An dieser Stelle könnte eigentlich auch Leerraum folgen: Eine europäische Öffentlichkeit gibt es bisher nicht, erst recht gibt es keinen europäischen Journalismus.
So ließe sich allenfalls darüber spekulieren, ob im Zeitalter der sozialen Netzwerke, der Blogs und Diskussionsforen allmählich eine europäische Öffentlichkeit ohne europäischen Journalismus entstehen könnte – denn so manche Internetgurus und Digitalisierungspropheten verheißen uns ja seit Jahr und Tag, dass sich Öffentlichkeit in der Demokratie auch ohne Journalismus herstellen lasse, der auswählt, prüft und recherchiert (zuletzt: Jarvis 2013).
Vorerst sprechen die meisten empirischen Studien allerdings eine andere Sprache. Auch wenn die sogenannten „Citizen Journalists“ da und dort bei Katastrophen als erste die zugehörigen Bilder über den Globus zwitschern, ersetzen Twitter, Facebook und Co. nicht die Mainstream-Medien, sondern dienen allenfalls als deren zusätzliche Plattformen und Resonanzböden.
Öffentlichkeit wird auch im Internet-Zeitalter bislang weitgehend vom Journalismus hergestellt, Journalisten sind weiterhin wichtige Schleusenwärter der öffentlichen Kommunikation. Wenn kluge Köpfe wie Julian Assange oder Edward Snowden weltweit für ihre jeweilige Causa Aufmerksamkeit erregen wollen, suchen sie in Amerika die Zusammenarbeit mit der New York Times oder der Washington Post und in Europa mit dem Guardian, dem Spiegel sowie mit Le Monde und El País. So dürfte auch die – wohl vorschnell bereits wieder abklingende – Vertrauenskrise, in welche die Europäische Union in den letzten Jahren geschlittert ist (Petersen 2013), letztendlich stark von der Berichterstattung der Mainstream-Medien mitausgelöst worden sein.
Wer Europa als Projekt noch nicht aufgegeben hat, sollte sich zunächst fragen, wie es passieren konnte, dass
– Regierungen in EU-Europa sich nicht an Gesetze und Vereinbarungen gebunden fühlen, die sie selbst erlassen bzw. getroffen haben (z.B. Maastricht-Kriterien für die Staatsverschuldung);
– die Staatsfinanzen in halb Europa außer Rand und Band geraten sind und aufgeplusterte, aber unsolide finanzierte Rettungsschirme weiterhin die wirtschaftliche Stabilität Europas gefährden;
– die EU zwar Bananen-Krümmungen und sonstige Normvorgaben für Obst und Gemüse bis ins letzte Detail regelt, trotz ihres „Regulierungswahns“ (Enzensberger 2010) es ihr dagegen an vielen Stellen innerhalb der EU nicht gelingt, rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien gegen offensichtlichen Machtmissbrauch durchzusetzen;
– sich in Europa mafiöse, korrupte Praktiken ausbreiten – also nicht der „Export von Stabilität“ gelingt, „sondern der Import von Instabilitäten“ droht bzw. stattfindet (Nonnenmacher 2005);
– damit einhergehend auch im Journalismus und in der Medienbranche professionelle Spielregeln außer Kraft gesetzt werden – nicht zuletzt, weil die Macht von Medienbaronen wächst, welche Medienmacht für ihre eigenen Zwecke politisch missbrauchen (Kus et al. 2013).
Dies alles verdichtet sich zum Befund Peter Sloterdijks (2013), das Projekt Europa sei dabei, an Missmanagement zu scheitern: „Als durchwegs ökonomisch ausgerichtete Wohlstandsgemeinschaft ist Europa an seine Grenzen gelangt.“
Perspektivisch gibt es zwei grundsätzliche Antworten, um das Projekt Europa wieder zukunftsfähig aufzugleisen, die eine zielt mehr aufs politische System, die andere mehr auf den medial-kulturellen Bereich.
– Erstens gilt es auf europäischer Ebene ein Demokratie-Defizit zu beseitigen: Exekutive und bürokratische Apparate wachsen, ja wuchern, die parlamentarische Kontrolle und auch die Bürgerbeteiligung funktionieren dagegen höchst unzureichend.
– Zweitens fehlt es an einer funktionierenden „vierten Gewalt“, an einem unabhängigen, distanzierten Journalismus, der mit hinreichender Recherchekapazität ausgestattet ist (Marconi 2011) und das europäische Projekt wohlwollend-kritisch begleitet.
