Es scheint, dass Medien zurzeit alles dafür tun, um ein junges Publikum zu erreichen.
Innerhalb weniger Wochen sind diesen Herbst Bild, Zeit, Spiegel online und Handelsblatt mit Jugendangeboten (Byou, ze.tt, bento und orange) an den Start gegangen. Beim Wettbewerb um die jungen Mediennutzer scheint es vor allem um einen Kanal zu gehen: Das Internet.
Auch in Frankreich sind die Medien in den Wettbewerb um ein junges Publikum eingestiegen. Der Radiosender RTL führte im Mai die Website Girls ein, die sich an junge Frauen zwischen 16 und 20 Jahren richtet. Im September launchte die Finanz-Zeitung Les Echos das Online-Portal Les Echos Start, das, so Projekt-Redakteurin Julie Ranty „jungen Leuten zu einem erfolgreichen Start ins Berufsleben verhelfen will“.
2016 wird der internationale Nachrichtensender France 24 eine französische Version von Mashable starten. Zielgruppe: „junge aktive Leute“ zwischen 15 und 25 Jahren. Auch den Ende September von Springer erworbenen Online-Wirtschaftsdienst Business Insider wird es bald auf Französisch geben. Martin Trautmann vom französischen Projektpartner Prisma Media hält ihn für „eine mächtige Marke, die es schafft, ein junges Publikum anzuziehen“.
Traditionsmedien treffen offenbar nicht den Geschmack der jüngeren Generation und starten neue Online-Medien, um die „Generation Hashtag“ an sich zu binden. Aber können die jungen Ableger wirklich etwas am „Dinosaurier-Image“ der jeweiligen Zeitung ändern?
Eins sollten die neuen Plattformen auf keinen Fall tun: Beiträge „jungschreiben“. So verfasse das Team von Buzzfeed France seine Artikel in einer „pädagogischen“ Schreibe und vermeide „eine herablassende Haltung“, erklärt Chefredakteurin Cécile Dehesdin. „Beiträge jungzuschreiben wäre ein großer Fehler“, meint auch Alexandre Malsch, Gründer des französischen Online-Portals Melty, dessen Nutzer im Durchschnitt 24 Jahre alt sind. Die Melty-Journalisten schrieben zwar in einer einfachen Form, fänden es aber sehr wichtig, „aufrichtig“ zu sein, „so als würden wir mit einem guten Freund sprechen“. Die Melty-Nutzer seien zwar jung, aber sehr anspruchsvoll, weshalb die Journalisten auf keinen Fall schludern dürften. „Wenn man in einem Beitrag über eine TV-Serie schreibt, dass sie 28 Folgen statt 31 hat, dann hat man verloren“, sagt Malsch, „wir müssen auch im Unterhaltungsbereich sehr gewissenhaft sein.“
Jean-Bernard Schmidt, Mitgründer des Video-Nachrichten-Portals Spicee, befürwortet „einen direkteren, manchmal frechen Ton“. Er denkt auch, dass Journalisten, die sich an ein junges Publikum richten, neue Wege in der Berichterstattung gehen sollten und unter anderem Comics oder kleine Animationen einbinden sollten.
Schmidt glaubt, dass junge Leute Traditionsmedien links liegen lassen, weil sie dort nicht das finden, was sie suchen. Ist es also an der Zeit, Videos und anderen visuellen Inhalten mehr Platz einzuräumen – die prädestiniert dafür sind, in sozialen Medien geteilt zu werden? In den USA haben schließlich 83 Prozent der jungen Leute einen Facebook-Account, in Frankreich sind es 78 Prozent.
Evan Spiegel, CEO von Snapchat, ist der Auffassung, dass man Teenager auch nicht über Facebook erreicht. Das A und O seien topaktuelle mobile Nachrichten, die als Push-Meldungen auf den Smartphones der jungen Leute landen. In den USA haben 85 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone, in Frankreich fast 68 Prozent. Auch Henry Blodget, Chefredakteur von Business Insider, meint, dass mobile Geräte die bevorzugte Plattform für den Nachrichtenkonsum der 16-24-Jährigen seien.
Für Alexandre Malsch von Melty liegt das Geheimnis weder im Schreibstil noch im Format, sondern hauptsächlich im Timing. So hilft bei Melty ein Algorithmus Inhalte zu produzieren, die die Nutzer auch wirklich interessieren, indem zu einem festgelegten Zeitpunkt in Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken gesuchte Schlüsselwörter untersucht werden.
Auch bei Spicee richtet man sich nach dem Nutzerverhalten und kommt dem Nutzer flexibel entgegen. So können Videos nicht nur in voller Länge, sondern auch Ausschnitte daraus angeschaut werden.
Ein junges Publikum bedeutet gleichzeitig ein unbeständiges. Bei Melty ist den Journalisten klar, dass ihre Nutzer zwischen 18 und 30 Jahren irgendwann ihr Interesse an ihren Themen und somit an ihrem Medium verlieren werden. Manchmal schafft es ein Medium aber auch erst gar nicht, ein junges Publikum an sich zu binden, so sehr es das auch will.
Als im September 2007 die partizipative Online-Plattform LePost.fr an den Start ging (die 2012 ihren Betrieb wieder einstellte), wurde alles dafür getan, um junge Leute an sich zu binden, die scheinbar kein Interesse an der Hauptplattform lemonde.fr hatten. Der damalige Projektmanager Olivier Lendresse erinnert sich: „Wir hatten einige Marketing-Aktionen gestartet, um die Zuschauer von Star Acamedy (französische Casting-Show) zu erreichen, aber als nach vier Monaten die ersten Publikumsbefragungen ausgewertet wurden, stellten wir fest, dass wir gar nicht das erwartete Publikum hatten. Es war weder jung noch einheitlich. Es handelte sich vielmehr um verschiedene Nischenpublika – darunter auch einige Senioren.”
Original-Version auf Englisch: Can Born-Digital Media Attract Young Audiences?
Übersetzt und ergänzt von Tina Bettels-Schwabbauer
Bildquelle: Screenshot Buzzfeed France
Schlagwörter:Business Insider, Buzzfeed, Facebook, Frankreich, Generation Hashtag, junges Publikum, Le Monde, Les Echos Start, Mashable, Melty, Online-Medien, Snapchat, Spicee