details über einzelne Entscheidungen der USA während des Vietnam-Kriegs aufzeigten, den New York Times-Reporter Daniel Ellsberg zu einem Helden, während die neue Generation von Whistleblowern und Zeitungen wie der Guardian, der ihre Informationen veröffentlicht, nur Misstrauen und Missgunst ernten? Ellsberg erinnerte sich kürzlich in einem Interview: „Anfangs wurde ich auch nicht wie ein Held behandelt. Ich wurde verhaftet und verbrachte zwei Jahre im Gefängnis.“ Doch er fügt etwas Entscheidendes hinzu: „In diesen Zeiten kämpften Journalisten immerhin nicht gegeneinander.“
Laut Bill Keller von der New York Times waren die Beziehungen zwischen Informanten, den mit ihren kooperierenden Zeitungen und ihren Konkurrenten schon immer heikel. Doch neue Technologien hätten die Problematik noch verstärkt.
Alan Rusbridger, Chefredakteur des Guardian, stimmt dem zu und geht sogar noch einen Schritt weiter. Er antwortet in seinem Blog interessierten Leuten auf ihre Fragen rund um die NSA-Überwachung und kommentierte dort das Verhalten einiger Kollegen. „Ich bin der Meinung, all jene Journalisten, die Glenn Greenwald und David Miranda kritisieren, denken das nicht zu Ende. Die Regierungen behindern Journalismus mit dem Argument der Terrorismusbekämpfung und nutzen Argumente der nationalen Sicherheit, um Massenüberwachung einzusetzen. Die Folgen für die journalistische Praxis sind enorm.“
In einem Artikel für den Guardian schrieb Rudbridger:„Jene Kollegen (merkwürdigerweise viele aus Großbritannien, meist Vertreter der konservativen Presse), die Snowden misstrauen und dazu aufrufen, die Informationen des Staates als wahr und vertrauenswürdig anzusehen, werden eines Tages ein schreckliches Erwachen erleben. Eines Tages wird auch ihre Berichterstattung, ihre Arbeit, unter Beschuss geraten. Wenigstens wissen diese Journalisten nun, dass sie sich vom Transitbereich des Flughafens London Heathrow fernhalten sollten.“
Viele Journalisten und Medienorganisationen sehen das ähnlich. Die New York Times und ProPublica entschieden, mit dem Guardian zu kooperieren, um die NSA-Dokumente auszuwerten und all diese Veröffentlichungen haben große Unterstützung erfahren. So schrieb beispielsweise eine Gruppe skandinavischer Zeitungshäuser einen offenen Brief an die britische Regierung. Aftenposten aus Norwegen, Dagens Nyheter aus Schweden und Helsigin Sanomat aus Finnland sowie Politiken aus Dänemark warfen darin David Cameron und seinem Kabinett vor, dass durch sein Vorgehen gegen den Guardian und gegen David Miranda weltweit die Pressefreiheit gefährde.
In ihrem Brief positionierten sich die Redakteure der vier Zeitungen folgendermaßen: „Der Umstand, dass die USA und Großbritannien zu den mächtigsten Nationen weltweit gehören und in der modernen Geschichte als Hauptverfechter von Freiheit und Demokratie aufgetreten sind, macht ihr Verhalten umso bedenklicher. Wenn China und Iran die Festplatten von Journalisten zerstören und sie verfolgen, tun sie das, weil sie Diktaturen sind. Wenn wir dasselbe tun, begründen wir das mit der Verteidigung der Demokratie.“
In dem Brief heißt es weiter: „Die Maßnahmen der britischen Regierung ähneln denen eines autoritären Regimes, sie lassen keine Opposition zu, stellen sich gegen die Medien, Organisationen und Individuen, die ihr Machtmonopol infrage stellen.“
Diese Debatte über die Frage, wie der Westen mit seinen Medien umgeht, ist eine, die uns auch in Zukunft noch stark beschäftigen und für viele Auseinandersetzungen sorgen wird.
Bildquelle: Steve Rhodes / Flickr CC
Übersetzt aus dem Englischen von Karen Grass
Original-Artikel auf Italienisch: Il Datagate e la definizione di giornalismo
Schlagwörter:Aftenposten, Alan Rusbridger, Dagens Nyheter, David Cameron, David Carr, Enthüller, Glenn Greenwald, Guardian, Helsigin Sanomat, Juilan Assange, Laura Poitras, NSA, Pentagon-Papiere, Politiken, Whistleblower, Wikileaks