In Redaktionen herrscht offenbar Furcht: Schadet es dem Ruf der Zeitung, wenn Nutzer sich im Ton vergreifen? Lohnt es sich, in die Kommentar-Moderation zu investieren?
Dialog zahlt sich aus. Dieses Fazit zieht der Weltverband der Zeitungen (WDZV) in seinem Global Report, der Standpunkte von 78 Medienhäusern aus weltweit 46 Ländern zum Umgang mit dem publizierenden Publikum erfasst. Thematisch setzen Nutzer in den USA in ihren Kommentaren keine eindeutigen Akzente, in Asien und Mittlerem Osten hingegen auf Politik und Religion, in Afrika auf Politik und Rasse, in Europa auf die Flüchtlingsströme. Auf redaktionelle Hintergrundgeschichten folgten überall besonders sorgfältige Nutzer-Kommentare und auf redaktionelle Meinungsbeiträge besonders viele.
Doch in vielen Redaktionen herrscht offenbar Furcht: Schadet es dem Ruf der Zeitung, wenn Nutzer sich im Ton vergreifen? Wer haftet dann? Lohnt es sich überhaupt, in die Kommentar-Moderation zu investieren? Weil sie keine klaren Antworten sehen, ermöglicht jede fünfte keine Nutzerkommentare mehr oder leitet den Publikumsdiskurs von den eigenen Kanälen um auf Facebook und andere soziale Medien.
Wohl ist den meisten auch dabei nicht. Diese Maßnahmen verhinderten unflätige Kommentare nicht, bringen aber neue Nachteile: weniger Kontrolle, weniger Nutzer-Daten, weniger Publikumsbindung. Und im Prinzip, auch das ein Befund, findet ja jede zweite Redaktion die Nutzer-Kommentare wichtig und nützlich, weil sie die Debatte mit Argumenten bereichern, Meinungsvielfalt fördern und Ideen für Geschichten liefern.
Stichwort Debattenkultur. Das Dilemma überwinden helfen soll der Blick auf Best Practice, auf die New York Times und auf Dawn in Pakistan. Deren konsequentes Investieren der Redaktionen in die Moderation habe das Publikum loyaler und den Erlös größer gemacht. Dawn lösche jeden dritte Nutzer-Kommentar; bei der New York Times stieg durch strenge Qualitätskontrolle und Belohnen guter Kommentare der Anteil der publiziertauglichen von 50 auf 85 Prozent – bei 11 000 Kommentaren pro Tag.
Eine systematische Dialog- und Community-Policy in den Medienhäusern bleibt aber bei der Kommentar-Moderation nicht stehen. Draht zum Publikum heißt zudem: Anwalt für jene sein, die sich schlecht Gehör verschaffen, Bote für Sorgen von Bürgern, nicht nur Probleme, sondern auch Lösungswege zeigen. Dem Publikum geben, was es will und braucht, zahlt sich aus.
Erstveröffentlichung: dertagesspiegel.de vom 6. November 2016
Bildquelle: Screenshot dawn.com
Schlagwörter:Global Report, Kommentar-Moderation, Nutzer, Nutzerkommentare, Publikum, Weltverband der Zeitungen