Der erste Problemkomplex wurde breit und seit langem öffentlich erörtert (Grimm 1992; Wohlgemuth 2007; Enzensberger 2010; Schmidt 2010; vgl. auch: Frey 2012; Neyer 2013; eher relativierend: Verheugen 2005), der zweite dagegen bisher kaum thematisiert. Dieser Beitrag fokussiert deshalb auf den zweiten Aspekt.
Zwar sind in kaum einer Kapitale der Welt mehr Journalisten akkreditiert als in Brüssel (Marconi 2011, 4f) aber ihre Zahl ist in den letzten Jahren dramatisch geschrumpft (Castle 2010). Genauer besehen, ist in vielfältiger Weise Journalismus-Versagen zu konstatieren: Die Korrespondentenbüros sind ausgedünnt, die zahlreichen Einzelkämpfer unter den Brüsseler Journalisten können der geballten Übermacht der EU-Bürokratie und den hochprofessionellen Lobbying- und PR-Aktivitäten in deren Vorfeld kaum Stand halten.
Aber selbst wenn die Brüsseler Korrespondenten eine wichtige „Geschichte“ ausgegraben haben, besteht Gefahr, dass die ebenfalls geschrumpften Redaktionen zuhause deren Relevanz nicht erkennen. Dazu ein Beispiel: Noch im Herbst 2009, zu einem Zeitpunkt, als immer hin der Vertrag von Lissabon in Kraft trat, widmete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, wie eine Inhaltsanalyse ergab, den Reformen der EU in etwa gleich viel Platz wie der Wirtschaftspolitik Weißrusslands und einer Währungsreform in Nordkorea“ (Petersen 2013).
Das hat sich seither infolge der Finanzkrise verändert, ansonsten haben sich die Bedingungen aber drastisch verschlechtert. Denn die Journalismus-Kulturen, die sich in Europa auf nationalstaatlicher Ebene herausgebildet haben, sind allesamt von Deprofessionalisierung bedroht, es entsteht ein journalistisches Prekariat (Schnedler 2013). Die Publika wandern scharenweise ins Internet ab und sind dort weniger zahlungsbereit. Auch über Werbung lässt sich anspruchsvoller Journalismus immer weniger finanzieren, da die werbetreibende Wirtschaft zielgruppengenau und ohne Streuverluste ihre Botschaften platzieren möchte und Facebook, Google & Co hier unschlagbare Angebote machen können (Russ-Mohl 2009, 2013).
Wenn in Redaktionen gespart werden muss, trifft das meist zuerst die Auslandsberichterstattung. Brüssel ist einfach weiter weg als die eigene Hauptstadt und der eigene lokale Kirchturm. Selbst wenn in den letzten Jahren ereignisbedingt mehr über die EU und die jeweiligen europäischen Nachbarländer berichtet wurde, so hat die Kompetenz der Berichterstattung oder gar deren aufklärerisch-kritische Qualität gewiss nicht zugenommen. Im Gegenteil, krisenbedingt brachen europaweit Nationalismen, Klischees und Stereotype in den Medien durch, wie wir sie eigentlich nicht mehr für möglich gehalten hätten – seien das Pauschalurteile über „die“ faulen und kriminellen Griechen oder Italiener, seien das Versuche vieler Medien in Südeuropa, Angela Merkel in die Nazi-Ecke zu stellen und den Deutschen neue Weltherrschaftsgelüste anzudichten.
Noch einmal Peter Sloterdijk (2013): Dieser Kontinent kommt „mit all seiner amüsanten Diversität, seiner konstitutiven Uneinigkeit, seiner sympathischen Entschlussschwäche, seiner prekären Symbiose zwischen Norden und Süden usw. immer noch eher dem Pol der lose gekoppelten Unterhaltungsgemeinschaft nahe, erkennbar an der herrlichen Beliebigkeit der Themen, am Vorrang der Urlaubsweltansichten und einer alles durchdringenden Ernstfallferne.“
Vernichtender könnte eine Journalismus-Kritik in Europa kaum ausfallen – Europas Krise ist somit auch eine Krise des Journalismus in Europa. Wenn es andererseits weiterhin der Journalismus ist, der Öffentlichkeit herstellt, dann hätte eine europäische Öffentlichkeit einen funktionierenden europäischen Journalismus zur Voraussetzung.
