Öffentlichkeit in der (Euro-)Krise

9. Dezember 2015 • Forschung aus 1. Hand, Ressorts • von

Die Euro-Krise bestimmt seit über fünf Jahren die Schlagzeilen des Kontinents. Aber hat die Krise auch zu einem gemeinsamen europäischen Mediendiskurs geführt?

EuroHand aufs Herz. Wer wusste vor zehn Jahren außerhalb Griechenlands den Namen des griechischen Premierministers, geschweige denn des griechischen Finanzministers? Oder wie es gerade um die Arbeitsmarktsituation in Spanien bestellt ist? Oder wie die EU zur Bankenregulierung steht? Mit diesem Wissen hätte man im Jahr 2005 gute Chancen gehabt, bei Günther Jauch die 50.000 Euro-Frage zu gewinnen. Heute, zehn Jahre später, wäre die Frage, welches Land Alexis Tsipras regiert, nicht mal mehr die Einstiegsfrage wert.

Die Euro-Krise – so scheint es – hat einen erstaunlichen Veränderungsprozess in der europäischen Öffentlichkeit in Gang gesetzt und zu einem nie dagewesenen Informationsstand der Bürger über Europas Politik geführt. Der langjährige EU-Korrespondent des Spiegels, Christoph Schult, beschrieb diese Verschiebung wie folgt: Wurde man früher als Korrespondent nach Brüssel entsandt, interpretierte man das als Betroffener leicht als eine Strafmaßnahme der Vorgesetzten ins politische Nirgendwo versetzt zu werden. Heute ist es ein Vertrauensbeweis, von einem der mittlerweile politisch wichtigsten Orte Europas zu berichten (DER SPIEGEL 34/2015).

Euro-Krise könnte nationale Aufmerksamkeit Richtung Europa verschoben haben

Was ist hier passiert? Zuerst einmal gab es durch die Krise eine erhebliche politische Machtverschiebung von der nationalen auf die supranationale Ebene der EU bzw. der Euro-Gruppe. So hat sich nicht nur die Anzahl an europäischen Krisengipfeln und -Beschlüssen im Vergleich zur Vorkrisenzeit vervielfacht, sondern auch eine institutionelle Verlagerung von Kompetenzen stattgefunden (Gründung des ESM etc.). Gleichzeitig ist zu Tage getreten, wie stark die gemeinsame Währung die einzelnen Länder voneinander abhängig gemacht hat. Schließlich kann es einen enormen Einfluss auf die deutsche Politik haben, ob die Partei Podemos bei den spanischen Parlamentswahlen im Dezember die Machtverhältnisse in Spanien und damit auch in Europa verschieben wird.

Sowohl die gestiegene Macht der EU als auch der bewusst gewordene Einfluss des Geschehens in anderen Euro-Ländern auf die Ökonomie und Politik des eigenen Landes, könnten die Aufmerksamkeit nationaler Öffentlichkeiten zunehmend auf Europa gelenkt haben. Nicht zuletzt, weil der Journalismus – und dieser ist das prägende Element der Öffentlichkeit – seine Veröffentlichungsentscheidungen an gesellschaftlichen Relevanzkriterien festmacht. Hat die Euro-Krise also dazu geführt, dass sich nationale Öffentlichkeiten zunehmend für die Ereignisse Europas geöffnet haben und darüber berichten? Und führt diese gegenseitige Beobachtung auch zu einem grenzüberschreitenden Austausch von Argumenten und Interpretationsweisen der Euro-Krise? Gibt es gar eine Angleichung in der journalistischen Darstellung der Krise? Oder passiert das Gegenteil und nationale Differenzen in der Wahrnehmung der Krise werden zunehmend betont?

Deutsche und spanische Medien interpretieren die Krise zunehmend ähnlich

Genau diese Fragen wurden versucht in einer Studie der Universität Zürich zu beantworten. Dazu wurde die Berichterstattung der Online-Ableger wichtiger Qualitäts-Zeitungen Deutschlands (faz.net und sueddeutsche.de) und Spaniens (elmundo.es und elpais.com) zwischen 2010 und 2014 analysiert. Die Ergebnisse der Studie stehen damit unter dem Vorbehalt, dass nur Qualitätsmedien, nicht aber der Boulevard untersucht wurden. Auch lassen sich die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf andere Länder Europas übertragen, auch wenn mit Deutschland und Spanien zwei Prototypen für den von der Krise härter getroffenen Süden sowie für die nordeuropäischen Gläubigerstaaten ausgewählt wurden.

