Nichts ist, wie es scheint. Alles ist anders. Journalisten sehen die Welt als Verschwörung.
Zuerst die Geschichte, wie nur Naivlinge sie glauben. Ueli Maurer gab der Weltwoche ein Interview. Darin kritisierte er milde seinen Kollegen Didier Burkhalter. Dann bekam Maurer ein schlechtes Gewissen. Er entschuldigte sich, noch bevor das Interview erschien.
Nun die Geschichte, wie sie wirklich war. Ueli Maurers öffentliche Entschuldigung war nur vorgeschoben. Sie sollte gezielte Aufmerksamkeit erzeugen. Denn in Wirklichkeit wollte Maurer Abo-Werbung für die Weltwoche machen. Die Geschichte, wie sie wirklich war, lasen wir zum Beispiel im Tages-Anzeiger.
Und warum war der Prozess gegen Uli Hoeneß so schnell vorbei? Die Justiz wollte die Fakten gar nicht wissen, weil sonst riesige Schwarzgelder ans Licht gekommen wären. In Wirklichkeit war es ein abgekartetes Spiel. Die Geschichte, wie sie wirklich war, lasen wir zum Beispiel in der Frankfurter Allgemeinen.
Journalisten haben einen unbändigen Hang zu Verschwörungstheorien. In ihren Augen gibt es stets eine wahre Wirklichkeit hinter der vorgespielten Wirklichkeit. Die vorgespielte Wirklichkeit wird hinter den Kulissen von Dunkelmännern konspirativ erzeugt.
Ein paar Beispiele aus jüngster Zeit. Da wäre etwa die Verschwörung von Eveline Widmer-Schlumpf und ihrer Entourage, um die Schweiz in den automatischen Informationsaustausch zu führen. An der Bilderberg-Konferenz wurde in Anwesenheit von Christoph Blocher und Josef Ackermann eine geheime Weltordnung ausgehandelt. Erfolgreich war die Konspiration linker Systemkritiker, um Johann Schneider-Ammann als Offshore-Sünder anzuklagen. Weniger erfolgreich war die Verschwörung in der Luftwaffe, um den Kampfjet Gripen zu verhindern.
Es gibt Dauerbrenner – wie das Komplott der angloamerikanischen Banken gegen unseren Finanzplatz und das Komplott der Klimaforscher zwecks Erfindung der Erderwärmung. Es gibt Strohfeuer wie die aktuellen Verschwörungstheorien rund um den Flug MH 370 der Malaysia Airlines.
Warum Journalisten hinter allem eine Verschwörung vermuten, ist durch ihre Stellung in der Gesellschaft erklärbar. Es ist eine Stellung der Machtlosigkeit. Wenn in Politik und Wirtschaft Entscheidungen fallen, werden Journalisten nicht hinzugezogen. Journalisten haben nichts zu sagen. Sie können nur wiederholen, was jene sagen, die etwas zu sagen haben.
Darum müssen sich Journalisten gesellschaftlich aufwerten. Sie tun dies, indem sie sich als Garanten der Transparenz darstellen. Sie veröffentlichen nun, was jene nicht sagen, die etwas zu sagen haben. So haben sie selber etwas zu sagen.
Der Politologe Michael Barkun unterscheidet drei Typen von Verschwörungstheorien. Es gibt die Ereignisverschwörung, die Systemverschwörung und die Superverschwörungsverschwörung. Ereignisverschwörungen sind etwa der Kennedy-Mord oder Ueli Maurers Interview. Systemverschwörungen sind etwa die Schwulenkonspiration im Vatikan oder die NSA-Telefonüberwachung. Superverschwörungsverschwörungen sind etwa die zionistische Weltherrschaft oder die neue Weltordnung der Illuminaten.
Das Schöne an Verschwörungstheorien ist, dass sie manchmal zutreffen. Von Watergate in Washington bis zur Geheimarmee P-26 in Bern reichen die Beispiele, bei denen sich Vermutungen über eine Konspiration in Gewissheiten verwandelten. Zuletzt bestätigte die Abhörung von Angela Merkels Handy die Theorie einer digitalen Verschwörung.
Bei den Malaysia Airlines glaube ich übrigens weiterhin, dass es Außerirdische waren. Kurz nach dem Ende des Funkverkehrs wurde bekanntlich über China ein Ufo gesichtet.
Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 27. März 2014
Schlagwörter:Didier Burkhalter, Eveline Widmer-Schlumpf, Kennedy-Mord, Malaysia Airlines, Michael Barkun, Ueli Maurer, Uli Hoeneß, Verschwörung, Verschwörungstheorien, Watergate