Sammelwut? Bei Datenjournalisten durchaus erwünscht. Obwohl auch in Deutschland immer mehr Projekte angeschoben werden, blieb der Datenjournalismus in der Wissenschaft lange unerforscht. Stefan Weinacht von der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und Ralf Spiller von der Macromedia Hochschule in Köln liefern nun eine erste Studie.
In welchem Teil der Bundesrepublik bekommt die CDU die meisten Spenden, wo die SPD und wo die Grünen? Sind es 10.000 bis 20.000 Euro oder sogar 100.000 Euro? Und wer sind die Geldgeber: Privatpersonen oder Unternehmen? Die taz hat solche Daten gesammelt und eine Parteispenden-Karte für 2011 konzipiert. Visuell ansprechend und übersichtlich, weniger interpretierend, aber nicht minder informativ. Die tageszeitung folgt damit einem neuen Trend, wenn nicht sogar einem neuem Typ des Journalismus, dem Datenjournalismus.
Bislang war der Blick auf den Datenjournalismus in Deutschland ein praktischer. Was ihn theoretisch ausmacht, haben Stefan Weinacht und Ralf Spiller nun erstmals untersucht. Für ihre Studie standen den beiden Professoren 35 deutsche Datenjournalisten Rede und Antwort.
Weniger Gatekeeper, mehr Zahlenjongleur
Das Sammeln, Analysieren und Aufbereiten digitalisierter Informationen sind die Hauptaufgaben von Datenjournalisten. Obwohl sie genauso hart recherchieren müssen wie etwa Redakteure im Lokal- oder Wirtschaftsressort, unterscheiden sie sich mitunter stark von ihren „traditionellen“ Kollegen. Spürbare Unterschiede gebe es „im Berichterstattungsgegenstand, bei der journalistischen Arbeit, der Publikation und den Anforderungen an den Datenjournalisten“, fassen die Autoren der Studie zusammen.
„Der Datensatz kann auch Protagonist sein“, bringt ein Befragter einen der größten Unterschiede auf den Punkt. Nicht der Text sondern die Grafik steht im Mittelpunkt. Statt die Geschichte am Schluss mit Daten rund zu machen und sie mit einer Grafik als Beiwerk zu untermauern, bauen Datenjournalisten ihre Story von Beginn an auf Datensätze auf.
Demnach sind auch die Perspektiven der Journalisten ganz unterschiedlich. „Ein Reporter fährt zur Verwaltungsbehörde und beschreibt die Atmosphäre, z.B. ob ein Amt alte Möbel hat und irgendwie immer noch verstaubt wirkt. Ein Datenjournalist fährt hin und fragt: ‚Mit welchen Daten arbeiten Sie? Und kann ich welche mitnehmen, um sie auszuwerten?“, fasst ein anderer Befragter zusammen.
Statt „nur mit Telefon und Block“ müssen Datenjournalisten mit Programmen für Datenverarbeitung arbeiten. Sie müssen Zahlen und Statistik beherrschen, ein Auge für die Visualisierung haben. Sie selektieren weniger, sondern wandeln ein großes Bündel an Rechercheergebnissen in verständliche Grafiken, Karten, Diagramme – ohne viel Fließtext drum herum. Datenjournalisten interpretieren nicht, der Rezipient soll vielmehr seine eigenen Schlüsse ziehen können.
Aus den neuen Tätigkeiten ergibt sich auch ein ganz neues Rollenverständnis: Datenjournalisten sehen ihre Aufgabe weniger in der Unterhaltung und dem Service, dafür aber in der Information und vor allem der Kritik und Kontrolle. Schlussfolgernd sehen Weinacht und Spiller derzeit drei Typen von Datenjournalisten an der Arbeit: der meinungsstarke Kritiker, der informationsorientierte Realist und der neutrale Analytiker.
Gute Zukunftsprognose
Obwohl in Deutschland vermehrt datenjournalistische Projekte veröffentlicht werden, stecke der Datenjournalismus den beiden Forschern zufolge noch in den Kinderschuhen. Auch wenn die Ressourcen knapp, die Umsetzung teuer und die Zuschauerwirkung noch nicht erforscht sei, malen sie ein positives Zukunftsbild.
Mit einem Zuwachs datenjournalistischer Projekte sei zu rechnen – auch weil die dafür notwendigen Werkzeuge in den kommenden Jahren besser und der Umgang mit ihnen leichter werde. Datenjournalistische Kenntnisse, die immer häufiger in die Journalistenausbildung integriert oder in Workshops gelehrt werden, würden zudem eine Nische für Berufsanfänger und freie Journalisten bieten. Redaktionen profitierten von der Exklusivität solcher Projekte und auch das Publikum, mittlerweile an die neue Form des Journalismus gewöhnt, würde diese in der Zukunft verstärkt fordern.
Literatur:
Stefan Weinacht & Ralf Spiller (2014) Datenjournalismus in Deutschland. Eine explorative Untersuchung zu Rollenbildern von Datenjournalisten. In: Publizistik, 59(4). S. 411-433.
Bildquelle: Marc Smith/flickr.com
Schlagwörter:Datenjournalismus, Ralf Spiller, Stefan Weinacht, Taz