Konkret untersucht wurde sowohl das Vorkommen europäischer Sprecher in Artikeln über die Euro-Krise in nationalen Medien, als auch das Vorkommen bestimmter Interpretations- und Darstellungsmuster der Krise. Um diese Interpretationen zu erheben, wurden einzelne Argumente in den Artikeln erfasst und diese mittels eines mathematischen Verfahrens zu übergeordneten Interpretationsmustern mit vergleichbarer Argumentationsstruktur zusammengefasst. So ließen sich vier Sichtweisen auf die Krise in europäischen Medien identifizieren:

1. Hilfe unter Bedingungen (ca. 41 % aller Artikel nutzen dieses Interpretationsmuster): Die europäische Gemeinschaft sollte Krisenstaaten finanziell unterstützen, wenn dafür im Gegenzug Staatshaushalte gekürzt und eine tiefere europäische Integration angestrebt wird.

2. Bankenkrise (ca. 22 %): Die Krise wird als eine Folge des Handelns des Finanzsektors beschrieben und gefordert, dass dieser reformiert und an den Kosten der Krise beteiligt werden sollte.

3. Wettbewerbsfähigkeit (ca. 21 %): Beschreibt die Krise als eine Folge ineffizienter Privatwirtschaft und sieht die Lösung in Arbeitsmarktderegulierung, Lohnkürzung oder der Privatisierung staatlichen Besitzes.

4. Staatsschulden (ca. 16 %): Hier werden Staatsschulden als Hauptursache der Krise präsentiert und es werden verschiedene Lösungsmaßnahmen jenseits von Hilfskrediten diskutiert, darunter Euro-Bonds, der Ausschluss aus der Währungsunion oder Schuldenschnitte.

Gerade zu Beginn der Krise in 2010 zeigten sich erhebliche Unterschiede zwischen deutschen und spanischen Medien in der Verwendung dieser Interpretationsmuster. So wurde in der deutschen Öffentlichkeit deutlich häufiger über Staatsschulden gesprochen, während in Spanien die Rolle des Finanzsektors viel stärker betont wurde. Im Laufe der Krise wurden diese Unterschiede jedoch zunehmend kleiner – bis hin zu einer sehr ähnlichen Verwendung der Interpretationsmuster in den Jahren 2013 und 2014.

Meinungsaustausch über Ländergrenzen hinweg

Auch der Anteil von Sprechern aus anderen Staaten Europas bzw. der EU-Institutionen in nationalen Medien lag im Durschnitt bei ca. 46 % und zeigt, wie stark die Sichtweisen anderer Länder in nationalen Öffentlichkeiten Beachtung fanden. Im Jahr 2014 gab es allerdings einen leichten Anstieg nationaler Sprecher in den Medien. Dies geht jedoch – wie oben beschrieben – mit einer gleichzeitigen Annäherung der Interpretationsmuster einher. Dies spricht dafür, dass es nicht nur zu einem Austausch von Argumenten zwischen den nationalen Öffentlichkeiten Europas gekommen ist. Vielmehr verbreiten zunehmend nationale Akteure vormals „fremde“ Sichtweisen im heimischen Diskurs. Die Euro-Krise hat also tatsächlich dazu beigetragen, die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Mediendiskurses weiter voranzutreiben.

Und übrigens: Der griechische Premierminister hieß damals Kostas Karamanlis, die Arbeitslosigkeit in Spanien betrug 9,1 % (2014: 24,4 %) und dass sich die EU einmal um etwas so wichtiges wie die Bankenregulierung kümmern würde, haben 2005 vermutlich noch nicht mal die kühnsten Optimisten im Brüsseler Verwaltungsapparat zu hoffen gewagt.

Paper zum Beitrag:

Kaiser, Johannes, & Kleinen-von Königslöw, Katharina (2015). The Euro crisis in German and Spanish online news media between 2010 and 2014: Does a common European public discourse emerge? Paper presented at the ECREA Political Communication Conference, Odense, Denmark, 27-28 August 2015.

Bildquelle: Chris Goldberg / Flickr. com

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