Die wenigen Versuche, Medien zu etablieren, die europaweit als europäische und nicht als nationalstaatliche Stimmen wahrgenommen werden, sind indes allesamt gescheitert. Robert Maxwell’s The European, Orchideen wie Lettre international und Le monde diplomatique, Sender wie Euronews und Eurosport waren und sind jedenfalls keine Erfolgsgeschichten. Auch ein paar Titel wie GEO, Gala oder Auto-Bild, die in mehrere Sprachen übersetzt und an die nationalen Lesekulturen angepasst werden, machen noch keinen europäischen Frühling. Der enge Markt international ausgerichteter Tageszeitungen in Europa wird – mit Ausnahme des Guardian und der Financial Times – von amerikanischen Titeln dominiert wie USA Today, Wall Street Journal Europe und der International Herald Tribune (Russ-Mohl 2004), die inzwischen zur International New York Times mutiert ist.
Statt eines europäischen Journalismus gibt es weiterhin eine Vielzahl von Journalismus-Kulturen in Europa. Um zu begreifen, wie unterschiedlich diese und die Mediensysteme ausgeprägt sind, genügt ein Blick auf die jährlichen Rankings zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen sowie auf einige komparative Forschungsprojekte, die in den letzten Jahren die Journalismen in Europa etwas genauer vermessen haben (vgl. Sievert 1998; Hallin/Mancini 2005; Hanitzsch et al 2010; Anagnostou et al. 2010; Fengler/Eberwein 2013). Im Pressefreiheits-Ranking bilden nord- und mitteleuropäische Länder wie Finnland (Platz 1), Niederlande (Platz 2) und Norwegen (Platz 3) die Spitze, süd- und osteuropäische EU-Mitglieder wie Italien (Platz 49), Ungarn (Platz 64), Griechenland (Platz 99) und Bulgarien (Platz 100 ) sind dagegen die Schlusslichter in Europa. Die vergleichenden Forschungsprojekte belegen, dass ähnlich stark fast alle Variablen oszillieren, mit denen sich Qualitäten von Mediensystemen und Journalismuskulturen dingfest machen lassen.
Der Journalismus ist in Europa somit eine bemerkenswert diverse und zugleich „lokale“ Veranstaltung geblieben. In aller Regel findet er innerhalb eines Sprachraums statt. Es wäre nicht nur ein aussichtsloses, sondern womöglich kontraproduktives Projekt, einen europäischen Journalismus und eine europäische Öffentlichkeit herstellen zu wollen.
Das darf und kann indes nicht heißen, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Im Gegenteil, jede Strategie, die dem Projekt Europa aufhelfen möchte, hätte zunächst bei den Kommunikatoren anzusetzen. Nur wenn es gelingt, unter Journalisten und anderen Medienschaffenden weiterhin eine weltoffene europäische Grundorientierung zu verankern, wird das Projekt Europa auch in den nächsten 50 Jahre florieren.
Auch wenn dies unrealistisch erscheinen mag: Wir bräuchten in Europa dringend
– mehr Journalisten, die gelernt haben, über den Kirchturm des eigenen Sprengels hinauszugucken, die zwei oder drei europäische Sprachen sprechen, die sich nicht nur in einem Land zu Hause fühlen, und die Vorurteile abbauen helfen, statt Stereotypen weiterzuverbreiten; und
– auch mehr Journalisten, die sich in EU-Europa auskennen, vor allem im Dickicht der Brüsseler Administration und der vorgelagerten Lobbying-Aktivitäten;
– professionelle Mindeststandards, d.h. gut ausgebildete Journalisten, die diese einhalten, die für Pressefreiheit kämpfen und die wissen, dass Pressefreiheit auf Dauer ohne verantwortungsvollen Umgang mit ihr, also ohne Media accountability und ohne funktionierende Selbstkontroll-Instanzen (Fengler et al., 2013), nicht zu haben ist;
– sowie mehr journalistische Aufklärung über Medien und Journalismus – auch um voneinander über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg zu lernen.
In der Journalistenaus- und Weiterbildung stößt bislang der Blick über den Tellerrand der eigenen Journalismus-Kultur schnell an Sprachbarrieren. Immerhin sind im Gefolge von Erasmus-Programmen erste internationale Curricula und Kooperationen von Journalistik-Instituten entstanden, die zur Horizonterweiterung ihrer Absolventen beitragen dürften. Das gälte es, auszubauen.
