Die Recherchen rund um die Panama Papers sind zwar in vielerlei Hinsicht eine Sternstunde des enthüllenden Journalismus. Sie spiegeln aber auch Defizite wider, die gerade jetzt dringlicher denn je systematisch beseitigt werden müssen.
Die Enthüllungen beruhen auf Datenjournalismus – wie fast alle großen Recherchen in jüngerer Zeit. Anders gesagt: In der Berufswirklichkeit sind solche Fähigkeiten immer mehr gefragt, wer mithalten will, muss auch sie in seinem Handwerkskasten aufnehmen. Doch weiterhin wird absurderweise selbst dem Nachwuchs an Universitäten sowie Journalistenschulen Datenjournalismus allenfalls in Grundzügen gelehrt. Eine Studie der Columbia Journalism School und Knight Foundation weist dies selbst für die USA nach, wo neue Konzepte oft auch in der Ausbildung schneller aufgegriffen werden als anderswo.
Die Studie bietet zudem Abhilfe an durch fünf Lehrmodelle – für Datenjournalismus als Basiskurs, als integriertes Angebot und Dreistufen-Qualifikation. Empfohlene Lehrinhalte sind Statistik, Erzähltechnik, Visuelle Kommunikation, Social Media. Aber: Wenig Ethik und eigentlich kein Training im systematischen Publikumsdialog. Genau diese beiden Punkte aber illustrieren die Hauptschwächen der Art, wie die Panama-Recherche zumindest im deutschen Kontext präsentiert wurde.
Gerade bei so einem heiklen Thema hätte von vornherein zwingend eine ethische Abwägung transparent gemacht werden müssen: Wann, warum sowie in welchem Umfang müssen verantwortungsbewusste Journalisten in die Geheimsphäre von Staaten und die Privatsphäre von Personen eingreifen, weil es Missstände von öffentlichem Interesse gibt? Welchen Regeln folgend haben sie Geheimes und Privates zu schützen, weil dies die Öffentlichkeit nichts angeht oder sie gefährden würde? Auch um das Publikum von der Bedeutung einer Recherche zu überzeugen, muss der Dialog mit ihm ein zentraler Punkt beim Planen der Veröffentlichung sein. Hieran offenbart sich zudem ein Systemdefizit, das auf der Unternehmensebene zu lösen ist: über Ombudsstellen ließe sich der Dialog zwischen Publikum und Redaktion systematisch anstacheln und moderieren; es gibt sie etwa bei der New York Times, und vereinzelt in Deutschland – aber zu selten und oft kaum wahrnehmbar.
Charles Berret, Cheryl Philipps: Teaching Data and Computational Journalism. Hrsg von der Columbia Journalism School / Knight Foundation (2016), New York: http://www.journalism.columbia.edu/system/documents/1001/original/teachingdata16.pdf
Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel vom 10. April 2016 (leicht geänderte Fassung)
Zum Thema auf EJO:
Wege zum Datenjournalisten in Europa
Schlagwörter:Columbia Journalism School, Datenjournalismus, Ethik, Knight Foundation, Panama Papers, USA