Konzernjournalismus ist schwer im Kommen. Redaktionen betreiben ungenierte Marktförderung.
Wenn man ein seltsames Verhalten einer Zeitung verstehen will, dann hilft oft die Chronologie. Seltsames Verhalten zeigte zuletzt die Finanz und Wirtschaft. Sie zeigte es rund um den börsennotierten Werbevermarkter Publigroupe.
Am 5. März schrieb das Blatt über Publigroupe, die Lage sei „nicht erfreulich”. Am 8. März schrieb das Blatt über Publigroupe, es werde sie „nicht mehr lange geben”. Am 2. April schrieb das Blatt über Publigroupe, man solle „sich von den Aktien trennen”. Am 12. April schrieb das Blatt über Publigroupe, man könne „die Aktien weiterhin nicht empfehlen”.
Warum, so fragte man sich, warum schreibt die Finanz und Wirtschaft dauernd große Artikel über eine kleine Firma wie Publigroupe? Und warum ist es den Journalisten so wichtig, dass deren Börsenkurs tief im Keller ist?
Am 17. April machte Tamedia ein Übernahmeangebot für Publigroupe. Tamedia bot kellertiefe 150 Franken pro Aktie. Tamedia ist die Besitzerin der Finanz und Wirtschaft.
Reiner Zufall, logischerweise.
Wie nach jedem Übernahmeangebot stieg jetzt der Publigroupe-Aktienkurs. Nun versuchte die Finanz und Wirtschaft mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Kurs zu sehr stieg und Tamedia einen merklich höheren Preis zu zahlen hätte.
Am 22. April schrieb das Blatt über Publigroupe, sie habe „über Jahre Wert vernichtet”. Am 3. Mai schrieb das Blatt über Publigroupe, es würde es dem „Arbeitgeber Tamedia gönnen, wenn er Publigroupe zu einem günstigen Preis übernehmen könnte”.
Am 5. Mai verkaufte Publigroupe ihre Beteiligungen an der Neuen Luzerner Zeitung und dem St. Galler Tagblatt für 53 Millionen an die NZZ. „Publigroupe verkauft günstig”, titelte prompt die Finanz und Wirtschaft und legte dar, warum der Verkauf trotzdem keinen steigenden Aktienkurs bedeute.
Ich habe dies so ausführlich beschrieben, weil es einer der hübschesten Fälle von Konzernjournalismus ist, die ich jemals gesehen habe. Die Redaktion integriert sich in die PR-Abteilung ihres Arbeitgebers.
Wir könnten nun über Unabhängigkeit im Journalismus philosophieren. Das bringt wenig. Interessanter ist, warum Konzernjournalismus derart ungeniert im Kommen ist.
Es hat mit den neuen Strategien der Medienhäuser zu tun. Früher hatten Medienhäuser Publikationen. Die Formen von Konzernjournalismus waren harmlos. Vielleicht lobte der Blick mal die Glückspost, und Radio 24 lobte den Tages-Anzeiger. Das war nett, aber kommerziell irrelevant.
Heute haben Medienhäuser Internetplattformen, Online-Marktplätze, digitale Handelsfirmen, Ticket-Shops, Suchmaschinen und Adressdatenbanken. Sie suchen ständig nach Akquisitionen außerhalb des publizistischen Stammgeschäfts. In diesen neuen Geschäftsfeldern wird die Promotion durch die hauseigenen Publikationen viel wichtiger, weil sie nun direkte kommerzielle Auswirkungen hat. Die Journalisten können zur direkten Marktförderung eingesetzt werden.
Der Blick („OlympJA”) trommelt darum für die Bündner Olympia-Kandidatur und für Lara Gut, weil beides Umsatzträger bei Ringiers interner Vermarktungsagentur sind. Die Aargauer Zeitung („Watson übertrifft Erwartungen”) trommelt darum für die hauseigene Internetplattform, weil deren Zahlen eine betriebswirtschaftliche Misere sind. Das Schweizer Fernsehen trommelt darum in „Glanz & Gloria” und „10 vor 10″ für seine Kehlen-Show „The Voice of Switzerland”, weil die möglichst über Werbeumsätze refinanziert werden soll.
Konzernjournalismus ist Kommerzjournalismus. Hier haben unsere Journalisten keine Berührungsängste mehr.
Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 15. Mai 2014
Bildquelle: birgitH / pixelio.de
Schlagwörter:Aktien, Börsenkurs, Finanz und Wirtschaft, Konzernjournalismus, Publigroupe, Schweiz, tamedia