Europäische Denkweisen und gemeinsame europäische Mindeststandards bei der journalistischen Professionalisierung ließen sich am ehesten in institutionellen Kontexten entwickeln, in denen Nachwuchsjournalisten und -medienforscher aus verschiedenen europäischen Ländern sich austauschen und gemeinsam über das eigene Metier und über Europas Zukunft nachdenken, z.B.
– in europäischen Fellowship-Programmen für Journalisten (Reuters Institute for the Study of Journalism, Oxford University; European Journalism Fellowships, FU Berlin);
– an europäischen Weiterbildungsstätten und Universitäten (European Journalism Center in Maastricht – wobei dessen Angebote nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und es verwundert, weshalb europäische Universitäten wie die Viadrina in Frankfurt nicht gezielt Programme für Journalisten anbieten. Das European University Institute in Florenz hat immerhin kürzlich zwei einschlägige Projekte gestartet: Ein Programm, um die Entwicklung der Medienvielfalt zu beobachten, sowie gemeinsam mit der Central European University in Budapest eine Weiterbildungsofferte für Journalisten.);
– im Rahmen vergleichender Journalismusforschung, die in den letzten Jahren erfreulich expandierte und weiter ausgebaut werden sollte, z.B. durch interdisziplinäre, europäische Doctoral Schools in der Medienforschung.
Man mag einwenden, das sei ein elitäres Programm. Aber letztlich waren es auch bisher Eliten, die das europäische Projekt vorangetrieben haben. Gerade weil es insgesamt mit dem Journalismus bergab geht, gilt es, durch solche Initiativen gegenzusteuern. Die europäische Politik ist gefordert, wenn Machtzusammenballungen im Mediensektor Vielfalt und Wettbewerb gefährden. Sie sollte aber auch dazu beitragen, dass europaweit Infrastrukturen entstehen, die gerade jetzt, unter den schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen, dem Journalismus in Europa zu einem soliden professionellen Fundament verhelfen. Um das zu bewirken, sollte sich die EU zur Regel auferlegen, für jeden Euro, den sie für Werbung und PR-Aktivitäten – bis hin zur Manipulation von Umfragen (Kühn 2012) – ausgibt, zwei Euros in einen Fonds zur Finanzierung solcher Infrastrukturen einzuzahlen. Das würde dem Journalismus aufhelfen und den Aufwand der EU für Selbstbeweihräucherung mit Steuergeldern auf ein erträgliches Ausmaß reduzieren.
Es wäre allerdings falsch, allzu große Erwartungen an die Institutionen der EU zu richten. Ohne zivilgesellschaftliches Engagement, ohne private Stiftungen, ohne Idealismus und Bereitschaft zur ehrenamtlichen Selbstausbeutung von Journalisten und Medienforschern kann es nicht gelingen, das Europa der Kommunikatoren zu bauen. Nicht zuletzt bedarf es neuer Netzwerke, in denen über die Sprach- und Kulturgrenzen innerhalb Europas hinweg kommuniziert wird.
Ein Beispiel hierfür ist das European Journalism Observatory (EJO). In der neuen, konvergenten und web-basierten Medienwelt hilft es Journalisten, Medienmanagern und anderen Interessierten, sich fachlich zu orientieren. Es beobachtet Trends im Journalismus, in der Medienbranche sowie in der Medienforschung. Es baut Brücken zwischen den Journalismus-Kulturen, vor allem in Europa und in den USA, und will einen Beitrag zur Qualitätssicherung im Journalismus leisten.
Zunächst an der Universität Lugano beheimatet, ist das EJO heute ein Netzwerk, in dem Partner aus zehn europäischen Sprachräumen und 13 Ländern zusammenwirken. Gerade für fachliche Information gewinnt das Internet an Bedeutung. Das EJO hat sich von Anfang an als Online-Plattform verstanden, das mit seiner Website, seinen Facebook- und Twitter-Accounts nicht nur eigene Veröffentlichungen in zehn Sprachen abrufbar macht, sondern auch Information aggregiert und seine Nutzer mit anderen interessanten Websites verlinkt. Übersetzt werden Texte dann, wenn sie für den jeweiligen Sprachraum interessant erscheinen. Weitere europäische Sprachversionen (Französisch, Spanisch, Bulgarisch) sind in Vorbereitung und werden realisiert, sobald sich Sponsoren gefunden haben.
Die Vision ist, das EJO weiter als multilinguale Plattform auszubauen, die relevante Erkenntnisse der Medien- und Journalismusforschung für die Medienpraxis lokal und europaweit erschließt – mit einem Schwerpunkt auf die eigene Journalismus-Kultur des jeweiligen Sprachraums, aber doch auch mit einem hohen Anteil übersetzter und adaptierter Texte der Partner. Dies ist die mutmaßlich preiswerteste Form, europaweit den Zugang für Journalisten zu Fachwissen zu erweitern und die Reflexionskompetenz von Medienpraktikern zu trainieren. Zugleich entsteht ein zeitgemäßes Informationsangebot, das vorhandene, in der Produktion teurere Journalismus-Fachzeitschriften ergänzt.
Ein Treppenwitz: Das meiste Geld für das Projekt kommt bisher aus einem Land, das gar nicht zur EU gehört, von dem aber Europa viel in puncto konstruktiver Zusammenarbeit über Sprachgrenzen hinweg lernen könnte, nämlich aus der Schweiz: Die Stiftung des Corriere del Ticino, der größten Regionalzeitung der italienischen Schweiz, hat die Gründung des EJO 2004 ermöglicht. Als erste staatliche Forschungsförderungs-Institution hat der Schweizerische Nationalfonds seit 2011 sechs osteuropäische EJO-Websites sowie einen Teil der bisherigen Aktivitäten in der Schweiz finanziert. Ansonsten engagieren sich vor allem private deutsche Förderinstitutionen, darunter besonders nachhaltig die Stiftung Presse-Haus NRZ und die Robert Bosch Stiftung. Guckt man auf die Finanzierungsseite, ist das EJO also noch weit davon entfernt, ein wirklich europäisches Projekt zu sein.
Und doch ist es ein erster Schritt, über Journalismus und über Medien eine „europäische Öffentlichkeit“ herzustellen – zumindest für Journalisten und Medienmanager, für Medienforscher und andere Medienexperten, und last not least für den Nachwuchs in diesen Berufsfeldern.
Letztlich bleibt auch zu hoffen, dass die Forschungsförderungs-Einrichtungen umsteuern und für Wissenschaftler mehr Anreize zum Mittun schaffen: Wer öffentliche Gelder für seine Forschungsprojekte erhält, sollte auch in die Pflicht genommen werden, die Öffentlichkeit an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Ein Dreispalter in der FAZ oder taz über ein Forschungsprojekt sollte bei der Neubewerbung um Drittmittel nicht weniger zählen als eine Publikation der Ergebnisse in einem peer reviewed journal, die nur von einer Handvoll hochspezialisierter Fachkollegen zur Kenntnis genommen wird. Nur so ließe sich wohl verhindern, dass viele Forschungsergebnisse in Bibliotheksregalen verstauben und in Web-Depositorien verschwinden, statt öffentlich zugänglich zu werden und in der Praxis Früchte zu tragen.
Ein europäischer Journalismus und eine europäische Öffentlichkeit werden sich aus derlei Aktivitäten zwar nicht entwickeln. Sofern das EJO-Netzwerk weiter floriert und es gelingt, seine Finanzierung zu sichern, könnte es immerhin dazu beitragen, dass sich europaweit die Kommunikation unter Kommunikatoren verbessert. Vergleichbare Plattformen könnten vermutlich auch in anderen Bereichen helfen, dass Forschungsergebnisse besser genutzt werden, sich „best practices“ über Sprachgrenzen hinweg ausbreiten und sich europaweit professionelle Mindeststandards durchsetzen.
Gerade die neuen sozialen Netzwerke eröffnen europäischen Initiativen und Institutionen nie gekannte Kommunikationsmöglichkeiten. Die Kommunikation unter den Kommunikatoren, aber auch zwischen Medienforschern und -praktikern ist ausbaufähig. Dank besseren Informationsaustauschs könnte dereinst vielleicht doch so etwas wie eine hoffentlich vielfältige, facettenreiche „europäische Journalismus-Kultur“ entstehen, die sich in puncto professioneller Standards mit der amerikanischen messen kann.
Das wäre ein Silberstreif am Horizont – auch wenn es im Moment eher so aussieht, als würden Europa und seine Journalismus-Kulturen weiter von schweren Unwettern heimgesucht.
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Erstveröffentlichung: Gegenworte – Hefte für den Disput über Wissen, Heft Nr. 30 (aktualisiert)
Bildquelle: günther gumhold / pixelio.de
Schlagwörter:Auslandsberich, Europa, europäische Öffentlichkeit, europäischer Journalismus, Journalismuskulturen, Krise des Journalismus